Nachdem ich vor ein paar Wochen über den niederländischen Begriff des "Niksens" geschrieben habe (siehe MM 20/2024), möchte ich heute mit Ihnen einen kleinen Ausflug nach Japan unternehmen. Auch in Fernost gibt es ganz wunderbare Wörter, die ebenfalls wunderbare Möglichkeiten beschreiben, das Leben zu betrachten. Bei der Recherche zu dieser Kolumne ist mir aufgefallen, dass ich offenbar einiges schon richtig mache beziehungsweise, dass das Leben es an vielen Punkten einfach gut mit mir meint. Trotzdem werde ich mich auf die Suche machen, um herauszufinden, was genau mein Ikigai ist. Der Begriff bezeichnet ein japanisches Konzept, das sich auf den Sinn und Zweck des Lebens bezieht. Der Begriff "Ikigai" setzt sich aus den Wörtern "iki" (Leben) und "gai" (Wert, Nutzen) zusammen. Es geht also darum, etwas zu finden, das das Leben lebenswert macht und inneren Frieden und Freude bringt. Ikigai lässt sich in Japan bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Die genaue Bedeutung der Ikigai-Philosophie wurde und wird bis heute unterschiedlich interpretiert. Als "Mutter" des heutigen Ikigai-Verständnisses gilt die Psychiaterin Kamiya Mieko. Ihr zufolge ist Ikigai etwas ganz Individualduelles, das bei jedem Menschen anders aussehen kann. Denn jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung eines erfüllten Lebens. Der "klassische" Lebensweg ist für viele Menschen nicht erfüllend, sondern eher einengend. Ikigai fordert dazu auf, den eigenen Weg zu finden und zu beschreiten.
In Okinawa, einer Region mit einer der höchsten Lebenserwartungen der Welt, ist Ikigai tief verwurzelt. Die Menschen dort glauben, dass die Entdeckung und das Leben nach ihrem (individuellen) Ikigai hilft, ein langes und erfülltes Leben zu führen. Oftmals wird mit Ikigai der Grund bezeichnet, warum man morgens aufsteht. Ein Grund, das Leben mit Begeisterung zu leben. Ikigai wird oft durch ein Diagramm mit vier sich überschneidenden Kreisen dargestellt. Diese Kreise repräsentieren: Erstens das, wofür man eine Leidenschaft hat. Zweitens die Fähigkeiten, in denen man richtig gut ist. Drittens das, wofür man bezahlt werden kann, und viertens das, woran die Welt Bedarf hat. Das Zentrum dieses Diagramms, in dem sich alle vier Kreise überschneiden, stellt das persönliche Ikigai dar. Es ist der Schnittpunkt von persönlicher Erfüllung, beruflicher Zufriedenheit und einem gesellschaftlichen Beitrag.
Wie kann man nun sein persönliches Ikigai finden? Zunächst ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen zur Selbstreflexion. Es gilt, darüber nachzudenken, was die eigenen Leidenschaften, Fähigkeiten, Werte und Ziele ausmacht. Dabei ist es manchmal notwendig, neue Dinge auszuprobieren und aus den Erfahrungen zu lernen. Wenn Sie Ihr Ikigai finden wollen, seien Sie offen für Veränderungen und neue Erkenntnisse. Ikigai ist auch eine Frage der Balance zwischen den verschiedenen Lebensbereichen. Es geht darum, sowohl berufliche Erfüllung als auch persönliches Glück zu finden. Wichtig ist auch zu sehen, dass sich Ihr Ikigai im Laufe der Zeit verändern kann. Es ist daher unerlässlich, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und anzupassen.
Wenn Sie nun neugierig geworden sind und sich auf den Weg machen wollen, nehmen Sie sich ein Notizbuch oder Papier und einen Stift. Schreiben Sie die Hauptfragen jeweils als Überschrift auf eine Seite und notieren Sie (ohne zu zensieren), was Ihnen dazu einfällt. Hier noch einmal die Überschriften:
- Was liebe ich? (Hobbies, die Sie mit Begeisterung ausüben. Wobei wird Ihnen nie langweilig, worüber könnten Sie stundenlang reden?)
- Was kann ich richtig gut? (Wofür sind Sie ausgebildet? Welche Fähigkeiten und Kenntnisse haben Sie sich sonst noch angeeignet? Wo liegen Ihre Stärken?)
- Wofür kann ich bezahlt werden? (Was ist oder war Ihr bisheriger Beruf? Welche sonstigen Einnahmequellen haben Sie? Mit welchen Fähigkeiten und Kenntnissen könnten Sie Geld verdienen?)
- Was braucht die Welt? (Was sind Ihre Werte und Einstellungen? Welche Probleme haben Sie schon lange erkannt und würden Sie gerne lösen? Welche Ideen kommen Ihnen in den Kopf, wenn Sie über diese Probleme nachdenken? Was würden Sie in der Welt gerne ändern?)
Im nächsten Schritt geht es darum, die Schnittmengen zu finden aus:
Passion, Leidenschaft ("Was ich liebe", "Worin ich gut bin");
Mission, Beruf ("Was ich liebe", "Was die Welt braucht");
Beruf Tätigkeit ("Worin ich gut bin", "Wofür kann ich bezahlt werden");
Vokation, Berufung ("Was die Welt braucht" und "Wofür kann ich bezahlt werden").
Um Ihr Ikigai zu finden, betrachten Sie nun die Bereiche, in denen sich Ihre Leidenschaften, Missionen, Tätigkeiten und Berufungen überschneiden. Ihr Ikigai liegt an der Stelle, an der alle vier Bereiche zusammenkommen. Notieren Sie sich die Tätigkeiten oder Berufe, die in diese Schnittmenge fallen, und überlegen Sie, wie Sie diese in Ihrem Leben umsetzen können.
Studien haben übrigens gezeigt, dass das Leben nach einem Zweck oder einer Bestimmung positive Auswirkungen auf die geistige und körperliche Gesundheit hat. Menschen mit einem starken Sinn für Ikigai haben oft ein geringeres Risiko für Depressionen, ein stärkeres Immunsystem und eine höhere Lebenserwartung. Sie sind oft auch widerstandsfähiger gegenüber Stress und haben eine bessere Lebensqualität.
Ikigai ist viel mehr als nur ein Lebensziel oder eine Berufung; es ist eine Lebensweise, die hilft, ein erfülltes und bedeutungsvolles Leben zu führen. Es fordert dazu auf, tiefer in sich selbst zu schauen und herauszufinden, was wirklich zählt. Die Suche nach Ihrem Ikigai kann eine lebenslange Reise sein, aber es ist eine, die sich lohnt. Indem Sie Ihr Ikigai finden und danach leben, können Sie nicht nur Ihr eigenes Leben bereichern, sondern wirken auch positiv auf die Gemeinschaft um sich herum. Durch Anwendung der Prinzipien von Ikigai, können Sie ein tieferes Verständnis für Ihren Wert entwickeln. Dieser Weg ermutigt Sie, das Leben in vollen Zügen zu leben, mit Leidenschaft, Kompetenz, Bedeutung und Freude. Auf geht's!
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