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Alexander von Scheele besuchte Mallorca, lange bevor der Tourismusboom auf der Insel begann. Aber der Oberst kam ja auch nicht als Urlauber, sondern in höchst offizieller Mission. Der Militärattaché der deutschen Botschaft in National-Spanien nahm an der Trauerfeier für Ramón Franco teil und legte einen Kranz an dessen Grab auf dem Friedhof in Palma nieder.

Der jüngere Bruder von General Franco war vor 75 Jahren, exakt am 28. Oktober 1938, am Steuer seines Kampfflugzeugs bei Pollença ins Meer gestürzt und ums Leben gekommen. In einem heftigen Sturm, wie die offizielle Version der Franquisten damals verlautete. Vom Himmel geholt durch menorquinische Flak, wie auf der Nachbarinsel behauptet wurde. Als Spion auf der Flucht von einem italienischen Jagdflieger abgeschossen, wie es in Rot-Spanien hieß.

Ramón Francos Tod ist seit jenem Tag von geheimnisvollen Verschwörungstheorien umgeben; Verrat, Sabotage, Selbstmord, Mord. Es bleibt ein Rätsel. Zur Verworrenheit trugen nicht nur die Umstände des Todes bei, sondern auch die Tatsache, dass die Person des Caudillo-Bruders während der Jahrzehnte der franquistischen Diktatur weitgehend tabuisiert wurde.

Offenbar gab es mehr Gründe als nur den mysteriösen Absturz: Der renommierte Historiker Paul Preston nimmt Bezug auf Gerüchte, die behaupten, die Tochter des Generals (María del Carmen, geboren 1926) entstamme nicht der Ehe mit seiner Frau Carmen Polo, sondern sei ein uneheliches Kind von Ramón Franco und einer Geliebten gewesen. Der Caudillo, angeblich durch eine Kriegsverletzung in Nordafrika zeugungsunfähig, soll das Mädchen als sein eigenes ausgegeben haben.

Zur zeitlichen Einordnung: Als Ramón Franco und seine vier Besatzungsmitglieder mit dem Wasserflugzeug vom Typ "Fiat Cant Z" auf der Meeresoberfläche zwischen Mallorca und Menorca zerschellen, tobt in Spanien seit über zwei Jahren der Bürgerkrieg. Für die republikanische Seite steht es nicht zum Besten. Das Land ist militärisch geteilt, an den Fronten hält das Abschlachten an, die Zivilbevölkerung ist ausgelaugt und zermürbt durch Angst, Hunger, Gewalt, Bombenterror aus der Luft. Aus Italien hatte Mussolini General Franco, der gegen die Republik geputscht hatte, Tausende Soldaten, Waffen und Flugzeuge zukommen lassen. In Deutschland beteiligte sich Hitler mit der Entsendung der Legion Condor an der Militärhilfe.

Mallorca, von Anbeginn an in der Hand der Franquisten, diente den spanisch-italienisch-deutschen Luftstreitkräften als Flugzeugträger. Von hier aus bombardierten sie Häfen, Fabrikhallen, Bahnhöfe, Kraftwerke, Schulen, Wohnviertel an der spanischen Ostküste sowie auf der Nachbarinsel Menorca.

Doch wer war eigentlich Ramón Franco? Geboren 1896 im galicischen El Ferrol, folgte er auf seine älteren Brüdern Nicolás (geboren 1891) und Francisco (1892). Die Familie leidet unter dem despotischen Vater, einem Lebemann und Marineoffizier, bis dieser schließlich 1907 Frau und Kinder ganz verlässt.

Die Söhne setzen die Militärtradition der Familie fort. Allerdings wird nur Nicolás von der Marineakademie angenommen. Francisco und später Ramón werden als Infanteristen beim Heer geformt.

Dort legt der jüngste Brüder (wie Francisco auch) eine kometenhafte Karriere hin und landet 1920 bei der neu geschaffenen spanischen Luftwaffe. Der Draufgänger stellt sich im Krieg gegen die aufständischen Rifkabylen in Nordafrika den Herausforderungen, wird verwundet und dekoriert.

1926 schreibt Ramón Franco Luftfahrtgeschichte: Gemeinsam mit drei Kameraden absolviert er den Atlantikflug von Spanien nach Argentinien. Die Überquerung des "Teichs" an Bord des Wasserflugzeugs "Plus Ultra" ist ein Meilenstein der Aviation, er gilt zu beiden Seiten des Atlantiks als Pioniertat.

Ramón Franco wird in den Medien wie ein moderner Christoph Kolumbus gefeiert. In jedem Dorf, in jeder Bar in Spanien, werden auf Tafeln die einzelnen Stationen vermerkt, die das Wasserflugzeug vom Typ "Dornier J Wal" in den Tagen des 22. Januar bis 10. Februar zurücklegt. Bei der Ankunft in Buenos Aires werden Ramón Franco und seinen Begleiter bejubelt, dem tollkühnen Piloten fliegen die Frauenherzen zu. Er ist in seiner Heimat schlagartig eine Berühmtheit, viel berühmter als sein Bruder Franco, der nach den Gefechten in Nordafrika fast zeitgleich und mit 34 Jahren zum jüngsten General in Spanien aufsteigt.

Der Ältere sieht in dem Jüngeren durchaus einen Rivalen. Es ist überliefert, wie Francisco auf die Ruhmestat seines Bruders reagierte: "Ich werde eine Großtat begehen, die noch viel bedeutender sein wird als die meines Bruders."

Worte von prophetischer Weitsicht? Zehn Jahre später, am 17. Juli 1936, fliegt Francisco Franco an Bord des gecharterten Flugzeugs "Dragon Rapide" von den Kanaren nach Spanisch-Nordafrika: Es ist der Auftakt des Militärputsches gegen die Volksfront-Regierung in Madrid, in dessen Verlauf bis 1939 mehr als 300.000 Menschen zu Tode kommen werden.

Francisco und Ramón Franco haben bis auf den Familiennamen nicht viel gemeinsam. Der Ältere wird als folgsam, katholisch, dünkelhaft, reaktionär beschrieben. Der Jüngere ist rebellisch, ein Anhänger der Republik, Freimaurer, liberal, Frauenheld, lebenslustig, humorvoll. Der Militär hasst die Kirche, lehnt die Monarchie ab. 1930 beteiligt sich Ramón Franco an einem Putsch gegen den spanischen König Alfonso XIII. (dem Großvater des heutigen Königs Juan Carlos). Er sollte von seinem Flugzeug Bomben auf den Palast fallen lassen, führt aber die Aktion nicht aus, weil er befürchtet, zu viele Zivilisten zu treffen. Danach muss er als Verschwörer ins Exil nach Portugal fliehen.

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Ramón Franco bleibt politisch aktiv, schließt sich später einer links-anarchistischen Splittergruppe an. Zwischen ihm und seinem Bruder, der ihn mit vorwurfsvollen Briefen bedenkt, liegen zu dem Zeitpunkt Welten.

1931, nach dem Sturz der Monarchie, zieht Ramón Franco für die separatistische Esquerra Repúblicana de Catalunya (ERC) als Abgeordneter ins spanische Parlament ein. (Das ist jene Partei, die auch heute mehr denn je für eine Loslösung Kataloniens von Spanien eintritt).

Doch im Klein-Klein des politischen Alltags zweifelt Ramón Franco an der Verwirklichung seiner Ideale. Die Redeschlachten sind nichts für den Kampfpiloten. Er meldet sich zurück zur Luftwaffe und dient der Republik als Militär, wird später als Diplomat ins Ausland entsandt.

Vom Ausbruch des Bürgerkriegs, der "Großtat" seines großen Bruders, wird er überrascht, als er als Militärattaché in der spanischen Botschaft im fernen Washington im Dienst ist.

Nach einigem Zögern befindet sich Ramón Franco Monate später auf der Seite der Franquisten, wird vom "Generalísimo" zum Kommandeur der Luftstreitkräfte auf Mallorca ernannt: Ihm ist dadurch die Militärbasis der Wasserflugzeuge ("Hidros") in Pollença unterstellt.

Wie ist der Wechsel ins Lager der Franquisten zu erklären? "Er ist für mich eine sehr widersprüchliche Persönlichkeit", sagt Miquel Ferrà. Wie kein anderer hat sich der Schriftsteller mit Ramón Franco und dessen letzter Lebensphase auf Mallorca beschäftigt. 1985 erschien Ferràs Roman, "Das Geheimnis des Cant Z-506". Darin recherchierte der Autor die ungeklärten Todesumstände und bringt dem Leser seine eigene Sichtweise spannungsreich nahe. "Ramón Franco", sagt Ferrà, "brach beim Hinüberwechseln ins Lager der Franquisten mit seiner Biographie. Seine letzten zwei Lebensjahre stehen im Kontrast zu seiner bisherigen Ideologie." Ein solcher Wandel sei höchst seltsam.

Andere Historiker nennen folgenden Grund: Der Tod seines "Plus Ultra"-Kameraden und Kopiloten Julio Ruiz de Alda habe Ramón Franco gegen das "Rote Spanien" aufgebracht. Alda, nach ihm war bis vor Kurzem in Palma die Straße bei der Nationalpolizei benannt, war nach dem Argentinienflug später Mitbegründer der rechtsextremen Falange Española. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges wurde er im Mustergefängnis in Madrid vermutlich ermordet.

Auf Mallorca zeugen noch heute viele Orte von Ramón Franco. Mit seiner Frau und Tochter bewohnte er das herrschaftliche Chalet Los Escalones in Gènova. Nach jeder Rückkehr von seinen Feindflügen zog er eine Runde über der Villa. Das Paar war nicht verheiratet, die Kirche ließ eine Scheidung von der ersten Gattin nicht zu.

Das Haus des letzten republikanischen Bürgermeisters von Palma, Emili Darder, der im Februar 1937 hingerichtet worden war, wurde vom Militär beschlagnahmt und zur Kommandantur gemacht. Dort ging Ramón Franco ein und aus. (Noch heute hat die Militärverwaltung in dem Haus, unweit der Avenidas, ihren Sitz).

Im Gran Hotel mit seiner Jugendstilfassade aus Sandstein war der Kommandostab der Italiener untergebracht. Dort fanden tägliche Lagebesprechungen statt. Die Italiener misstrauten Ramón Franco wegen seiner politischen Vergangenheit als Freimaurer, verdächtigten ihn, ein Agent der Republikaner zu sein. Doch gegen den Bruder des Caudillos wollten sie sich nicht offen auflehnen.

Der Flug, zu dem Ramón Franco am frühen Morgen des 28. Oktober bei Unwetter aufbricht, ist als Erkundungsflug angemeldet. "Ich hatte an jenem Tag ausnahmsweise keinen Dienst, sonst wäre ich wohl ebenfalls ums Leben gekommen", sagte Francos ehemaliger Bordfotograf Matías Barceló 2012 gegenüber MM. Für den Veteranen war die Absturzursache eindeutig: Die Maschine geriet in das heftige Gewitter, das an jenem Morgen über Pollença tobte.

Dennoch bleiben für Viele Zweifel. Ramón Franco war ein erfahrener Pilot. Doch der Absturzort lag fern der geplanten Aufklärungsroute längs der Ostküste. "Ramón Franco flog jenen Kurs, der ihn in das einzige neutrale Land gebracht hätte, das nördlich von Pollença zu finden war: Frankreich", sagt Buchautor Ferrà. Er ist sich sicher, dass das Fliegerass, angewidert von der Sinnlosigkeit des Krieges, das Töten nicht mehr mitverantworten wollte.

Der Tote wurde von der Marine aus dem Meer gefischt, der Sarg sonderbarerweise im Rathaus von Palma aufgebahrt, da die Kirche dem Antiklerikalen wohl nicht offen stand. Ramón Franco wird auf dem Friedhof von Palma bestattet, wo seine Gebeine im Militärgrab auch heute ruhen.

Bruder Generalísimo ließ sich dort Zeit seines Lebens nicht blicken, einzig Bruder Nicolás wurde als Familienvertreter nach Palma geschickt. Abgesehen von der obligatorischen Trauerfeier, zu der auch der deutsche Militärattache am 4. November erschien, wurde nicht mehr viel Aufhebens um den einstigen fliegerischen Nationalhelden gemacht.

Ramóns Geliebte und seine Tochter lebten in aller Stille in Palma fort. Ohne den Ernährer kam die Familie in eine prekäre Lage. Dann erhielt sie die Konzession für eine Filiale der staatlichen Lotterie, in der engen Gasse Brondo neben der Bar Bosch. Die Frau starb nur wenige Jahre später an einer Krankheit, bald schon folgte ihr die Tochter. Die Lotteriestelle gibt es nach wie vor.