Die Gepflogenheiten auf Mallorca sind anders als in Deutschland. | Foto: Patricia Lozano

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"Wir treffen uns in 15 Minuten wieder hier. Aber bitte deutsche 15 Minuten, nicht spanische", sagt Antonio Méndez und grinst. Der junge Argentinier führt spanischsprachige Reisegruppen durch die Altstadt von Palma de Mallorca und weiß: Pünktlichkeit ist nicht unbedingt das, wofür Spanier bekannt sind. Trotz der klaren Ansage trudeln die letzten Gruppenmitglieder erst nach knapp 25 Minuten wieder am Treffpunkt ein. "So ist das hier nunmal", sagt Méndez und bleibt gelassen.

Von der spanischen Unpünktlichkeit kann Frank Krüger ein Klagelied singen. Der Berliner Künstler lebt seit mehr als 20 Jahren auf der Insel, gewöhnt hat er sich an die dehnbaren Zeitabsprachen nicht. "Ich finde es immer wieder erschreckend, wie unpünktlich die Leute hier sind", erzählt er. Egal, ob auf Kindergeburtstagen, bei Verabredungen zum Essen oder dienstlichen Terminen. "Einmal ist eine Bewerberin sogar 20 Minuten zu spät zum Vorstellungsgespräch gekommen, da stimmt meiner Meinung nach die Einstellung nicht." Von seinen Mitarbeitern erwartet Krüger absolute Pünktlichkeit, fünf Minuten zu spät zu kommen ist bei ihm nicht drin. "Mir ist Pünktlichkeit nunmal überaus wichtig."

Deutsche und Spanier, in keiner Hinsicht scheinen sie so verschieden zu sein wie bezüglich der Termine. "Es treffen zwei extreme Haltungen aufeinander", bestätigt auch Jochen Mecke. "Aber so verschieden, wie viele denken, sind wir auch nicht." Mecke ist Romanistik-Professor an der Universität Regensburg und hat 2012 mit Kollegen das Buch "Deutsche und Spanier - ein Kulturvergleich" herausgegeben. In einem Kapitel widmet er sich dem Zeitverhalten der Spanier. Was Krüger in der Praxis erlebt, kann Mecke in der Theorie nicht vollständig bestätigen. "Bei der Frage, ob Spanier unpünktlich sind, muss man differenzieren zwischen Beruflichem und Privatem", betont er. "In der Regel kommen auch Spanier pünktlich zur Arbeit, da gibt es keine Unterschiede", erklärt er im Gespräch mit MM. Und an der ein oder anderen Stelle sei auf spanische Pünktlichkeit sogar mehr Verlass als auf deutsche: "Wer häufig mit der 'Deutschen Bahn' unterwegs war, kann das bestätigen."

Anders bei der Arbeitsweise: Hier gebe es durchaus Unterschiede zwischen Deutschen und Spaniern. Während Deutsche in der Regel eine Aufgabe nach der anderen erledigen, beschäftigen sich Spanier im Dienst oft mit mehreren Sachen parallel und erledigen auch Dinge, die spontan wichtig sind. Das führe einerseits zu mehr Flexibilität und andererseits zu einer dehnbaren Interpretation von Fristen. "Ich würde es als Kompetenz bezeichnen, dass Spanier oft mit mehreren Bällen gleichzeitig jonglieren können. Sie sind dadurch unterm Strich nicht weniger schnell und pünktlich. Nur uns Deutsche wirft es schnell aus der Bahn, wenn etwas Unerwartetes dazwischenkommt."

Auch Frank Krüger hat die deutsche Arbeitsweise verinnerlicht. "Ich kann es nicht positiv sehen, wenn ich dienstlich eine halbe Stunde auf jemanden warten muss. Es ist für mich Verschwendung von Zeit, die ich besser nutzen könnte."

Hans Koszyl sieht das gelassener. Der 67-jährige Bayer war früher zwölf Jahre beim Militär, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind auch ihm sehr wichtig. Trotzdem kann er in seinen mittlerweile zehn Jahren auf Mallorca der spanischen Gelassenheit einiges abgewinnen. Wie Krüger hat er viele spanische Nachbarn und Bekannte. "Ich bewundere die Ruhe, mit der die Spanier manchmal ihren Kaffee trinken oder im Café sitzen", erzählt er und fügt hinzu. "Ich könnte das nicht."

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Dass Spanier ihre Freizeit tatsächlich anders (oder besser gesagt: weniger) strukturieren als Deutsche, bestätigen die Studien von Uni-Professor Mecke. "Freizeit ist für Spanier vielmehr die Freiheit von Zeit", erklärt er. Nicht Wochen im Voraus zu planen, nicht nur nach der Uhr zu leben und nicht die Termine wie im Arbeitsleben hintereinander zu takten macht für Spanier häufig ihre freie Zeit aus. Da wird "ahora" schnell zu einem dehnbaren Begriff. Das, so Mecke, könne auf die Industrialisierung zurückzuführen sein, die in Deutschland früher einsetzte und den Tag der Menschen durchstrukturiert. "Deutsche übernehmen die Terminkalenderstruktur oft auch über die Arbeitszeit hinaus, Spanier ziehen da eher einen Trennungsstrich." Wer sich mit einem Spanier auf einen netten Abend treffen will, sollte daher am besten spontan fragen, denn private Verabredungen Wochen im Voraus sind einfach nicht üblich.

"Befragungen haben ergeben, dass Spanier im Allgemeinen der Gegenwart mehr Bedeutung beimessen, während die Deutschen eher auf die Zukunft ausgerichtet sind." Trifft ein Spanier einen Bekannten auf der Straße, wird angehalten und kurz geplaudert - auch, wenn sich dadurch geplante Verabredungen nach hinten verschieben.

Dass Deutsche und Spanier bei einer privaten Verabredung gleichzeitig am Treffpunkt ankommen, ist daher unwahrscheinlich. Der Deutsche hetzt sich, um seine fünf Minuten Verspätung wieder rauszuholen - und muss dann weitere 20 Minuten warten, bis der Spanier entspannt eintrifft, stolz, dass er es "fast pünktlich" geschafft hat. Mit Unhöflichkeit hat das Zuspätkommen übrigens nichts zu tun. Selbst der deutsche Knigge verweist bei dem Thema auf die "Wichtigkeit der Etikettenregeln der jeweiligen Kultur".

"Eine Viertelstunde kann man immer draufrechnen", bestätigt auch Mallorca-Resident Koszyl. Er wendet mittlerweile Tricks an. "Wenn ich mich um 14 Uhr mit jemandem treffen möchte, dann sage ich ihm 13.45 Uhr, dann klappt es auch", erzählt er und schmunzelt. "Und auf Handwerker muss man auch in Deutschland warten, das ist nicht nur in Spanien so."

Leute, die mehr mit Koszyl zu tun haben, respektierten aber seine Einstellung, dass ihm Pünktlichkeit wichtig ist. "Wie man in den Wald ruft, so schallt es auch wieder heraus", ist er sich sicher. "Wenn man die Mentalität des Landes respektiert und einiges davon annimmt, dann wird auch respektiert, dass man manche deutsche Werte nicht ablegt. Viele Spanier schaffen es mittlerweile, pünktlich da zu sein, wenn sie sich mit mir treffen."

"Statt sich über Verspätungen zu ärgern, sollte man lieber die positiven Seiten sehen", empfiehlt auch Romanistik-Professor Mecke. "Das ist für uns Deutsche nicht immer einfach. Aber durch ihre Flexibilität räumen Spanier einem gegebenenfalls auch mal spontan Prioritäten ein, die Deutsche einem so schnell nicht einräumen würden."

Das erinnert an das Zitat des Buchautors Robert Brault: "Ich schätze den Freund, der auf seinem Terminkalender immer noch Platz für mich findet. Noch lieber aber ist mir einer, der seinen Terminkalender bei mir gar nicht zu Rate zieht."