Für Armstrong hat jeder Ton Bedeutung, „unwichtige“ Noten gibt es nicht. Das zeigt sich bereits im ersten Doppelschlag in Takt fünf, auch er ist mehr als bloßer Zierat, sondern Teil der Melodie. Die Läufe, die das Thema in der Klavierexposition umspielen, wirken wie gestanzt, Ton für Ton, selbst die Alberti-Bässe in der Linken erhalten Gewicht. Das unterscheidet Armstrongs Spiel vom jeu perlé etwa eines Murray Perahia oder einer Mitsuko Uchida. Nichts stört die in diesem Konzert besonders stringente Linienführung durch Beiläufigkeiten. Und so verzichtet er im Larghetto, für viele Pianisten Tummelplatz für improvisierte Verzierungen, auf eigene „Bereicherungen“ des musikalischen Ablaufs. Mozart pur. Auch im ersten Satz widersteht er der (für ihn, der auch Komponist ist, naheliegenden) Versuchung einer eigenen Kadenz, sondern greift auf die Original-Mozartkadenz zurück. Das könnte leicht den Eindruck mangelnder Inspiriertheit nahelegen, wären da nicht die „Armstrong-Momente“, wenn er beispielsweise beim ersten Auftreten des Themas in Moll das Tempo leicht zurücknimmt und dadurch den Stimmungswechsel unterstreicht.
In einem Interview hat Armstrong einmal erzählt, er koche gern, „mit einfachen Zutaten, immer ohne Soße“. Und so spielt er auch: ohne die Soße einer Pedalvernebelung, stellenweise fast non-legato. Das verleiht seiner Interpretation Ehrlichkeit. – Das Finale kommt betont frühlingshaft daher. Im Gespräch hat Armstrong mir erklärt, er könne es nicht spielen, ohne dabei das Lied „Sehnsucht nach dem Frühling“ (Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün) im Hinterkopf zu haben, das ja auf dem Anfangsthema dieses letzten Satzes beruht.
Alles in allem erlebten wir großes Klavierspiel, das vom Publikum gebührend gefeiert wurde. Der Pianist bedankte sich mit einer Referenz an die Insel: Chopins Regentropfen-Prélude, das ja, wie er ausdrücklich noch einmal in Erinnerung rief, hier auf Mallorca, in der Kartause von Valldemossa, komponiert wurde. Auch das unparfümiert und ohne die Sentimentalität der berüchtigten „höheren Töchter“, die dazu im 19.Jahrhundert die Seele baumeln ließen…
Bruckners Sinfonien sind keine Musik fürs heimische Wohnzimmer, in ihrer ungeheuren dynamischen Bandbreite kann man sie nur live richtig erleben. Víctor Pablo Pérez spannte den Bogen vom anfänglichen Pianissimo bis zu den gewaltigen Ausbrüchen des Blechs in der dritten Sinfonie, d-moll, WAB103, gestern Abend eindrucksvoll. Es erklang die dritte Fassung, also Bruckners zweite Umarbeitung von 1889, die gegenüber dem Original von 1873 um fast 20 Minuten kürzer ist. Sie ist Richard Wagner gewidmet und wird deshalb oft als Bruckners Wagner-Sinfonie bezeichnet. Hugo Wolf, der Dauer-Nörgler, erkannte in Bruckners Sinfonien zwar die „Originalität, Größe. Kraft, Phantasie und Erfindung“, konstatierte aber gleichzeitig „einen Mangel an Intelligenz“, der sie „so schwer verständlich“ mache. „Trotzdem aber stehe ich nicht an, die Symphonien Bruckners als die bedeutendsten symphonischen Schöpfungen, die seit Beethoven geschrieben worden sind, zu bezeichnen.“ (Aus einer Rezension vom 28.Dezember 1884) – Pérez setzte in seiner Interpretation ganz auf die Kontraste, von denen die Dritte getragen ist. Der „Urnebel“ am Beginn, die grandiosen Steigerungen, das fast rockige rhythmische Ostinato im Scherzo, die swingende Polka im Finale – alles wurde von einem OSIB at its best und unter der Leitung eines inspirierten Maestro aufgeboten. Entsprechend groß war der Schlussapplaus. Er galt gestern Abend auch Nina Heidenreich, die man als Gast-Konzertmeisterin engagiert hatte.
Das nächste Konzert findet im Auditorium am 30.März statt. Pablo Mielgo wird „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms dirigieren. Karten wie immer über die Website der Sinfoniker.
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