Seit 48 Jahren ist er im Sommer der "Mallorca-Pfarrer" in Alemania: Joan Bestard Comas.

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Den Domkapitular der Kathedrale, Joan Bestard Comas, kennen die Inseldeutschen auch als "Mallorca-Pfarrer": Seit nunmehr 48 Jahren fliegt er jeden Sommer für zwei Monate nach Alemania, um dort, im Kölner Raum, die Urlaubsvertretung für seine deutschen Amtskollegen zu übernehmen. Geboren 1940 in Lloseta, ist der Domkapitular auch Diözesanbeauftragter für Tourismusseelsorge und Professor für Soziologie und Soziale Doktrin der Kirche im "Instituto Superior de Ciencias Religiosas" in Palma. Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher im Bereich Soziologie und Theologie.

Sein Spezialgebiet: Ethik. Auch in seinem neuesten Buch "Elogio de lo Ético: Reflexiones cristianas para cada dia" geht der Geistliche der Frage nach, welche - gelebten - Werte unsere Gesellschaft braucht, um wieder "lebenswerter" zu werden. Gerade in einer Zeit zunehmender wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche, so Bestard Comas, sei eine innere seelische Balance sowie die Ausrichtung auf sinnstiftende Inhalte für jeden Menschen (über)lebenswichtig.

MM sprach mit dem Geistlichen über "gelebte Werte": Was zählt heute wirklich, um sich in sozial unsicheren Zeiten ein ausgeglichenes und zufriedenes Leben zu bewahren?

Mallorca Magazin: Weihnachten heißt oft ja auch „Konsumzeit”, leckeres Essen ... Worin besteht für Sie das wichtigste „Lebensmittel”?

Joan Bestard Comas: Eines der wichtigsten „inneren Lebensmittel”  überhaupt im Alltag ist für mich die Hoffnung. Um sich diese zu bewahren, sollte sich jeder Mensch jeden Tag eine gewisse Zeit zur Selbstreflexion nehmen und sich fragen: Was ist mir wichtig im Leben? Worauf lege ich wirklich wert? Nur ein  – weitestgehend! –  selbstbestimmtes Leben auch kann Zufriedenheit bringen.

MM: Apropos Hoffnung: Die Flut der Hilfsaktionen, mit der die Spanier ihren Not leidenden Mitmenschen unter die Arme greifen – für Sie ein hoffnungsvolles Signal?

Bestard Comas: Auf jeden Fall. Echte Solidarität ist in diesen Zeiten notwendiger denn je. Kein falsches Mitleid, sondern die  feste Entschlossenheit da zu helfen, wo Menschen in Not sind.

MM: Warum wird die soziale Situation dann nicht besser?

Bestard Comas: Weil unsere Gesellschaft zu einseitig auf ökonomische Fragen ausgerichtet ist – gerade auch die politisch Verantwortlichen. Es ist an der Zeit, die Frage nach der menschlichen Würde  neu zu stellen: Der Mensch hat keinen Preis –  aber er hat Würde.

MM: Und was kann die Kirche, auch im modernen Europa, zu diesem anderen Verständnis beitragen?

Bestard Comas: Die Kirche hat den Auftrag, das neue Europa zu „humanisieren”: Die Globalisierung hat die Völker zwar näher zusammengebracht, aber sie nicht automatisch zu Brüdern gemacht. Wir dürfen uns nicht egoistisch abschotten, sondern müssen uns solidarisch  auch der Dritten Welt öffnen, wo jeden Tag Tausende Menschen an Hunger sterben.

MM: Worin liegt denn, Ihrer Meinung nach, dieser weit verbreitete Egoismus begründet?

Bestard Comas: Wir leben heute in einer Ära, ich möchte fast sagen, „der fiebrigen Aktivität” und eines auf die Spitze getriebenen Pragmatismus. Ständig werden neue „zukunftsweisende Projekte” vorangetrieben – aber es scheint mir, dass sich niemand die Zeit nimmt, die aktuelle Gegenwart überhaupt erst einmal angemessen zu analysieren. Um eine lebenswerte Zukunft für alle zu schaffen, muss man sich vor allem mit den Grundwerten befassen, auf denen sie gründen soll. Stattdessen ist die Menschheit völlig vom Hier und Jetzt so okkupiert und absorbiert, dass kaum Raum bleibt für die Entwicklung lebenswerter Perspektiven oder auch nur einen Blick über den Tellerrand – von einem „erweiterten Horizont” gar nicht erst zu sprechen.  

MM: Sie meinen: Weniger „machen” wäre mehr?

Joan Bestard Comas: Ja, was die Welt heute braucht, sind weniger Macher, sondern mehr Denker. Aber wie sagte schon Leo Tolstoi: „Alle wollen die Welt verändern, doch keiner denkt daran, sich selbst zu verändern.” Das gilt für jeden von uns: Wir alle sind aufgefordert,  uns – nicht nur zu Weihnachten – mehr Zeit zur Besinnung, zur Meditation, zu nehmen, wenn wir nicht in einem Alltag, der nur noch aus gewöhnlicher Routine besteht, dahinvegetieren wollen.

MM: Nun würden viele antworten: Dafür fehlt mir aber einfach die Zeit ...

Bestard Comas: Ab und an mal aus dem (Lebens-) Zug auszusteigen, um zu schauen, ob die Richtung – und das Ziel! – noch stimmen, dürfte wohl kaum jemand als „Zeitverschwendung” sehen. Wer es mit einer lebenswerten Gegenwart und Zukunft ernst meint, muss den Mut haben, zu den rein materiellen und unmittelbaren Alltagsbedingungen und -erfahrungen immer wieder inneren Abstand zu nehmen. Ohne bewusste Phasen der Reflexion wird unser Handeln gewöhnlich und unser Horizont beängstigend eng.

MM: Wir sprachen eben von Hoffnung. Was gibt Ihnen persönlich in diesen Weihnachtstagen Hoffnung?

Bestard Comas: Was meiner Hoffnung gerade Auftrieb verleiht, sind all die Menschen, die unentgeltlich – und mit Freude! – anderen helfen, vor allem den Armen und Bedürftigen.

MM: Wenn Sie sich für eine „Tugend”, einen Wert, entscheiden müssten: Auf welchen, glauben Sie, wird es 2014 besonders ankommen?

Bestard Comas: Solidarität. Das ist aber nicht nur ein Wort, sondern die feste Entschlossenheit, sich (mit)verantwortlich für seine Umwelt zu fühlen, und konkret und umgehend da zu helfen, wo Hilfe benötigt wird.

MM: Ihr Motto für 2014? Oder gibt es einen momentanen „Lieblingsaphorismus”?

Bestard Comas: Mein bevorzugter Aphorismus ist ein Wort von Nelson Mandela, der vor Kurzem gestorben ist und eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit war. Sein Leben lang kämpfte er für Gerechtigkeit und Gleichheit. Von ihm stammt das Wort: „Alles scheint unmöglich – bis man es macht.”