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Und zwar am 23. Mai. In den Zusammenstellungen der Ereignisse dieses Tages durch die Jahrhunderte wird man bei verschiedenen Internetportalen fündig – und liest Bedeutendes und weniger Bedeutendes. Dieser Tag sah die Erstaufführung der 3. Fassung der Oper Fidelio des deutschen Komponisten Ludwig van Beethoven, einige Berühmte und Bekannte haben heute wie an jedem anderen Tag Geburtstag (herzlichen Glückwunsch!) und vor einem Jahr starb der französische Chansonnier Georges Moustaki – dies ist der letzte Eintrag im größten enzyklopädischen Portal des weltweiten Netzes.

Aber der 23. Mai war sehr lange Zeit, nämlich bis 1990, noch etwas anderes, nämlich der sehr deutsche kompromissbehaftete Ersatz für einen Nationalfeiertag, den wir damals nicht hatten. Er erinnerte an den Tag der Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949. Der Parlamentarische Rat hatte intensiv über diese Verfassungsbasis für die Neugründung eines Staates auf deutschem Boden beraten und verkündigte das Ergebnis dann eher geschäftsmäßig eben an diesem 23. Mai 1949 in Bonn.

Künftig war der 23. Mai zwar ein offizieller Gedenktag, aber eben kein arbeitsfreier Feiertag. Der Bundestag gedachte des Ereignisses in einer Festsitzung, nur weil es danach im Prinzip wie an anderen Arbeitstagen weiterging, kam erst gar keine richtige feierliche Stimmung auf – wesentlich mehr Selters als Sekt, sozusagen.

Im Ausland diente der Tag immerhin dazu, daß die deutschen Auslandsvertretungen zur Feier eines Nationalfeiertages einladen konnten, den wir zwar eigentlich nicht hatten, aber es ist nun einmal international üblich, an einem Tag im Jahr die Existenz des eigenen Staats zu feiern, also nahm man eben diesen. In der Ansprache auf dem meist unspektakulären Empfang mußte man den geladenen staunenden Gästen dann etwas umständlich erklären, daß man heute zwar feiere, daß der 23. Mai aber nicht -wie etwa der 14. Juli für die Franzosen oder der 4. Juli für die USA- ein Tag des nationalen Jubels sei; vielmehr blickten wir bescheiden auf die Erfolge der Bundesrepublik Deutschland zurück, sähen der Vollendung der Einheit des gesamten deutschen Volkes in Freiheit aber noch hoffnungsvoll entgegen…

Bei diesen Feiern war sicher kein nationaler Überschwang zu befürchten – erstens sieht uns Deutschen das heutzutage sowieso nicht mehr ähnlich, und zweitens war der Feiertag an sich eben so wenig selbstverständlich und so erklärungsbedürftig, daß der Öffentlichkeit die Lust daran erst gar nicht entstand. Und wahrscheinlich war das auch gut so. Das Geschenk der Deutschen Einheit, die wir seit 1949 immer wieder –und manchmal ohne den rechten Glauben, sie noch erleben zu dürfen- beschworen haben, feiern wir seit 1990 am 3. Oktober dafür richtig - in Deutschland mit öffentlichen Veranstaltungen, an denen viele tausend Gäste teilnehmen, im Ausland je nach den Möglichkeiten der zuständigen deutschen Auslandsvertretung mal kleiner oder größer, aber doch zunehmend mit dem guten Gefühl, daß etwas Großes von den Menschen in Deutschland erreicht worden ist: ein Volk ist friedlich zusammengewachsen, und trotz vielerlei Schwierigkeiten stehen wir wirtschaftlich, sozial und politisch ganz gut da.

Der 23. Mai ist darüber ziemlich in Vergessenheit geraten. Das hat er eigentlich nicht verdient. Das Grundgesetz war über 40 Jahre lang ein Erfolgsmodell, um das uns viele Staaten beneidet haben. Es war ein so solide formuliertes Gesetz, daß es mit der Deutschen Einheit in den allermeisten Teilen nur sehr unwesentlich geändert werden mußte und so nunmehr auch dem vereinigten Deutschland als Verfassung dient. Es dient immer noch jedem Bürger sozusagen als Geschäftsgrundlage, was seine Rechte im Staat angeht – der Wehrdienstverweigerer in den 70er Jahren konnte sich ebenso erfolgreich darauf berufen wie heute noch jemand, der sich wegen seines Geschlechts, seines Glaubens oder seiner Herkunft benachteiligt fühlt. Jeder Bürger hat aus dem Grundgesetz heraus einklagbare Rechte: schauen Sie mal, in wie vielen weiteren Staaten der Welt es noch so etwas gibt.

Der 65. Geburtstag dieses Erfolgsmodells wird natürlich begangen, wie es bei uns gute Tradition ist: mit einer bescheidenen, würdigen Feierstunde im Deutschen Bundestag. Der Herr Bundespräsident wird dabei sein, die Vertreter der Verfassungsorgane und andere Gäste. Dabei wird man sicher einiges zur Entstehung des Grundgesetzes und zu den Motiven seiner Mütter und Väter hören. Wenn Sie etwas dazu selbst nachlesen möchten: eine interessante kleine Zusammenstellung dazu finden Sie auf der Seite des Deutschen Bundestages unter

http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/kalenderblatt/279526

Es grüßt Ihr
Deutsches Konsulat