Es war Igor Levit, der (in seinem erhellenden Podcast „32 mal Beethoven) sich dazu bekannte, dass jedes Werk, wenn er es im Konzert spiele, aufhöre, dem Komponisten zu gehören und stattdessen ausschließlich sein und des Publikums Eigentum sei. Damit erteilte er den Puristen und den sogenannten „historisch Informierten« und ihrem Gefangensein im engen Korsett des althergebracht Traditionellen eine klare Absage. Das war auch das Motto, nach dem der mittlerweile 26-jährige russische Pianist Vladimir Skomorokhov gestern auf der Künstlerfinca Can Brut ein umfangreiches Programm zelebrierte und damit ein begeistertes Publikum glücklich machte.
Mit jedem Takt, den er spielte, ließ er keinen Zweifel daran, dass dies sein Bach, Grieg, Beethoven, Haydn, sein Satie und sein Schubert war, den er mit den Ausdrucksmitteln von heute einem Publikum der Gegenwart des Jahres 2025 mit faszinierender Präsenz engagiert um die Ohren fliegen ließ. Beim ersten Stück, Bachs Präludium und Fuge in D-dur, urprünglich für Orgel geschrieben, griff er auf die Klavierbearbeitung von Busoni zurück. Aber was er da zu Gehör brachte, war auch nicht mehr Busonis Bach, unter seinen begnadeten Händen wurde das fast 300 Jahre alte Werk ganz zu seinem, Skomorokhovs Bach, zum Bach des 18. Mai 2025. Auch in der „Morgenstimmung« von Edvard Grieg ging er mit seinem atemberaubenden Improvisationstalent weit über die bekannte Klaviertranskription hinaus. Dass ihm Rachmaninoff besonders am Herzen liegt, zeigte er mit der Interpretation der berühmten „Vocalise«. – Es ist ein netter Zufall, dass Beethovens „Appasionata«, aus der er den zweiten und dritten Satz spielte, auch Teil des neuesten Albums „Influences«von Mariam Batsashvili ist. Aber während die Georgierin in ihrer Interpretation vor allem die Entwicklung der Sonate von Haydn bis Liszt nachzeichnet und dabei nicht wirklich im Hier und Heute ankommt, legt Skomorokhov den Fokus ganz auf den Stellenwert, den Beethoven im 21. Jahrhundert hat. Das Andante con moto wird, eher adagio gespielt zu einer ausladenden Seelenlandschaft, das Finale zu einem virtuosen Drama. – Ungewöhnlich die erste Zugabe schon nach dem ersten Teil des Programms: Mozarts „Alla turca«. Das hatten sich bereits Arcadi Volodos und Fazil Say durch persönliche Bearbeitungen zu eigen gemacht. Während es bei Say zu anderthalb Minuten „Alla turca Jazz« mit atemberaubenden Drive wurde und Volodos einen nuancenreichen Virtuosenreißer daraus macht, mutiert der „Türkische Marsch« unter Skomorokhovs Händen zu einem Charakterstück, der Drive durch kluge Rubati gebremst. Und aus der Ferne grüßt dezent Fazil Say.
Den ersten Satz aus Haydns 50. Sonate kündigte Skomorokhov als kleine Theaterszene an, und genau so spielte er ihn auch. Die einzelnen Themen und Motive wurden zu Bühnencharakteren, deren Entwicklung und Verflechtung untereinander facettenreich verklanglicht wurden. Ähnlich ging der Pianist die Aria, das Thema der Goldbergvariationen, an: in getragenem Tempo entwickelte sich das kurze Stück ebenfalls zu einer emotionsgeladenen Theaterszene.
Weitere Höhepunkte waren Saties unsterbliche Gymnopédie Nr.1, sehr atmosphärisch vorgetragen, und Schuberts Impromptu op.90/1. Den Schluss des offiziellen Programms bildete Skomorokhovs eigene Transkription der „Ode an die Freude«. Sie erinnerte ein wenig an Thalbergs glänzende Opernparaphrasen und war zugleich mehr als diese. Wo Thalberg sich mit einem virtuos arrangierten Potpourri der wichtigsten Motive begnügt, gelingt Skomorokhov großes Kino für die Ohren: wieder werden Beethovens Themen zu dramatischen Akteuren, das finale Presto „Freude, Tochter aus Elysium« zu einer donnernden Hymne für eine bessere Welt. – Für den jubelnden Applaus bedankte sich der Pianist großzügig mit Zugaben, unter anderem dem Hummelflug und Schuberts „Ständchen« in der Liszt-Bearbeitung, einst ein Paradestück des großen Horowitz. Und nicht nur deshalb wünscht man sich ein baldiges Wiedersehen mit dem sympathischen Jungstar.
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