Es gibt Worte, die klingen so weich, dass man sich beim Aussprechen gleich wieder hinlegen möchte. Hurkle-Durkle ist so eines. Es stammt aus dem Schottischen und beschreibt das beharrliche Liegenbleiben im Bett, auch wenn der Tag längst angebrochen ist und der Wecker – oder das Leben – etwas anderes vorschlagen.
Hurkle-Durkle ist kein Ausschlafen im klassischen Sinne. Es ist kein bewusstes „Ich gönn mir heute mal zwei Stunden mehr« nach einer langen Nacht oder einem harten Arbeitstag. Es ist vielmehr ein sanftes, fast trotziges Dösen, ein Innehalten unter der Decke, obwohl man genau weiß, dass man eigentlich aufstehen sollte. Und genau darin liegt seine Kraft. Und sein Reiz.
Manchmal wird uns das Hurkle-Durkeln quasi verordnet. Wenn der Körper plötzlich das Kommando übernimmt und uns mit Gips, Fieber oder Antibiotika an die Matratze fesselt. So wie neulich, als ich nach einem zunächst harmlos erscheinenden Katzenbiss plötzlich mit dickem Verband am Arm und einer Batterie an Medikamenten auf dem Nachttisch das Bett hüten musste. Ich hatte nicht vor, mir ein paar Tage Auszeit zu gönnen, aber mein Körper war da anderer Meinung. Auch eine kräftige Erkältung kann einen dazu bringen, sich zwischen Wärmflasche und Teetasse zu verkriechen – und das Bett wird zur Kommandozentrale der Genesung. Und ehrlich: Wenn man sich dem einmal hingibt, ist es gar nicht so schlimm. Sogar heilsam. Vielleicht müssen wir manchmal erst zwangsweise flachliegen, um zu merken, wie nötig das eigentlich war.
Doch das echte Hurkle-Durkle hat mit Krankheit nichts zu tun. Es passiert – oder besser: wir lassen es geschehen – an Tagen, an denen wir einfach beschließen, nicht aufzustehen. Obwohl wir könnten. Obwohl draußen die Sonne lacht und drinnen die To-do-Liste wartet. Es ist Sonntagmorgen, und statt in die Turnschuhe zu steigen oder das Frühstück vorzubereiten, ziehen wir die Decke noch mal über die Ohren. Vielleicht mit einem Buch in der Hand, vielleicht mit geschlossenen Augen und einem zufriedenen Lächeln. Vielleicht einfach nur so. Ohne Grund. Oder eben: gerade deshalb.
In einer Welt, die uns rund um die Uhr antreibt, in der Selbstoptimierung zum guten Ton gehört und „Produktivität« wie eine goldene Medaille glänzt, ist ein Hurkle-Durkle-Tag ein stiller Aufstand. Ein kleiner Akt der Rebellion gegen das ständige Müssen, gegen die Erwartungen anderer und unsere eigenen Ansprüche. Und mehr noch: Es ist ein Zeichen von Selbstfürsorge. Von innerem Gleichgewicht. Von Mut zur Unvernunft.
Obwohl es keine offizielle Studie darüber gibt, wie oft in Schottland gehurkle-durkelt wird, lässt sich sagen: Hurkle-Durkle ist eher ein Kultwort als ein echter Trend.
Der Begriff stammt aus dem 18. Jahrhundert, ist also uralt – aber er erlebt gerade eine charmante kleine Renaissance in sozialen Medien, auf T-Shirts, Postkarten und in Wellnessblogs. Besonders in der Slow-Living- und Self-Care-Bewegung taucht er wieder auf – als liebevolle Erlaubnis zum Innehalten, Einkuscheln und Aufschieben des Tagesbeginns.
In Schottland selbst wird er mit einem Augenzwinkern verwendet, ähnlich wie die Deutschen über ihr „Snoozen« oder „Rumlümmeln« sprechen – eine Mischung aus Selbstironie und stiller Freude an der eigenen Bequemlichkeit. Also kein durchorganisierter Lifestyle-Trend, aber ein Wort, das mit einem Lebensgefühl verbunden ist, das viele (wieder) entdecken: das süße Nichtstun im eigenen Bett.
Also eine Einladung zum sich Einrollen und Verweilen. Wie schön, dass es dafür ein eigenes Wort gibt! Ein Wort, das nicht urteilt, nicht drängt, sondern sagt: Bleib ruhig noch ein bisschen liegen.
Psychologisch betrachtet ist das gar nicht so dumm. Studien zeigen, dass regelmäßige kleine Pausen – echte Pausen, nicht die, in denen wir beim Zähneputzen noch Mails beantworten – unseren Stresslevel senken, die Kreativität fördern und sogar das Immunsystem stärken. Das gilt übrigens auch für das bewusste Nichtstun. Und was ist Hurkle-Durkle anderes als Nichtstun in seiner gemütlichsten Form?
Natürlich kann man auch zu viel hurklen und durklen. Wenn das Bett zum Dauerzustand wird, ist es vielleicht Zeit, genauer hinzuschauen. Depressionen zum Beispiel schleichen sich oft auf leisen Sohlen in unseren Alltag – und äußern sich zunächst in Form von Antriebslosigkeit. Dann ist nicht das Bett das Problem, sondern das, was uns daran hindert, es zu verlassen. Doch ein gelegentlicher Hurkle-Durkle-Tag ist das Gegenteil: Er ist ein bewusstes Innehalten, kein Sich-Verlieren.
Vielleicht brauchen wir mehr solcher Tage. Tage, an denen wir uns vom Wecker nicht diktieren lassen, was zu tun ist. An denen wir den Laptop zugeklappt lassen und den Kalender ignorieren. An denen wir uns erlauben, einfach nur da zu sein. Ohne Agenda. Ohne Ziel. Nur wir und die Decke. Und vielleicht ein Kissen mehr als sonst.
Und vielleicht liegt darin sogar eine tiefere Wahrheit. Dass wir gar nicht immer produktiv sein müssen. Dass nicht jeder Tag genutzt, gestaltet, gefüllt werden muss. Dass es völlig ausreicht, manchmal einfach nur da zu sein – weich gebettet, ohne Ziel, ohne Plan. Und dass ausgerechnet diese scheinbar nutzlosen Tage zu den wertvollsten werden können. Weil sie uns erinnern, wer wir sind, wenn niemand etwas von uns erwartet. Und wir selbst auch nicht.
Ich glaube, dass das Hurkle-Durklen auch eine Art Vertrauensbeweis ist – sich selbst gegenüber. Wer sich erlaubt, einfach zu bleiben, wo er gerade ist, zeigt: Ich darf da sein, auch ohne Leistung. Ich bin genug, auch ohne Ergebnis. Ich darf mich weich und schlafwarm an mich selbst anschmiegen. Das steht mir jetzt einfach zu.
Wenn Sie also das nächste Mal spüren, dass Sie lieber noch einen Moment liegen bleiben wollen – tun Sie es. Nennen Sie es nicht Faulheit. Nennen Sie es Selbstfürsorge. Oder eben: Hurkle-Durkle. Ein schottisches Geschenk für moderne Menschen mit zu vollen Kalendern und zu wenig Schlaf.
Vielleicht sollten wir uns öfter erinnern, was die schottische Autorin Nan Shepherd einst schrieb: „It is a grand thing to get leave to live.« – Es ist ein großes Geschenk, sich das Leben selbst zu erlauben.
Und falls Sie gerade im Bett liegen, während Sie das lesen: Bleiben Sie ruhig noch ein bisschen. Es gibt keinen besseren Ort dafür. In diesem Sinne.
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