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Sie sind rund, birnenförmig oder gerippt; rot, gelb oder grün gefärbt. Mal bringen sie wenige Gramm, mal über ein Pfund auf die Waage. Mal schmecken sie süßlich, mal eher würzig. Tomaten sind aus der mallorquinischen Küche nicht wegzudenken.

Das war nicht immer so. Das kugelige Gemüse kam mit den spanischen Eroberern im 16. Jahrhundert aus Mexiko auf die Insel. Doch im Kochtopf landete es erst viel später, denn die rote Farbe erinnerte allzu sehr an die giftige Tollkirsche. Dass Tomaten in Wirklichkeit durch ihren hohen Gehalt an Vitamin A, Vitamin C, Kalium und diversen Antioxidantien ein echtes Wellness-Food sind, wusste man damals natürlich noch nicht.

„Die Spanier liebten die kleinen roten Früchte zunächst als Zierpflanzen und stellten sie in Blumentöpfe und Vasen”, erzählt Juli Valles, Präsident der Academia Castellana y Leonesa de Gastronomía, in einem Video für das Projekt „Chef BNE” der spanischen Nationalbibliothek in Madrid. Dafür wurden aus über 23.000 Kochbüchern zwölf historische Rezepte zum Nachmachen herausgepickt, darunter auch die erste Anleitung für ein Sofrito, eine würzige Tomatensauce, aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. „Damals waren Tomaten ausschließlich der reichen Oberschicht vorbehalten und galten als Aphrodisiakum. Bei den Franzosen hießen Tomaten daher auch ‚Pommes d’amour’ (Liebesäpfel)”, erklärt Josep Antoní Tur Mari, Ernährungswissenschaftler und Professor an der Balearen-Universität.

Seit dem 16. Jahrhundert wird auf Mallorca die inseleigene Ramellet-Tomate angebaut. „Sie ist der aus Lateinamerika importierten Variante am ähnlichsten und enthält mehr Vitamin C und Kalorien als die gewöhnliche Salattomate”, erläutert Tur. Anfang des 20. Jahrhunderts war ihre Zucht sogar so erfolgreich, dass Banyalbufar im Osten Mallorcas seine Tomaten bis nach Barcelona exportierte.

Bis heute ist die Ramellet eine der wichtigsten Zutaten der Inselküche. Sie wird beispielsweise dem Reisgericht Arroz Brut beigemischt und ist unverzichtbarer Bestandteil eines genauso einfachen wie köstlichen Rezeptklassikers, dem Pa amb oli. Dafür wird eine Scheibe Landbrot mit einer halbierten „Tomàtiga de Ramellet” bestrichen, anschließend mit etwas Olivenöl beträufelt und mit einer Prise Salz gewürzt. Dazu werden Käse, Schinken, Oliven und Kapern gereicht – und fertig ist eine deftig-mediterrane Mahlzeit.

Das Besondere an der Ramellet-Tomate ist neben ihrem intensiven Aroma und dem saftigen Fruchtfleisch ihre lange Haltbarkeit. Bis zu ein Jahr übersteht sie unbeschadet, wenn man sie, wie es auf Mallorca Brauch ist, an einer Schnur befestigt und dann von Hauswänden oder Dachböden baumeln lässt. Nur feucht darf es nicht sein. Auch ihre dicke Haut trägt dazu bei, dass sie so unverwüstbar ist. Wissenschaftler der Balearen-Universität wollen aus ihr in den kommenden Jahren eine keimresistente und besonders genügsame Supertomate züchten, die den Herausforderungen des Klimawandels trotzt.

„Als Kunde muss man aber aufpassen, dass man echte Ramellets kauft und keine Hybriden. Wenn die Tomaten zu rot und perfekt aussehen, handelt es sich oft um Laborzüchtungen. Sie sind günstiger, aber weniger haltbar”, erklärt Simó Tortella, Pressesprecher von Agromart, einer großen mallorquinischen Gemüse- und Obsthandelskette. Das Unternehmen produziert in Porreres und Umgebung jährlich rund 400 Tonnen der roten Frucht, den Großteil davon unter freiem Himmel. „Das ist besser für das Aroma”, sagt Tortella. Auch eine besonders intensiv schmeckende Bio-Variante der Ramellet-Tomate hat Agromart im Angebot.

Eine weitere Insel-Spezialität sind die wuchtigen Ochsenherztomaten. Ursprünglich kommt diese Sorte mit der auffällig gefurchten Form aus Frankreich und Italien, aber Mallorca hat mit der „Cor de Bou” eine eigene Variante hervorgebracht. Im Unterschied zur Ramellet-Tomate hat die herzförmige Frucht eine weiche Schale, das Fleisch dagegen ist kompakt und fast kernlos. Dadurch ist sie besonders gut für die Zubereitung von Salaten geeignet, wie etwa dem mallorquinischen Sommerklassiker Trampó, einem Mix aus Tomaten, grüner Paprika und weißen Zwiebeln. Ihr Preis hat es mit fast fünf Euro pro Kilo allerdings in sich. „Am beliebtesten sind bei unseren Kunden Flaschen- und Salattomaten”, sagt Tortella. Mit aktuellen Kilopreisen von rund 75 Cent sind diese Allrounder unter den Tomaten auch am günstigsten.

Nicht alle Tomaten in den Gemüseauslagen von Geschäften und Märkten stammen aber von der Insel. Aus Andalusien findet immer häufiger die Raf-Tomate ihren Weg nach Mallorca. Mittlerweile wird sie hier auch auf salzhaltigen Böden angebaut. Mit der Rote-Armee-Fraktion hat ihr Name nichts zu tun. Die Abkürzung steht vielmehr für „resiste a fusarium”, das heißt, dass diese Tomate immun gegen die bei Tomaten weitverbreitete Wurzelfäule ist. Sie hat ein sehr würziges Aroma und eignet sich vor allem für Salate oder als Knabbersnack für zwischendurch.

Für einen optischen Knalleffekt sorgt die Kumato. Die dunkelrot bis schwarz gefärbte Tomate ist kein Japan-Import, sondern eine reine Laborzüchtung des Schweizer Konzerns Syngenta, der seine Kreation als lang haltbar und intensiv schmeckend bewirbt.

Von Juni bis September ist Tomatenhochsaison auf der Insel. Doch die roten Früchte lassen sich nicht nur frisch geerntet genießen. Mit getrockneten Tomaten lassen sich beispielsweise Suppen oder Saucen raffiniert verfeinern. Ramellet-Tomaten werden aber auch zu einer fruchtigen Konfitüre und sogar zu Ketchup verarbeitet. Wer diese ungewöhnlichen Leckereien einmal probieren will, kann sie beispielsweise bei Fet a Sóller, einem mallorquinischen Spezialitätenhandel, bestellen, oder am 10. August die Fira de la Tomàtiga de Ramellet besuchen. In Maria de la Salut in der Inselmitte wird die Mallorca-Tomate alljährlich mit einem großen nächtlichen Fest geehrt. Kostproben und beeindruckende Auffädelungs-Demonstrationen inklusive.

(aus MM31/2018)