Die Sibila trägt bei ihrem Auftritt zu Weihnachten ein Schwert - als Zeichen der Gerechtigkeit.

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Die ersten volkstümlichen Weihnachtslieder entstanden im 16. Jahrhundert in Italien. In Spanien nannte man sie "Villancicos". Sie kamen nicht von Hofe, sondern aus dem Volk, aus der "Villa". Populäre Profantexte wandelten sich, nahmen religiöse Inhalte auf, die nun zur gleichen Musik gesungen oder auch gespielt wurden.

Die städtischen Chormeister des 16. und 17. Jahrhunderts waren gehalten, zu jedem Weihnachtsfest neue Villancicos zu komponieren. Auf ähnliche Weise kam es auch zum Weihnachtslied "Stille Nacht, Heilige Nacht". Sein Autor, der Pfarrer Josef Mohr, Hilfsprediger im Salzburgischen Land, konnte nicht ahnen, dass sein "Villancico" 150 Jahre später in der ganzen Welt verbreitet sein würde.

Das Hochwasser der Salzach hatte die Orgel seiner Kirche unbrauchbar gemacht, und, um die Christmette nicht ohne Musik feiern zu müssen, dichtete er am 24. Dezember 1818 die drei Strophen von "Stille Nacht". Franz Xaver Gruber, vertonte sie. 20 Jahre später sang man das Lied überall. Und in den Mitternachtsmessen mallorquinischer Kirchen erklingt es gleichberechtigt mit dem traditionellen Sybillengesang.

Für viele gläubige Mallorquiner ist der "Cant de la Sibil·la" in der "Noche Buena" einer der Höhepunkte des kirchlichen Jahres. Der Sybillen-Gesang erklingt immer kurz vor der Mitternachtsmesse. Die Sibila singt weder Spanisch noch Lateinisch, sondern in der Sprache Mallorcas, in Mallorquín.

Sybillen waren Prophetinnen der Antike, die in der griechisch-römischen Welt verehrt wurden. Wahrscheinlich kam der Sybillen-Gesang mit den Römern nach Mallorca und wurde im Zuge der Christianisierung in die Weihnachtsmesse aufgenommen.

Während zu früheren Zeiten Jungen die Sibila sangen, dürfen das heute auch Frauen. Sie tragen dabei eine Art Tunika und Kopfschmuck mit Bändern, dazu ein Schwert als Zeichen der Gerechtigkeit.

Der Text hat acht Strophen mit Refrain, der vom Weltgericht, von Jesus als König der Welt und von der Ehre der Muttergottes erzählt.

Seit Dezember 2003 steht der Gesang der Sibila auf Antrag des Inselrates von Mallorca unter Denkmalschutz, später wurde er in die Liste der Weltkulturgüter der UNESCO aufgenommen.

In Palma hört man traditionsgemäß den schönsten Gesang bei den spanischen Gottesdiensten in der Kathedrale oder in der Klosterkirche von Sant Francesc. (G.K.)