Ein gefährlicher Spaß: Inmitten der Menschenmenge bringt der Reiter das Pferd zum Aufbäumen - und viele Hände versuchen es hochzuhalten.

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Dass man auf Mallorcas kleiner Schwester Menorca Sant Joan verehrt, ist in Spanien wenig bekannt, und im Rest der Welt gar nicht. Wobei das nur an mangelnder Kommunikation liegen kann. Denn die Sant-Joan-Feiern am 23. und 24. Juni in Ciutadella könnten es locker mit den ganz großen Volksfesten des Königreichs aufnehmen. Sie sind faszinierend, verrückt, ja surreal. Wie Karneval und Pamplona in einem.

Zumindest viele Mallorquiner wissen um die Attraktion jenseits des Kanals - so wird das Meer zwischen den Inseln genannt - und fühlen sich Jahr für Jahr wie magisch angezogen. Die Fähren, Flugzeuge und Hotels sind vor dem bedeutenden Datum meist ausgebucht, und wer ein Boot hat, setzt im Konvoi zur Nachbarinsel über.

Als Ausländer sollte man erst gar nicht versuchen, alle Hintergründe des Festes - die Ursprünge sollen im 14. Jahrhundert liegen - zu verstehen. Wir empfehlen, sich treiben zu lassen. Wobei gleich angemerkt sei, dass man keine Scheu vor Menschenmengen haben darf, andernfalls ist man wirklich fehl am Platze.

Wie bei allen fröhlichen Festen im christlichen Abendland hat der Alkohol eine nicht zu unterschätzende Katalysatorwirkung. In Ciutadella trinkt man - zu jeder Tages- und Nachtzeit - ein Gemisch aus Zitronenlimonade und heimischem Gin. Wer sprachpolitisch korrekt ordern möchte, sagt dazu menorquinisch "Gin amb Llimonada", ansonsten geht der Trunk auch spanisch als "Pomada" durch. Ein dicker Kopf ist garantiert, ein übersäuerter Magen auch.

Die Protagonisten der Fiesta sind die meist schwarzen menorquinischen Pferde und ihre Reiter im weiß-schwarzen Dress. Sie laden am 23. Juni um 18 Uhr zum ersten Mal zum Tanz - "zum Caragol des Born".

Zehntausende sind auf dem Platz der Kathedrale versammelt, wenn sich die Reiter in die Menge begeben. Zum immer wiederkehrenden Takt einer Volksmelodie, die man den Rest seines Lebens nicht mehr aus dem Gehirn löschen kann, bringen die "Jinetes" ihre Rappen zum Aufbäumen. Im gleichen Augenblick begibt sich mutiges Fußvolk unters Pferd und versucht es hochzustemmen oder zumindest den Spiegel auf der Stirn des Tieres zu berühren.

Das ist nicht ungefährlich. Sant Joan fordert jedes Jahr Dutzende von Verletzten. Dass etwas Schlimmeres passiert ist, merkt man daran, dass die Musik plötzlich verstummt. Wer der Gefahr aus dem Weg gehen will, sollte weiten Abstand von den Pferden halten, denn wenn der Menschenstrom erst einmal fließt, kann der Einzelne nur noch mitschwimmen - und leicht unter die Hufe kommen.

Noch nicht genug gekämpft? Nach dem "Caragol" begibt man sich zum gegenseitigen Bewerfen mit tauben Nüssen an die Stadtmauer. Säckeweise. Auch sehr seltsam, aber ansteckend fröhlich und sicherlich gut für den Stressabbau.

Am Abend dann der etwas ruhigere "Caragol de Santa Clara": Die Reiter drehen ihre Runden durch die Stadt und kehren in Häuser und Kneipen ein - mitsamt Pferd. Jetzt versteht man auch, warum einige Türen in Kopfhöhe mit Querbalken gesichert sind - das heißt wohl "Pferde im Haus unerwünscht".

Höhepunkt des zweiten Festtages (24. Juni) sind am Nachmittag die Reiterspiele ("Jons des Pla") in der Ebene beim Hafenbecken. Wie bei den alten Rittern sind mit einer Lanze Ringe aufzuspießen, und zwar in vollem Galopp. Nur dass hier in eine Menschenmenge hineingeritten wird, die sich erst im letzten Moment teilt. Atemberaubend. Fischt der Reiter den Ring, stimmt das Orchester ein Lied an und die Menge tanzt.

Für die Sant-Joan-Fans dauert die heiße Phase des Festes in der Regel vier Tage: Zwei Tage brauchen sie zum Feiern - und zwei zur Wiederbelebung.