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Das Vorwort klingt vielversprechend:

Auch für Junggesellen ist gesorgt, denn wir führen Sie in Nachtlokale, wo Sie in persönlichen Kontakt mit der tanzenden und singenden weiblichen Jugend Spaniens kommen. Zu nächtlichen Champagner-Bootsfahrten führt Sie Ottos Reiseführer, den Sie gerade lesen, und bei Tage weist er Ihnen die schönsten Strände der Insel, wo Sie nach Herzenslust schwimmen, rudern oder Fische fangen können.

Gedruckte Reiseführer, die bemüht sind, Mallorca und seine Eigenheiten dem Besucher näherzubringen, hat es schon früh viele gegeben. Kein Wunder, bei einem Fremdenverkehrsverband wie dem Fomento del Turismo, der bereits 1905 gegründet wurde und intensiv auf die touristische Vermarktung der Insel setzte. Doch häufig handelte es sich bei den Büchern um Werke, die von spanischen Autoren verfasst wurden, um Mallorca in bestem Licht darzustellen, insbesondere seine kulturellen Schwerpunkte: Geschichte, Architektur, Kirchen, Liturgien. Es handelt sich dabei häufig um übersetzte Werke, die so holprig zu lesen waren wie etwa der Titel einer 1968 erschienenen Ausgabe: "Führer von Mallorca".

Dagegen war "Otto's moderner Reiseführer. Palma und die Insel Mallorca" - man beachte das angelsächsische Genetiv-Apostroph - ein Machwerk, das für sich in Anspruch nahm, der erste Insel-Reiseführer in deutscher Sprache zu sein. Das in Palma verlegte 100-Seiten-Buch mit eingefalteter Stadt- und Inselkarte erschien 1958 bereits in zweiter Auflage - also lange bevor der Handelskonzern Neckermann 1963 mit seiner ersten Pauschalreise auf Mallorca den Grundstein für den Massentourismus legte. Zum Vergleich: Die Mutter aller Reiseführer, der Baedeker, widmete sich der Insel erstmals 1979.

Das Kuriose an dem Otto-Büchlein: Er ist aus deutscher Perspektive geschrieben und hat somit all das Fremdartige im Blick, auf das Urlauber aus Alemania unweigerlich treffen, wenn sie sich auf die Insel begeben. Otto, Nachname unbekannt, war allerdings ein großer Mallorca-Fan, der "seine" Insel bestens präsentieren wollte: Er verstand seinen Reiseführer als Ratgeber an seine Landsleute, eine Anleitung zum Urlauben auf dem touristisch noch reichlich jungfräulichem Eilande:

Jede Reise ist ein Abenteuer. Eine Reise nach den Balearen, also in ein südliches Land, aber in besonderen Maßen. (...) Am besten ist es, Sie lassen dieses andere Land mit seinen anders gearteten Menschen ganz unbefangen auf sich wirken.

Otto rät den Ankömmlingen, den Aufenthalt in dem heißen, ungewohnten Klima langsam angehen zu lassen und sich vor der "misslichen mitteleuropäischen Hast" zu hüten, denn:

Der Spanier hat für Eile und Hasten nichts übrig. Das werden Sie bald merken: ob Sie einkaufen, ob Sie mit Ämtern und Behörden zu tun haben, ob Sie mit der Eisenbahn reisen oder Geschäfte tätigen - alles geschieht mit viel Zeit und Muße. In Spanien haben Neurosen - vor allem die berüchtigte Managerkrankheit - keine Aussicht, Feld zu gewinnen.

Otto hatte scheinbar wenig Verständnis, wenn deutsche Touristen sich über den Spanish Way of Life mokierten und Dinge markig im Hauruckverfahren "verbessern" wollten. Er riet:

Ärgern Sie sich auf keinen Fall! Auch wenn das Tischtuch in Ihrem Hotel einmal nicht ganz sauber und die Serviette offensichtlich nicht ganz frisch sein sollte. Machen Sie es, wie die Spanier selbst, die wahre Lebenskünstler sind: nehmen Sie die Dinge (wenigstens für die Dauer Ihrer Reise) leicht. Es ist nichts so wichtig, dass es Ihnen die gute Laune verderben dürfte.

Ottos Ratschläge reflektieren wie ein Spiegelbild Verhaltensweisen, wie sie damals offenbar von vielen ausländischen Mallorca-Touristen an den Tag gelegt wurden. An seinen Warnungen lässt sich aber auch die Euphorie ablesen, in die so mancher Urlauber während seiner Reise geriet. Manches davon erinnert an die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze 1989 und den Ansturm auf Bananen in den West-Supermärkten.

Seien Sie auch weise, was die Ernährung anbetrifft. (...) Der Mittel- und Nordeuropäer ist oft geneigt - was beispielsweise die Südfrüchte angeht - des Guten zu viel zu tun. Es ist ja auch so verführerisch: Orangen, Mandarinen, Wein, Melonen, Pfirsiche, Aprikosen, Feigen sind billig. Aber, Sie können nicht ausschließlich davon leben!

Noch eindringlicher sind Ottos Warnungen, was das Trinken angeht. Die Beschreibung macht deutlich, dass nicht nur die Wasserversorgung in den Pioniertagen des Tourismus auf die Besucher abenteuerlich gewirkt haben muss. Auch die heute überall stets vorhandenen Eiswürfel waren damals keine Selbstverständlichkeit. Die erste kommerzielle Eiswürfelfabrik in Palma entstand um 1970. Und so riet Otto den Durstigen:

Hüten Sie sich vor zu vielem Trinken! Vor allem vor geeisten Getränken. Und seien Sie dem Wasser gegenüber misstrauisch. Trinken Sie kein Zisternenwasser! Ruhr, Darmkathare und Schlimmeres könnten die Folgen vom Genuss verseuchten Trinkwassers sein. Nehmen Sie lieber Mineralwasser, oder das mit Kohlensäure angereicherte Mineralwasser, (beide sind in allen Restaurants und Bars zu haben).

Auf alten Fotos aus den Kindertagen des Tourismus ist oft zu sehen, wie die Herren Urlauber sich oft in Schlips und Kragen durch Palma bewegten. Da ist es dann kaum befremdlich, in dem Reiseführer zu lesen:

Herren möge sich hüten, in den Sommertagen mit ihrer starken Sonneneinstrahlung tagsüber "gute" Kammgarnanzüge zu tragen. Die Sonne bleicht in kurzer Zeit alle Stoffe aus, und schon mancher war enttäuscht, wenn nach einem Aufenthalt im Süden die Hose nicht mehr zum Sakko passte.

Den Damen empfahl der Reiseführer, in der Öffentlichkeit auf schulterfreie Kleider zu verzichten. Die Polizei habe zudem Anweisung, gegen Träger zu "leichter" Kleidung aufzutreten. Ottos Beschreibungen lassen erkennen, wie sehr sich die Insel seit den 1950er Jahren in der Bekleidungsnorm gewandelt hat:

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Vor allem aber bei Kirchenbesuchen achten Sie, bitte, auf korrekte Kleidung. Damen müssen bei Eintritt in die Kirche den Kopf bedecken. Die Spanierin bedient sich dabei meist eines schwarzen Schleiers (der ihr übrigens vorzüglich steht). Es genügt aber durchaus, wenn Sie sich ein frisches Taschentuch über den Kopf breiten. Herren sollen Kirchen nicht ohne Sakko betreten.

Über die heimische Inselbevölkerung ist Otto voll des Lobes: Die Mallorquiner sind freundlich, zuvorkommend und - für südliche Verhältnisse - außerordentlich arbeitssam. Sie kommen dem Fremden liebenswürdig entgegen.

Heinz Görz, ein anderer Autor, der seinen Reiseführer "Urlaub auf Mallorca" 1960 veröffentlichte, ließ seine Leser wissen: Sie werden einfachen und ehrlichen Menschen mit natürlicher Heiterkeit begegnen. Man wird Sie als Gast und Freund empfangen, wenn Sie als solcher auftreten.

Denkt man daran, wie in heutiger Zeit selbst ernannte Mallorca-Liebhaber auf "ihren" Café con leche in "ihrer" Bar (Bosch?) schwören, dann macht die Lektüre deutlich, wie viel Aufklärungsarbeit bei den deutschen Kaffeetrinkern einst nötig war, wenn Otto schreibt:

Vielleicht ist der Kaffee, verehrter Leser, den Sie zum Frühstück bekommen, Ihre größte Enttäuschung. (...) Gemach - alles ist eine Sache der Gewohnheit! Und wenn Ihnen der Kaffee auch nicht in einer Kanne serviert wird, und wenn er auch den charakteristischen Duft vermissen lässt, den Sie so an ihm lieben - vielleicht werden Sie selbst künftig, nach Ihrer Balearen-Reise, auch zu Hause Ihren Kaffee nach spanischer Art trinken wollen. (...) Es gibt Ausländer, die regelrecht süchtig nach ihm werden.

Interessanter Kontrast: Heute kommen viele Bundesbürger nach Mallorca eigens zu dem Vorhaben eingeflogen, viele authentische Tapas zu vertilgen. Damals musste den Besuchern die kulinarische Seite der Reise erst mühsam nahegebracht, ihnen fremde Gerichte vermittelt werden. Denn in den Hotels wie dem San Francisco an der Playa de Palma waren innovative Betreiber wie Luis Riu seit 1953 durchaus bemüht, den Gästen ihr gewohntes deutsches Essen aufzutischen. Ottos Reiseführer empfahl Besuchern in Palma seinerseits:

Hier, in diesen kleinen spanischen Restaurants, in den Fondas und Bodegas, bekommen Sie am unverfälschtesten die spanischen Spezialgerichte, von denen Sie einige unbedingt kennenlernen müssen. Da ist vor allem der arroz in allen seinen Abarten. Arroz heißt einfach Reis. (...) Probieren Sie einmal "Arroz Paella", auch kurz "Paella" genannt, das ist spanischer Reis nach valencianischer Art. Er ist köstlich!

Ähnliches ist zu anderen Fischgerichten zu vermelden. Die Beschreibungen machen deutlich, wie Generationen von Deutschen auf Mallorca kulinarische Entwicklungshilfe in Sachen mediterraner Lebensart erhielten:

Eine weitere Spezialität, die Sie kennen lernen sollten, ist Tintenfisch, spanisch calamares. (...) Nur die Arme des Tintenfisches werden zum menschlichen Genuss verwandt. Sie sehen aus wie fingerdicke Ringe aus festem Fleisch und schmecken in pikanten Soßen prächtig.

Die Reiseführer der Vergangenheit lassen eine vergangene Insel auferstehen, mit Bewohnern und Besuchern, die mit ihresgleichen von heute zum Teil nicht mehr viel gemein haben. Mallorca war damals für die meisten Touristen unbekanntes Neuland. Die Mallorquiner wiederum, die damals politisch in der Franco-Diktatur beheimatet waren, kamen über die Zugereisten in Kontakt mit westlicher Liberalität und Offenheit der damaligen Zeit. Die damaligen Beschreibungen lassen beim heutigen Lesen einen Widerschein des kulturellen Zusammenpralls aufglimmen, wie er damals auf beiden Seiten zu spüren war.

Daneben enthalten die Reiseführer Textpassagen, die, wie in jüngsten Werken auch, nicht müde werden, die paradiesische Schönheit der Strände, Berge und Landschaften zu loben. Damals - bei weit weniger verbauten Buchten, mögen die Schilderungen der jungfräulichen Playas sicherlich durchaus zutreffender gewesen sein, als sich das für heute behaupten lässt. Nur ein Beispiel:

Nach wenigen Minuten (...) erreicht der Autobus seine Endstation Ca's Catalá, vor dem Luxushotel "Maricel". Hier hört die Bebauung auf, die Außenbezirke Palmas haben ihr Ende erreicht. Nur vereinzelt stehende Villen liegen hier noch in den schütteren Pinienbeständen verborgen. Und hier draußen beginnt endlich die "freie Natur". Reizvolle Buchten, in denen sich romantische Felsen türmen, umgeben von Pinien, laden zum Baden ein. Schmale Pfade entlang der Küste führen zu den beliebten Badeplätzen Bendinat, Illetas, Portals Nous und Palma Nova.

Die Beschreibungen der Kirchen, Altstadtpaläste und Ausflugsrouten klingen, damals wie heute, weitgehend identisch. Kurios ist hingegen in einem Reiseführer von 1957 speziell zu Sóller ein Wanderhinweis zu Mallorcas höchstem Berg Puig Major. Dessen Gipfel war damals noch nicht dem US-Militär zum Bau einer Radarstation überlassen worden. In der deutschen Übersetzung des Buches von Jaime Vidal Alcover heißt es dazu:

Für diesen Ausflug hat man schon seit vielen Jahren ruhige Reittiere in Sóller gemietet. Auskünfte über den Preis, wo man sie vermietet u.s.w. finden Sie in Ihrem Hotel oder in Fomento de Turismo auf der Plaza. Sowohl zu Fuß als auch zu Pferd muss man für diesen Ausflug mit Pausen von Sóller aus ungefähr sechs Stunden rechnen. Der Erzherzog Luis Salvador schreibt in "Die Balearen", dass vier Stunden genügen. Entweder muss die menschliche Rasse ein bisschen langsamer geworden sein, oder seine Hoheit und seine Begleiter müssen unermüdliche Fußgänger gewesen sein, die keine Pausen brauchten.

Wie der Höhepunkt des Puig Major sind auch die Flamenco-Hinterhöfe in Palmas Lonja-Viertel seit jenen Tagen der späten 1950er Jahre verloren gegangen. Die Jungfräulichkeit der Insel, sie blieb dort offenkundig am schnellsten auf der Strecke, auch wenn Otto damals noch zu warnen wusste:

Wohin geht man des Nachts? Wer mondäne Zerstreuung liebt, der findet sie in den zahlreichen Kabaretts, den sogenannten "Andalusischen Patios" (Bars Felipe und Casa Blanca in der Nähe der Lonja) und anderen Nachtlokalen, wo spanische Tanzvorführungen geboten werden, und wo man zwischendurch auch sich selbst auf dem Parkett versuchen kann. Nur muss man hier seine Brieftasche ein wenig schützen, denn manche dieser Lokale nähern sich in ihrer Geschäftsgebahrung ein wenig dem Nepp. Überall dort, wo Tänzerinnen (in Kostüm und Kastagnetten) an den Bars lehnen, ist in Bezug auf den Geldbeutel Vorsicht geboten.

(aus MM 52/2015)