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Früher, in den Anfangsjahren seiner Karriere, zog Ivo Pogorelich nicht nur Musikliebhaber an, sondern jede Menge Voyeure: Ivo on the rocks, „ein Dorian Grey auf dem Laufsteg zum Steinway“ (Klaus Umbach im SPIEGEL), der genauso blasiert dreinschaute, wie eines seiner dreisten Statements klang: „nicht ich liebe die Musik, die Musik muss mich lieben!“ . Der STERN klebte ihm damals das Etikett „der Beau mit den Borsten“ an, die Süddeutsche Zeitung sah in ihm gar den „Heiland des Klavierspiels“. Entsprechend exzentrisch war sein Spiel, Agogik und Dynamik waren immer für eine Überraschung gut.

Heute Abend erlebte man einen anderen Ivo Pogorelich. 64 mittlerweile, hat er es nicht mehr nötig, sein Können (das allerdings schon damals beachtlich war) mit Glitter, Glanz und Glamour zu dekorieren: ein gereifter und geläuterter Pianist betritt da die Bühne des Auditoriums, nimmt fast bescheiden auf dem Klavierhocker Platz und legt sich die Noten zurecht. Ja, er spielt vom Blatt, etwas ungewöhnlich, aber legitim. Auch der große Svjatoslav Richter spannte sich ein solches Sicherheitsnetz, es können ja nicht alle ein Gedächtnis wie die legendäre Martha Argerich haben.

Und dann legt er los: mit der Polonaise Fantaisie op.60 zeigt er gleich zu Beginn, dass er’s technisch noch voll drauf hat, laute Akkordkaskaden etwas besser als die leisen Töne. Die kommen später, spätestens im langsamen Satz der dritten Sonate op.58. Aber wenn Pogorelich fortissimo in Fahrt ist – und das ist er oft -, muss der Flügel einiges aushalten. In den hohen Lagen rächt er sich prompt mit einem unschönen Klirren.

Die gut eine halbe Stunde lange Sonate wird unter Pogorelichs Händen zu einem Drahtseilakt, einem Balanceakt zwischen formaler Gestaltung und dem Stattgeben vulkanartiger Temperamentsausbrüche, zwischen Melos (im dritten Satz) und Motorik; zwischen sensiblem Ausloten und bisweilen ein wenig brachialer Kraftmeierei. Am Ende geht das Publikum begeistert in die Pause.

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Danach gibt’s – nach dem strukturbetonten ersten Teil – drei Stücke, die eher Chopins blühenden Melodienreichtum verströmen. Das kalte blaue Bühnenlicht will nicht mehr so recht zum musikalischen Geschehen passen. Die Fantasie op.49, mit 16 Minuten das zweitlängste Einzelstück des Abends, wartet mit eher warmen Harmonien auf, die Pogorelich genüsslich auskostet. Klar, auch hier zeigt er Kante, setzt auf Kontraste und gestaltet die Dynamik spannend, bisweilen vielleicht ein wenig zu eigenwillig. Wer die nivellierende Mitte sucht, gerät bei Pogorelich an den Falschen. Seine Stärke liegt in der Zuspitzung, immer hart an der Grenze zum Exzentrischen. Aber das macht die Faszination seines Spiels aus.

Er ist kein Poet am Klavier wie beispielsweise Jan Lisiecki oder Murray Perahia. Aber so gerät er auch keinen Augenblick in Gefahr, die Berceuseop.57 zum Schmachtfetzen zu degradieren. Er spielt sie nobel und filigran, war erneut seine überragende Technik unter Beweis stellt.

Den Schluss bildet die Barcarolle op.60, ein Stück, das in fast keinem Romantik-Sampler fehlt und das es in der Publikumsgunst bis in die Wunschkonzerte am Sonntagnachmittag geschafft hat. Für die Seelen der Zuhörer ist es Balsam nach dem harten Parforceritt durch die f-moll-Sonate. Entsprechend groß ist der Beifall, den Pogorelich mit zwei Zugaben belohnt: einem späten Prélude und dem Nocturne op.62, das zeigt, wie weit sich Chopin in seinen späten „Nachtstücken“ vom Vorbild John Fields, der als der Erfinder der Gattung gilt, emanzipiert hat. Ein schöner Abschluss des Abends.

Am Donnerstag, 1.Dezember, gehen die Abokonzerte der Sinfoniker im Trui Teatre weiter. Meine Einführung in den Abend mit Werken von Berlioz, Strawinsky und Brahms können Sie hier lesen.