Was uns Frauen alles fehlt

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Eine leise Annäherung an das Thema Women’s Gap

Vor ein paar wenigen Wochen erst habe ich (etwas kritisch) über den Frauentag und seine Aktualität und Notwendigkeit geschrieben (MM 11/2025). Und frei nach dem Motto, was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, muss ich heute revidieren oder zumindest einiges ergänzen. Beim Schreiben dieser Kolumne sind mir immer mehr Gaps (wir kommen noch dazu) ein- und aufgefallen. Ganz allgemein und auch in persönlicher Hinsicht.

Denn: Es gibt diese kleinen Momente, in denen man (Frau) das Gefühl hat, irgendwie hinterherzuhinken. Nicht, weil man langsamer wäre. Sondern weil etwas fehlt. Etwas, das Männer vielleicht ganz selbstverständlich mitbekommen haben. Und wenn man genauer hinschaut, sind es nicht nur Einzelfälle. Es sind Lücken. Unauffällig, still, manchmal schmerzhaft. Man spricht inzwischen von Gaps. Und obwohl das Wort so modern und englisch klingt, ist es etwas sehr Altes. Eine Art Muster.

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Geld. Der sogenannte Gender Pay Gap. Frauen verdienen – selbst in vergleichbaren Positionen – im Schnitt weniger als Männer. Laut Statistischem Bundesamt lag der Unterschied im Jahr 2023 bei 18 Prozent. Selbst bereinigt, bleiben etwa 6 Prozent, die nicht erklärbar scheinen. Woran liegt das? An den Berufen, die wir wählen? An Teilzeitmodellen, an Unterbrechungen durch Familienzeiten? Oder an einem tief verankerten Gefühl, nicht zu viel fordern zu dürfen? Vielleicht an allem ein bisschen. Es ist komplex. Aber spürbar.

Auch in der Gesundheit gibt es Unterschiede. Weniger sichtbar, aber nicht weniger bedeutsam. Der Health Gap beschreibt die Tatsache, dass viele medizinische Studien und Behandlungen lange Zeit auf den männlichen Körper ausgerichtet waren. Frauen werden anders krank, zeigen andere Symptome – und werden dennoch oft nach einem Standard behandelt, der nicht zu ihnen passt. Das ist keine böse Absicht. Aber es ist eine Lücke. Eine, die uns teuer zu stehen kommen kann – manchmal sogar das Leben kostet. Eine Studie der Universität Zürich zeigte, dass Herzinfarkte bei Frauen seltener erkannt und später behandelt werden, weil die Symptome weniger bekannt sind. Und es gibt Medikamente, die bei Frauen stärker oder anders wirken – weil ihr Stoffwechsel anders funktioniert. Nur wissen das viele nicht. Nicht einmal Ärztinnen und Ärzte.

In der Arbeitswelt begegnet uns der Karriere-Gap. Es geht nicht nur um das berühmte Glasdach, das uns bremst, wenn wir zu hoch hinauswollen. Es geht auch um subtile Mechanismen. Um Netzwerke, die eher geschlossen bleiben. Um Machtverhältnisse, die sich selten ganz öffnen. Und auch um die Frage, wie viel Ehrgeiz Frauen zugetraut – und wie viel ihnen übelgenommen wird. In Deutschland liegt der Frauenanteil in Vorständen großer Unternehmen laut AllBright-Stiftung bei nur rund 17 Prozent. Und das, obwohl Frauen statistisch häufiger bessere Schul- und Studienabschlüsse vorweisen können.

Viele Frauen leisten täglich Großes – beruflich, privat, emotional. Und vieles davon geschieht unsichtbar. In den Zwischenräumen. In der Sorgearbeit, die weder bezahlt noch wirklich gesehen wird. Einkaufen, planen, erinnern, pflegen, trösten. Das ist kein Hobby. Es ist Arbeit. Und sie ist oft selbstverständlich. Eine Untersuchung des Bundesministeriums für Familie ergab, dass Frauen auch in Paarhaushalten mit Kindern im Durchschnitt 1,5-mal so viel unbezahlte Sorgearbeit leisten wie Männer. Die Folge zeigt sich später: weniger Karrierechancen, weniger Gehalt, weniger Rente. Der Alters-Gap ist die stille Konsequenz eines gelebten Lebens, in dem andere oft wichtiger waren als man selbst.

Und dann gibt es noch etwas, das schwer zu fassen ist: den Confidence Gap – die Lücke im Zutrauen. Viele Frauen hinterfragen sich. Reicht das? Kann ich das wirklich? Darf ich das sagen? Während andere längst losgelaufen sind. Vielleicht liegt das an der Erziehung. An gesellschaftlichen Erwartungen. An alten Bildern, die uns noch immer im Hintergrund begleiten. Eine Studie der Universität Leipzig zeigte, dass Frauen ihr Können im Bewerbungsgespräch signifikant häufiger relativieren als Männer – selbst bei gleicher Qualifikation. Und das hat Folgen. Denn wer sich selbst weniger zutraut, wird seltener gefragt, gehört oder befördert.

Ein Gap, über den seltener gesprochen wird – aber der ganz real ist – betrifft die intimsten Momente: der Orgasmus-Gap. Studien zeigen, dass in heterosexuellen Beziehungen Männer deutlich häufiger zum Höhepunkt kommen als Frauen. Laut einer Erhebung der Indiana University liegt der Unterschied bei etwa 30 Prozentpunkten. Das liegt nicht an mangelnder Lust oder Fähigkeit, sondern oft an mangelnder Aufmerksamkeit, an Kommunikation, an Rollenbildern, die sich hartnäckig halten. Auch hier geht es um Wahrnehmung, um Wertschätzung – und um das Selbstverständnis, dass weibliche Lust genauso selbstverständlich ist wie männliche. Denn auch diese Lücke formt ein Bild davon, was wir meinen, wert zu sein.

Diese Gaps wirken zusammen. Sie sind wie kleine Risse in einer Fassade, durch die nach und nach Licht fällt – wenn man hinschaut. Und genau darum geht es: um das Hinschauen. Nicht mit Anklage, sondern mit einem ehrlichen Blick auf das, was noch fehlt. Und auf das, was möglich wäre.

Denn etwas, das man erkennt, lässt sich verändern. Nicht über Nacht. Und nicht allein. Aber Stück für Stück. Vielleicht mit Mut. Mit Gesprächen. Mit Anerkennung. Vielleicht auch damit, sich selbst ein kleines bisschen mehr zu erlauben. Mehr Raum. Mehr Stimme. Mehr Wert.

Ich glaube, viele dieser Gaps werden kleiner, wenn wir beginnen, sie nicht nur in Statistiken zu zählen, sondern in Geschichten zu erzählen. In unseren eigenen. In denen unserer Mütter. Und in denen der jungen Frauen, die jetzt aufwachsen – mit mehr Möglichkeiten als je zuvor, aber auch mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit, der kein Luxus ist, sondern ein Versprechen.

Manche Lücken schließen sich langsam. Manche brauchen Geduld. Und manche lassen sich nur gemeinsam überbrücken. Aber wenn wir sie erkennen, verlieren sie ein Stück weit ihre Macht.

Und das ist vielleicht schon der erste Schritt. In diesem Sinne.