Von Narzissmus, Gaslighting und Co.: Wie Sie erkennen, in einer toxischen Beziehung zu stecken
Es beginnt meist harmlos. Charmant. Mit einem Lächeln, das länger dauert, als man es erwartet. Mit einer Aufmerksamkeit, die sich anfühlt wie ein warmer Mantel an einem kalten Tag. Mit einer Art Zuwendung, bei der man sich fragt, wie man vorher eigentlich ohne diesen Menschen leben konnte. Und genau da beginnt das Problem.
Wenn ich in meiner Praxis sitze und höre: „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte», dann weiß ich oft schon, worum es gehen wird. Es geht um Beziehungen, die nicht guttun. Um Manipulation. Um dieses schleichende Gefühl, das sich nicht benennen lässt, aber schwer auf der Brust liegt. Es geht um Narzissmus. Vielleicht um Gaslighting. Und um die ganz leise, aber stetig nagende Frage: „Was stimmt mit mir nicht?»
Die Vorstellung, dass nur labile, schwache oder psychisch angeschlagene Menschen in toxische Beziehungen geraten, ist nicht nur falsch – sie ist gefährlich. Denn sie verhindert, dass wir hinschauen. Dass wir erkennen, dass auch starke, reflektierte und psychisch stabile Menschen Opfer von Manipulation werden können. Weil Manipulation nicht mit einem Holzhammer daherkommt, sondern mit einem Samthandschuh.
Gaslighting – dieses mittlerweile beinahe inflationär gebrauchte Wort bezeichnet in der Psychologie eine Form von psychischer Manipulation. Damit wird ein Zustand beschrieben, in dem die eigene Wahrnehmung verschwimmt. Man vertraut sich selbst nicht mehr. War das wirklich so? Habe ich das übertrieben? Bin ich zu empfindlich? Vielleicht hat er ja recht? Vielleicht bin ich das Problem?
Man beginnt, sich zu hinterfragen. Und zwar nicht aus gesunder Selbstreflexion heraus, sondern weil da jemand ist, der sehr subtil dafür sorgt, dass man den Boden unter den Füßen verliert. Ein Satz hier, ein Blick dort. Eine kleine Verdrehung der Tatsachen. Ein „Das hast du dir eingebildet». Ein „Jetzt übertreibst du aber wirklich». Ein: „Du hast doch selbst gesagt, dass du manchmal nicht so belastbar bist.» Und irgendwann denkt man: Stimmt.
Dass der Begriff „Red Flags» mittlerweile in jedem zweiten Instagram-Reel herumtanzt, macht es nicht weniger wichtig. Ich persönlich mag diesen Begriff nicht besonders. Er klingt nach Influencer-Ratgeber und Lifestyle-Checkliste. Aber was er beschreibt, ist wichtig: Die Fähigkeit, frühzeitig zu spüren, wenn etwas nicht stimmt.
Und manchmal ist es eben nur ein komisches Gefühl. Keine klare Warnleuchte, kein Alarmton. Sondern ein Flackern. Ein innerer Widerstand, wenn sich der Partner zum dritten Mal über den „nervigen» Kontakt, den man zu den eigenen Eltern hat, beschwert. Oder ein dumpfer Knoten im Bauch, wenn die eigenen Erfolge kleingeredet werden. Ein Unwohlsein, das nicht vergeht. Vielleicht auch Schlafstörungen. Verdauungsprobleme. Ein Ziehen im Nacken. Der Körper spricht oft zuerst – lange bevor der Kopf es versteht.
Narzisstische Beziehungen folgen oft einem festen Muster. Anfangs gibt es die sogenannte Love Bombing-Phase. Man wird überhäuft mit Komplimenten, Zuneigung, Plänen für eine gemeinsame Zukunft. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein – und genau das ist es auch. Denn danach kommt die Abwertung. Mal subtil, mal direkt. Der Rückzug. Das Schweigen. Die Vorwürfe. Die emotionale Erpressung. Der Druck, sich zu ändern – natürlich nur „weil du mir so wichtig bist».
Und während man sich bemüht, zu gefallen, zu reparieren, zu retten, verliert man sich selbst.
Das Problem: Narzissten sind keine Monster. Sie wirken oft ausgesprochen normal. Sympathisch sogar. Erfolgreich. Beliebt. Und genau das macht es so schwer. Niemand trägt ein Schild mit der Aufschrift „Ich manipuliere dich, damit du dich klein und abhängig fühlst.» Es wäre einfacher, wenn es so wäre. Aber die Realität ist komplizierter – und für viele Betroffene ein Labyrinth aus Schuld, Scham und Selbstzweifeln.
Wie schwer die Auswirkungen solcher Beziehungen wiegen können, zeigen Studien aus der klinischen Psychologie. Die Psychologin Dr. Ramani Durvasula weist in ihren Arbeiten darauf hin, dass emotionale Manipulation durch narzisstische Partner langfristig zu Depressionen, Angststörungen und einem massiven Vertrauensverlust in die eigene Intuition führen kann. Betroffene berichteten von Identitätsverlust, ständiger Selbstkritik und sozialem Rückzug – oft noch Jahre nach der Trennung.
Gaslighting wirkt wie ein schleichendes Gift. Eine soziologische Analyse von Paige Sweet (University of Michigan) belegt, dass Betroffene sich zunehmend von ihrer sozialen Umwelt isolieren und beginnen, die Sicht des Täters als ihre eigene Wahrheit zu übernehmen.
Auch körperlich zeigt sich der psychische Stress: Die Forschung von Bruce McEwen (Rockefeller University) beschreibt, wie chronischer Stress – etwa durch ständige emotionale Unsicherheit – das Hormonsystem des Körpers überfordert. Die Folge sind erhöhte Cortisolwerte, ein geschwächtes Immunsystem, Verdauungsprobleme und Schlafstörungen. Der Körper rebelliert, wenn die Seele keine Sprache findet.
Was hilft? Wissen. Austausch. Und der Mut, auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Wenn Sie das Gefühl haben, sich immer wieder zu entschuldigen – für Dinge, die eigentlich gar keinen Grund zur Entschuldigung bieten. Wenn Sie merken, dass Sie in der Beziehung nicht wachsen, sondern schrumpfen. Wenn Ihre Gedanken sich ständig um das Verhalten des anderen drehen – und nicht mehr um Ihr eigenes Leben, Ihre Wünsche, Ihre Bedürfnisse: Dann ist das keine Liebe. Dann ist das ein Warnsignal.
Und ja, ich weiß: Das zu erkennen, ist das eine. Den Absprung zu schaffen, das andere. Aber genau deshalb ist es so wichtig, darüber zu sprechen. Laut. Klar. Ohne Scham. Denn je mehr wir diese Phänomene beim Namen nennen, desto besser können wir sie enttarnen – und uns selbst zurück ins Licht holen.
„Wie konnte mir das passieren?«, fragen viele. Die ehrlichste Antwort lautet: Weil es passieren kann. Weil Liebe manchmal blind macht. Weil wir Menschen soziale Wesen sind, die sich nach Nähe sehnen – und diese Nähe manchmal an Orten suchen, die nicht sicher sind. Aber aus jeder noch so dunklen Beziehung führt ein Weg. Und wer ihn geht, hat allen Grund, stolz auf sich zu sein.
Bleiben Sie wachsam. Und freundlich – vor allem mit sich selbst. In diesem Sinne.
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