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Zweiter April 1800. Im k.u.k.Nationaltheater in Wien erlebt die 1. Sinfonie Ludwig van Beethovens ihre Uraufführung. Für einen Aprilscherz war es genau einen Tag zu spät. Hätte Beethoven sein neues Werk tags zuvor aufgeführt, wäre es nicht ganz unwahrscheinlich gewesen, dass das Publikum sie für einen solchen gehalten hätte: eine Sinfonie, die mit einem Septakkord beginnt, so etwas hatte es noch nie gegeben. Ein Musikstück, egal ob Sinfonie oder Konzert, hatte in der Grundtonart, am besten mit einem Tonika-Akkord anzufangen. Hatte dieser junge Mann, der vor acht Jahren aus dem provinziellen Bonn nach Wien gekommen war und sich seitdem vor allem als Pianist profiliert hatte, den Verstand verloren?

Hatte er natürlich nicht, vielmehr hatte er alle seine geistigen Kräfte zusammengenommen, um in fast zehnjähriger Arbeit seinen sinfonischen Erstling zu planen, immer wieder zu ändern und schließlich in der Form zu Papier zu bringen, in der er an jenem 2. April unter seiner Leitung erklang.

Der unkonventionelle Anfang war keineswegs einer flüchtigen Laune entsprungen, Gag um des Gags willen, sondern sollte ein bewusstes Fanal setzen: eine neue Zeit beginnt! Mozart und Haydn, gewiss bewunderte Vorbilder, waren Geschichte. Dabei ging Beethoven nicht so weit wie später Gustav Mahler, der Festhalten an der Tradition schlicht als Schlamperei abtat. Vielmehr goss er neuen Wein in alte Schläuche, belebte zum Beispiel die Sonatenform – einst von Haydn „erfunden“ und von Mozart „gepflegt“ – mit neuen Elementen, die seinem feurigen Geist entsprangen.

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Langsame Einleitungen zu Beginn gab es schon bei seinen Vorläufern, aber nie hatte eine mit einer Dissonanz begonnen. Die Überleitung vom ersten zum zweiten Thema hatte früher schon vorwiegend aus Teilen des Hauptthemas bestanden, aber wie Beethoven mit diesen Elementen arbeitete, war neu, großartiger, architektonisch gewaltiger. Und so weht im 1. Satz – obwohl er formal so streng dem Sonatenhauptsatz-Prinzip folgt, dass viele Musiklehrer ihn im Unterricht als Beispiel verwenden, wenn sie ihren Schülern die Sonatenform erklären wollen – ein neuer Geist, der Geist des Aufbruchs in eine neue Zeit. Das Feuer der Revolution – der Sturm auf die Bastille ist ja noch gar nicht lange her – lodert in ihm. Und Beethoven wird ihm in seinen weiteren Sinfonien bis hin zur grandiosen Neunten immer neue Nahrung geben, wird die Tradition der Klassik sein ganzes Leben lang unermüdlich mit mutigen, kühnen, neuartigen Einfällen bereichern.

Auf diesen ersten Satz, in dem alles fast hitzig vorwärts drängt, nach oben stgrebt, folgt ein Andante cantabile con moto, also ein bewegter, gesanglich voanschreitender zweiter, der ganz bewusst die Spielanleitung „langsam“ vermeidet. Er steht in F-dur und im Dreivierteltakt – eigentlich ersetzt er das Menuett, das normalerweise – aber was ist bei Beethoven schon normal? – an dritter Stelle steht. Dafür hat der 3.Satz, obwohl (letztmalig in einer Beethovensinfonie) mit Menuett überschrieben, so gar nichts mehr von einem höfischen Schreittanz: er ist ein Scherzo, ein „bürgerlicher“ Scherz, dem alle aristokratischen Allüren gründlich ausgetrieben wurden.

Im Finale passiert noch einmal etwas nie Dagewesenes, Unerhörtes: es hat eine langsame Einleitung, in der Beethoven, fast tastend, das eigentliche Thema coram publico entstehen lässt. Was dann folgt ist ein turbulentes Sonatenrondo, voll mit Haydn’schem Humor, so als wollte Beethoven seinem Vorbild, fünf Jahre nach dessen letzter Sinfonie, noch einmal Reverenz erweisen. Überhaupt steht Beethovens Kompositionsweise Haydn wesentlich näher als Mozart. Der berühmte Satz des Grafen Waldstein, er empfange als Schüler des ersteren „Mozarts Geist aus Haydns Händen“, hat sich also nicht bewahrheitet, wie man nicht zuletzt im Finale seiner Ersten heraushören kann.

Zu meiner Einführung in die ersten beiden Werke des 5. Bellverkonzerts am 28.07. gelangen Sie hier