Die Wahl ist vorbei - und was bleibt?

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So gehen Sie mit unterschiedlichen Wahlgefühlen um

Es ist vollbracht. Die Stimmen sind ausgezählt, die Balken auf den Wahlgrafiken haben sich manifestiert, die Sektkorken knallten bei den einen, während bei den anderen die Köpfe schwerer wurden. Deutschland hat gewählt – und wie so oft, löst das Ergebnis nicht nur politische, sondern auch emotionale Erschütterungen aus.

Wahlen sind, wenn man so will, kollektive Seelenbeben. Da reicht ein Blick in die Gesichter derer, die bis spät in der Nacht vor dem Fernseher saßen und den Zahlen zuschauten, wie sie ihr Weltbild entweder bestätigten oder zum Einsturz brachten. „Das darf doch nicht wahr sein!«, schallte es hier und da durch die Wohnzimmer, während anderswo jemand leise flüsterte: „Ich hab’s doch gewusst.« Freude und Frust, Wut und Traurigkeit – Wahlabende gleichen emotionalen Achterbahnfahrten.

Zwischen Hoffnung und Enttäuschung

Es gibt sie, die Menschen, die am Tag nach der Wahl fröhlich pfeifend in den Tag starten und denen man ihre Zufriedenheit förmlich ansieht. Dann gibt es die anderen, die, von Enttäuschung gezeichnet, den Glauben an die Menschheit verlieren – oder zumindest an die Hälfte der Wählerschaft. Denn das ist es doch, was so tief sitzt: Das Wissen, dass Millionen Menschen in diesem Land eine andere Meinung haben. Dass sie offenbar etwas gut finden, das für einen selbst das absolute Gegenteil von richtig und gerecht ist.

Und da beginnt sie, die emotionale Zerreißprobe. Aus der Enttäuschung wird schnell Wut, aus der Wut wird Frust, und Frust kann sich zu einer gefährlichen Mischung aus Resignation und Verbitterung verdichten. „Wie kann man nur so wählen?«, murmelt man leise vor sich hin, während die Versuchung groß ist, auf Durchzug zu schalten und nur noch mit Gleichgesinnten zu reden. Doch genau das ist der Moment, in dem die eigentliche Gefahr beginnt: die Gefahr der Isolation.

Bleiben Sie im Dialog – auch wenn’s schwerfällt

Es ist verständlich, dass man am liebsten nur mit Menschen sprechen möchte, die ähnlich denken. Es fühlt sich sicher an, bestätigt und wohlig umarmt von der eigenen Filterblase. Doch gerade jetzt ist es wichtiger denn je, den Dialog nicht abzubrechen – auch nicht mit Menschen, deren politische Einstellung einem Unwohlsein bereitet.

Demokratie lebt vom Gespräch. Und damit ist nicht nur der sonntägliche Diskurs in Talkshows gemeint. Nein, Demokratie beginnt viel kleiner – am Küchentisch, am Gartenzaun, beim Feierabendbier. Vielleicht haben Sie ja auch einen Nachbarn, der seine politische Meinung so klar im Vorgarten zur Schau stellt, dass Sie jedes Mal den Kopf schütteln, wenn Sie daran vorbeigehen. Warum nicht einfach mal fragen, was ihn bewegt? Und warum nicht dabei ganz bewusst auf das Ziel verzichten, ihn von der eigenen Sichtweise zu überzeugen?

Oft geht es bei solchen Gesprächen weniger um Überzeugungsarbeit als vielmehr um das Gefühl, gehört zu werden. Und das gilt auf beiden Seiten. Manchmal reicht es schon, Interesse zu zeigen und nachzufragen, anstatt direkt in den Diskussionsmodus zu verfallen. „Warum denkst du so?« ist eine viel effektivere Frage als „Wie kannst du nur so denken?«.

Verbindung statt Spaltung

Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Der Gedanke, sich auf ein Gespräch mit jemandem einzulassen, der vielleicht diametral anders denkt, kann beängstigend sein. Doch wenn man es wagt, merkt man oft, dass hinter den Parolen und Schlagworten ganz ähnliche Sorgen stecken: Zukunftsängste, das Bedürfnis nach Sicherheit und Orientierung, der Wunsch nach Anerkennung. Und auf einmal wird aus dem „Ich verstehe diese Leute nicht« ein „Ach, so denkt der also«.

Und ja, manchmal kommt man aus einem solchen Gespräch heraus und denkt sich: „Nun gut, wir werden wohl nie einer Meinung sein.« Aber das ist okay. Denn Demokratie bedeutet nicht, dass alle dasselbe denken müssen. Demokratie bedeutet, dass alle ihre Meinung haben und äußern dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden. Das bedeutet allerdings auch, dass man die Meinungen anderer aushalten muss – auch wenn sie schwer verdaulich sind.

Demokratie im Kleinen leben

Vielleicht sollten wir aufhören, Demokratie als großes, abstraktes Konstrukt zu begreifen, das irgendwo in Berlin verhandelt wird. Demokratie ist nichts anderes als der Versuch, ein gutes Zusammenleben zu gestalten – mit all seinen Herausforderungen, Kompromissen und Uneinigkeiten. Und das können wir auch im ganz Kleinen üben: Mit Freunden, die plötzlich politisch anders abbiegen, als wir das erwartet hätten. Mit Familienmitgliedern, deren Wahlentscheidung uns fassungslos macht. Mit Kollegen, deren politische Überzeugung man nur schwer erträgt.

Im Dialog bleiben – trotz aller Unterschiede

Es geht nicht darum, die eigene Haltung aufzugeben oder die Meinung des anderen zu übernehmen. Es geht darum, sich zuzuhören und im Gespräch zu bleiben. Denn wenn wir aufhören, miteinander zu reden, beginnen wir, übereinander zu reden – und das ist der Anfang der Spaltung.

In Zeiten, in denen politische Gräben tiefer zu werden scheinen, ist es umso wichtiger, Brücken zu bauen. Das heißt nicht, dass man jedem Gespräch aus dem Weg gehen muss, das emotional werden könnte. Es bedeutet vielmehr, den Mut zu haben, sich auf Diskussionen einzulassen – mit Respekt und Offenheit, aber auch mit der Bereitschaft, die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen.

Ein bisschen Optimismus, bitte!

Ja, die Welt fühlt sich nach jeder Wahl für einige Zeit anders an – entweder besser oder schlechter, je nach Perspektive. Doch der Gedanke, dass wir alle trotz unterschiedlicher Meinungen in einem Land leben, das diese Meinungen zulässt, könnte tröstlich sein. Und vielleicht auch ein Grund zur Hoffnung. Denn solange wir im Gespräch bleiben, besteht die Chance, dass wir gemeinsam weiterkommen.

Und wenn das alles nichts hilft und der Frust doch zu groß wird, dann denken Sie einfach daran: In vier Jahren gibt es die nächste Wahl – und damit eine neue Chance auf emotionale Achterbahnfahrten. Bis dahin bleiben Sie positiv, bleiben Sie im Dialog – und vielleicht lächeln Sie das nächste Mal, wenn Sie an diesem Vorgarten vorbeigehen. Es wäre zumindest ein Anfang.