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Der Wind weht mit voller Kraft, Schaum-kronen auf dem Wasser zeugen von einem mächtigen Seegang. Der Ausblick auf die Bucht von Palma ist schlichtweg fantastisch: Hier in Son Veri Nou in der Gemeinde Llucmajor stehen Millionenobjekte mit Meerblick und hohen Zäunen.

Zu den Bewohnern dieser Häuser gehört Zdenka nicht. Sie hat Mühe, das Gleichgewicht zu halten, als sie über den Felsen zu ihrer Behausung hinabsteigt, eine Höhle inmitten der Steilküste. Die Höhle stammt aus der Zeit, als hier Marés-Stein für Neubauten in Palmas Altstadt abgebaut wurde. Zdenka und ihr Partner Jiri haben sich vor fast acht Jahren in dem Fels häuslich eingerichtet. Durch eine Art Flur gelangt man in das Höhleninnere. Den haben die beiden Tschechen angelegt, um sich vor dem Wind und der Brandung zu schützen.

Zdenka zeigt ein Foto von Jiri, einem kräftigen, sympathisch lächelnden Mitfünfziger. Am Morgen des 4. Dezember habe er über starke Schmerzen in den Beinen und der Brust geklagt, erzählt sie. Zdenka sollte ihm Medikamente geben, sie hatte aber keine mehr. Dann sei er gestorben. Die von ihr alarmierte Polizei konnte nur noch Jiris Tod feststellen.

Die Ortspolizei von Llucmajor will den Fall nicht weiter kommentieren. Man wisse, dass es dort noch mehrere Menschen gebe, aber ob es zwei oder 22 seien, könne man nicht bestätigen. Auch bei der Anwohnergemeinschaft Arenal kennt man die Problematik der Höhlenbewohner.

"Viele leben seit Jahren in den Steinbrüchen von Son Veri und wollen keine Hilfe der Behörden in Anspruch nehmen", heißt es. Das tschechische Paar war auch Biel Barceló von der Anwohnervereinigung bekannt. "Ich habe sie zufällig 2012 entdeckt, als ich eine Aktion zur Strandreinigung vorbereitete", erzählt er. Das Paar hätte wie Hippies dort gewohnt und keinem der Anwohner Probleme bereitet. Barceló ist der Meinung, dass der Sozialdienst von Llucmajor hätte agieren müssen.

Woran Jiri letztlich gestorben ist, darüber ist man sich zumindest in der "Höhlen-Szene" von Son Veri Nou einig. Lothar hält die Meldung in der Lokalpresse, die von "Unterkühlung" schrieb, für Quatsch. Für ihn war es Organversagen: "Die Leber. Jiri hat täglich acht Liter Wein getrunken", sagt er. Der 54 Jahre alte Deutsche mit dem braun gebrannten Gesicht ist drahtig und wirkt durchtrainiert. Er habe früher 20 Jahre geboxt und gebe hier die Regeln vor, sagt Lothar.

Die betreffen vor allem das Thema Geld: So wurden Jiri und Zdenka zwar am Treffpunkt vor dem Eroski-Markt des Ortes geduldet, aber durften sie dort nur die Einkaufswagen der Kunden zurückbringen und das Pfandgeld behalten, wenn es die Kunden zuließen. "Den Rucksack hinlegen und Geld einsammeln, das gab es nicht", stellt Lothar klar. Er habe Jiri auch mal geholfen, wenn der Probleme hatte. "Der war groß, aber weich", konstatiert Lothar.

Jiri und Zdenka seien okay gewesen, trotz ihres Alkoholkonsums und den teilweise abenteuerlichen Wohnbedingungen. "Die haben oft ein offenes Feuer in der Höhle gemacht, an einer Feuerstelle. Dabei haben die einen Herd", staunt er. Vor einem Jahr habe er Zdenka aus dem offenen Feuer gerettet. Sie war betrunken hineingefallen und hatte schwere Verletzungen erlitten. "Der haben sie ein Stück Haut vom Hintern verpflanzen müssen", sagt Lothar.

In seiner Höhle in einer Senke etwa 150 Meter vom Meer entfernt, herrscht strikte Ordnung. Das Innere wirkt trocken, sogar ein Holzboden ist verlegt. Ein Generator sorgt bei Bedarf für Strom, eine Heizung für Wärme. "Erfrieren? Das kannst du knicken", sagt er. Soll heißen: In dieser Höhle unmöglich.

Lothar und sein Mitbewohner Peter haben Fernsehen, ein richtiges Bett, sogar Fenster setzt er jetzt ein, aber nur aus Plastik. "Glas will ich nicht. Falls es zersplittert, verletzen sich meine Kinder", sagt er. Damit meint er seine Hunde Bella, Ricky und Marie-Louise. Sogar eine feste Postadresse hat Lothar, in einem Briefkasten oben an der Straße. In der Höhle kommt auch seine Freundin regelmäßig zu Besuch, verrät Lothar. Er fühlt sich offenbar heimisch dort. "Der Bürgermeister hat gesagt, dass ich hier bleiben kann, solange ich will."

Zehn Höhlen in Son Veri Nou seien bewohnt, sagt er. Andere wohnten im Wald zwischen dort und Arenal im Zelt. Die Zahl der Deutschen schätzt er auf zwölf. "Einige leben sehr primitiv und im Dreck", weiß Lothar. Viele könnten nicht nach Deutschland zurück. "Die haben noch Scheiße am Arsch", sagt er. Soll heißen: Sie würden polizeilich gesucht. Er selbst habe seine Strafe abgesessen, könne jederzeit zurück. "Ich will aber nicht."

Primitiv im Vergleich zu Lothars Behausung sieht es in der Höhle am Meer aus, die Jiri und Zdenka gemeinsam bewohnt haben. Das Bemühen um Häuslichkeit ist zu erkennen, dennoch wirken einige Ecken verwahrlost. Zdenka erzählt in ihrem rudimentären Spanisch die Geschichte: Beide waren im tschechischen Ostrau in einer Mine beschäftigt, Zdenka in leitender Position. "Alles zugemacht", sagt sie.

Danach haben die beiden ihr Glück bei der Orangenernte in Valencia versucht, seien dort übers Ohr gehauen worden und anschließend nach Mallorca gekommen. Das Glück war ihnen auch hier nicht gewogen, ein Gastspiel auf dem Bau und bei einem Parketthersteller in Manacor endete in der Arbeitslosigkeit. Die beiden fanden die Höhle in Son Veri und ließen sich dort nieder.

Denkt man sich die Umstände weg, könnte man sich einen Sommertag auf der Liege, die am Höhleneingang steht, ganz nett vorstellen. Der Blick ist jedenfalls kaum zu toppen. Zdenka wird ihn wohl noch länger haben, denn eine Idee, wie es weitergehen soll, hat sie nicht. An diesem Tag würde sie noch gerne zur Lottoannahmestelle gehen, um ihren Losschein zu checken. Jiri soll sogar mal etwas gewonnen haben, wissen die anderen Jungs vor dem Eroski-Markt: 1444 Euro. Ein kurzer Glücksmoment in einem Trauerspiel.

(aus MM 50/2014)