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Die meisten Werke der Musikgeschichte sind der Kritik ausgesetzt. Schon nach der Uraufführung, oft bis zum heutigen Tag finden Kritiker ein Haar in der Suppe, bemäkeln dies und jenes. Meist sind es Kollegen, die Beanstandungen artikulieren: Tschaikowsky über Beethoven und Brahms, Mendelssohn über Berlioz, Hugo Wolf über fast alle – und manchmal tun sie das ausgesprochen bösartig (Richard Strauss über Rachmaninow: „gefühlvolle Jauche!“). Aber es gibt auch Stücke, die offenbar über jeden Zweifel erhaben sind, Felsen in der Brandung des musikkritischen Alltagsgeschäfts, unangefochten und unanfechtbar. Dazu gehören zum Beispiel das „Wohltemperierte Klavier“ und die h-moll-Messe von Bach, Haydns 12 Londoner Sinfonien, „Le nozze di Figaro“, Beethovens Fünfte, die „Sommernachtstraum“-Ouvertüre von Mendelssohn – und Mozarts Jupitersinfonie, die am 30. Juni auf Schloss Bellver unter der Leitung von Pablo Mielgo erklingen wird.

Sie entstand im Sommer 1788, zusammen mit der Es-dur-Sinfonie KV 543 und der in g-moll KV 550, trägt im Köchelverzeichnis die Nummer 551 und ist Mozarts letzte Sinfonie. Das hat zu der Spekulation geführt, Mozart habe mit ihr bewusst Abschied genommen, habe sozusagen seinen „Schwanengesang“ komponiert. Dieser Gedanke ist aber ziemlich abwegig: 1788 war Sterben noch kein Thema für ihn. Naheliegender ist diese Theorie: die Sinfonie ist so vollkommen und sagt alles aus, was mit den musikalischen Mitteln der Klassik erreichbar ist, dass Mozart daran zweifelte, sie noch übertreffen zu können. Intelligente Leute hören auf, wenn sie das Gefühl haben, sich nur noch wiederholen zu können, dass besser nicht mehr geht, um nicht ihre eigene Legende zu zerstören. Vielleicht war es aber auch ganz anders, vielleicht sah Mozart einfach keine Aufführungsmöglichkeiten mehr. (Sein Stern war bereits in der Wiener Musikwelt am Sinken.) Es gibt ja nicht einmal für KV 551 gesicherte Quellen, die eine Aufführung noch zu Lebzeiten belegen. Mozart hat seine letzte Sinfonie möglicherweise nie gehört!

Über die Jupitersinfonie sind regalmeterweise Bücher geschrieben worden, selbst ein kurz gefasster Konzertführer kommt bei der Beschreibung nicht unter zwei Seiten aus. Ich will deshalb nicht wiederholen, was bereits an so vielen Stellen schwarz auf weiß steht, sondern Ihnen nur einige Highlights (eigentlich ist das Werk ein einziges gigantisches Highlight!) ans Herz legen.

Der erste Satz ist ein Sonatensatz. Das Prinzip einer klassischen Sonate ist der Gegensatz zwischen dem ersten und zweiten Thema. Mozart packt vier (!) Gegensatzpaare bereits in die ersten vier Takte: laut – leise, staccato – legato, rhythmisch – melodisch, Tutti – nur Streicher. Und statt der üblichen zwei Themen erfindet er drei, die bereits im ersten Teil des Satzes, der sogenannten Exposition, sinfonisch verarbeitet werden. Normalerweise ist das erst im zweiten Teil, der Durchführung, vorgesehen. In der wird dann vor allem das dritte Thema nach allen Regeln der Satztechnik verwandelt und mit anderen Themen kombiniert.

Im zweiten Satz (Andante cantabile) und im Menuett (Allegretto) kehrt Mozart die Gegensätze um: erst leise, dann laut; erst legato, dann staccato; erst Streicher, dann tutti; erst melodisch, dann rhythmisch.

Und dann das Finale (Molto allegro)! Mit seinen 423 Takten der längste der vier Sätze, ist es ein einziges satztechnisches Wunder: vier(!) Themen werden in atemberaubender Kunstfertigkeit miteinander verflochten, man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das erste der vier Themen – vier Töne (ganze Noten), die sich zu einer Art Gewölbe formieren – kommt in mehreren Werken Mozarts vor, zum ersten Mal in seiner allerersten Sinfonie, KV 16, die er als Achtjähriger schrieb; dort markiert sie die Grundlinie des zweiten Satzes.

Das Jupiterfinale ist noch einmal eine letzte Auseinandersetzung mit drer barocken Fugentechnik, eine Synthese aus Polyphonie und Homophonie. Zwei Welten werden hier zusammengebracht, Barock und Klassik, die alte und die neue Zeit, gehen in einen Diskurs, in dem schließlich der klassische Dualismus „siegt“. – Was sich in den letzten 51 Takten (ab 372) abspielt, davon konnten Mozarts Zeitgenossen (auch der große Joseph Haydn!) nicht einmal träumen:

In den Hörnern wölbt sich noch einmal, forte, das viertönige Anfangsmotiv und steigt quasi in den Himmel; alle vier Themen streiten noch einmal um die Vormacht, werden fugenartig verknüpft, umgekehrt und auf den Kopf gestellt, bis schließlich – unter anderem durch Parallelführung der Stimmen – die klassische Homophonie in strahlendem C-dur triumphiert. Das Barockzeitalter ist endgültig vorbei, und die Klassik hat einen schwindelerregenden und in jeder Hinsicht überwältigenden, himmelstürmenden Gipfelpunkt erreicht, von dem es kein Zurück mehr gibt. Es sollte Beethoven sein, der auf diesen Säulen weiterbaute, mit den musikalischen Mitteln einer neuen Zeit.

Zum Einhören empfehle ich Ihnen diesen Konzertmitschnitt von 1973 mit den Wiener Philharmonikern unter dem großen Mozartdirigenten Karl Böhm auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=863BQEFb9kY