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Das Buch des Krimiautors Alejandro García Llinás, das einen tatsächlich 1929 verübten Doppelmord in Sant Jordi thematisiert, gibt einen Eindruck davon, wie der Kommissar aus Palma damals die zwölf Kilometer auf unasphaltierten Straßen zurücklegen musste, um zum Tatort zu gelangen. Damals war die Ebene östlich von Palma - wo heute der Flughafen von Palma gut ein Drittel der Fläche - einnimmt, ein einziges Agrargebiet. In der Region flossen regelrecht Milch (und selbst Honig). Die Gegend war reich an Tierhaltung, auf den Weiden grasten ganze Herden von Kühen.

Noch bis in die 1970er Jahre war zwischen den Dörfern Son Ferriol, Sa Casa Blanca, Sant Jordi, S'Aranjassa und Es Pil·lari lautes Muhen zu vernehmen, das dann allmählich vom Fluglärm der startenden und landenden Maschinen auf dem 1960 eröffneten Airport von Son Sant Joan verdrängt wurde. Heute zeugt lediglich die Molkerei Agama an der Hauptstraße Palma-Manacor von der einstigen Milchviehtradition der Gegend.

Was die Landschaft der Ebene seit dem 19. Jahrhundert prägt, sind die meist viereckigen Windmühltürme in den Wiesen. Mit Windkraft wurden die primitiven Hebevorrichtungen angetrieben, um das dicht unter der Erdoberfläche ruhende Grundwasser in die Speicherbecken sprudeln zu lassen und so das einstige Morastgebiet ein wenig trockenzulegen.

Viele der einstigen Gutshöfe, in denen die Landwirte und ihre Familien lebten, stehen heute leer oder sind zu Ruinen verfallen. Wo früher reichlich Tomaten, Gurken, Paprika, Auberginen, Salate, Rüben, Zwiebeln, Kohl angebaut wurde, um die Stadt Palma mit Gemüse zu versorgen, wächst heute allenfalls Grünfutter, das an Reiterhöfe und Schafzüchter verkauft wird. Zwischen den verbliebenen grünen Parzellen haben sich Asphaltpisten und Gewerbegebiete, Treibstofftanks, Kraftwerke, Klär- und Entsalzungsanlagen breitgemacht. Auch die Drogenhandel- und Elendssiedlung Son Banya ist dort zu finden.

Son Ferriol ist eines der einstigen Bauerndörfer, in denen auch Händler und Handwerker ihre Betriebe hatten. Esperanza Galmés ist seit mehr als 60 Jahren in ihrer Bar Esperanza zugegen. Früher sei im Ort viel mehr losgewesen, sagt sie. Doch mit den großen Supermärkten wie Carrefour und Alcampo seien kleine Läden eingegangen. "Son Ferriol wird mehr und mehr zu einem Schlafdorf", sagt ihr Sohn Gaspar Sampol.

Zehn Jahre ist es nun auch her, dass die autobahnartige Landstraße Palma-Manacor, die direkt an Son Ferriol vorbeiführt, errichtet wurde. Einer der Betriebe, die damals von der neuen Trasse betroffen waren, ist das 1910 gegründete Gartenbau-Unternehmen Can Juanito. "Die Autopista hat unser Grundstück zerschnitten. Wir haben 6000 von insgesamt 25.000 Quadratmetern eingebüßt und können die südlich gelegene Hälfte nicht mehr rentabel nutzen", sagt Geschäftsführer Juan Sastre.

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Für ihn halten sich die Vor- und Nachteile der neuen Verkehrsführung die Waage. "Wir haben Anbau- und Lagerfläche verloren. Und die Entschädigung von bis zu 500.000 Euro ist bis heute nicht erstattet worden - ungeachtet eines Gerichtsurteils zu unserem Gunsten." Positiv sei, dass die Arbeit, die man aus Platzmangel nun besser organisieren müsse, effizienter geworden sei. Nutzer der Autobahn fahren zudem dicht am Namenslogo der Firma vorbei, was gut für die Werbung sei, auch wenn das Gelände jetzt nur noch über verwinkelte Zufahrten erreicht werden könne. "Damals lagen wir direkt an der Durchgangsstrecke. Heute kommt hier nur vorbei, wer die Landstraße bewusst wählt."

Die alte Trasse, sie verlief damals auch mitten durch Sa Casa Blanca. Heute liegt der Ort links und rechts der Autobahn, die von ihrem Hochdamm aus den Autofahrern eine Aufsicht auf das Dorf und seinen Kirchplatz bietet. "Hier, direkt an der Straße, ist es besser geworden, denn als der Verkehr noch durch das Dorf strömte, sind Menschen zu Tode gefahren worden", sagt ein einäugiger Gast in der Bar Ca Na Pereta; der letzten Bar, die es im Ort noch gibt. Alles andere, so der Mann, habe sich verschlechtert. Die einst gutbesuchten Restaurants an der alten Landstraße, wie Es Control und Can Rigan haben dichtgemacht. Anwohner müssen Umwege fahren, da Sa Casa Blanca keine eigene Ausfahrt in Richtung Algaida besitzt.

Man liege im Windschatten der Überlandverbindung, abgeschnitten und vergessen. "Wir sind hier eine Katastrophen-Zone", resümiert der Einäugige, und seine Tischnachbarn, Männer mit rauen Händen, nicken zustimmend. "Wir haben hier Autolärm, Fluglärm, im Sommer die Mücken, und die Kläranlage von Palma lässt ihr Abwasser im Boden versickern, so dass die Wasserqualität unserer Brunnen belastet ist", sagt der Mann. Vom Rathaus in Palma sei hingegen nichts zu erwarten.

Im Innern der Bar gibt es noch die Holzkabine, als vor Jahrzehnten das erste Telefon in das 400-Einwohner-Dorf gelegt wurde. Der Wirt hat volle Sektflaschen von 1900 aufgehoben, die damals vier Pesetas das Stück gekostet hatten. "Wir wollen uns unabhängig erklären von Palma", sagt der Wirte-Sohn Lorenzo Gímenez. "Dann könnten wir vom Flughafen leben. Denn der liegt auf dem Gebiet von Casa Blanca."

Unaufgeregt geht es auch in den anderen Dörfern rund um den Flughafen zu. In Sant Jordi, das auf einem Hügel thront, ist ein Anwohnerverein aktiv, um das Dorf mit Festivitäten zu beleben. "Wir organisieren uns selbst. Was wir nicht auf die Beine stellen, findet auch nicht statt", sagt Antonia Pizá von der Papierwaren- und Modeboutique am Platz.

Ähnlich ist es in S'Aranjassa. Dort gibt es noch zwei Bars, eine Bäckerei, einen Lebensmittelladen. Enrique Pérez, der früher am Airport einem Restaurant vorstand, schiebt seinen Enkel im Kinderwagen durch den Ort. "Seid willkommen", sagt er, und zeigt auf den leeren Platz, nur eine Frau ist am Fegen, "willkommen im ruhigsten Dorf von ganz Mallorca."

(aus MM 1/2016)