Jahrzehntelange Erfahrung: Die Gerichtsmedizinerinnen Dr. Emilia Saals (links) und Dr. Maria Angustias Jiménez. | Patricia Lozano

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Jedes Detail am Tatort und an der Leiche gibt uns Hinweise darauf, was passiert ist", sagt Gerichtsmedizinerin Dr. Maria Angustias Jiménez. Kam ein Mensch beispielsweise durch Stichverletzungen ums Leben, weisen Blutspritzer an der Kleidung, auf dem Fußboden darauf hin, wie sich das Verbrechen ereignete. "Wir durchleben sozusagen, was sich ereignet hat", sagt Jiménez.

Wie lässt es sich nach solchen Fälle allerdings schlafen? "Manchmal schläft man einfach nicht", betont Jiménez. Ihre Freundin und ehemalige Kollegin Dr. Emilia Salas fügt an: "Man muss bei der Arbeit natürlich professionelle Distanz wahren." So werde kein Gerichtsmediziner mit einem Fall betraut, bei dem er Täter oder Opfer kennt. "Man darf sich einfach nicht auf das Drama einlassen, das sich am Tatort abspielte." Salas nennte den Fall von "Dr. Tod", des Arztes Rüdeger Peter Oyntzen, der 1996 in Sa Coma seine beiden Kinder totspritzte. Einen Fall, den sie nie wieder vergessen wird. "Als Anfänger belastet es einen natürlich, keine Frage", sagt Emilia Salas.

"Auch wenn ich mir als Mutter überlege: das eigene Kind fliegt nach Mallorca in den Urlaub und kommt nicht wieder, das ist natürlich schmerzhaft", sagt Jiménez im Hinblick auf junge Todesopfer, die beispielsweise durch Balconing ums Leben kommen. "Oder wenn man ein Baby obduzieren muss, das geht an die Nerven", so Salas, selbst Mutter zweier mittlerweile erwachsener Kinder.

Doch solche Fälle seien glücklicherweise die Ausnahme. 90 Prozent der Deutschen beispielsweise, die auf Mallorca ums Leben kommen, sterben eines natürlichen Todes oder wegen Krankheit, die restlichen bei Unfällen. Es sei emotional schon ein Unterschied, ob man ein Gewaltopfer auf dem Tisch hat oder jemanden, der eines natürlichen Todes starb. "Auch mit dem Geruch des Todes lernt man zu arbeiten, ich denke immer, es sind natürliche Vorgänge", sagt Emilia Salas.

Seit zehn Jahren arbeiten die Frauen in Palmas Gerichtsmedizin, seit 25 Jahren sind sie Kolleginnen, zunächst in Inca und Manacor, später in der Inselhauptstadt. Maria Angustias Jiménez arbeitet seit 35 Jahren als staatliche Pathologin, mittlerweile ist sie als private gerichtsmedizinische Gutachterin tätig. "Die Autopsie ist wahrscheinlich der bekannteste Teil unserer Arbeit", sagt Emilia Salas. Gerichtsmediziner erstellen auch Gutachten über Lebende. Beispielsweise wenn es um die Schuldfähigkeit eines Verdächtigen oder um Vergewaltigungsopfer geht. Sie nehmen Blutproben bei Unfallfahrern: "Der höchste Blutalkoholgehalt, den ich mal gemessen habe, waren fünf Promille", erinnert sich Emilia Salas, da sei man eigentlich tot.

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Auch Bescheinigungen zur Arbeitsunfähigkeit oder für Behinderungen stellen die Medizinerinnen aus. "Wenn wir jemanden für unmündig erklären, ist das eine große Verantwortung." 9000 Menschen werden in Palma jährlich von Gerichtsmedizinern begutachtet, dem stehen 900 Autopsien gegenüber.

Insgesamt arbeiten auf Mallorca 16 Pathologen im Schichtdienst, jeweils einer hat 24-Stunden-Bereitschaft für Palma sowie Inca und Manacor. "In der Bereitschaft kann alles passieren", sagen die Ärztinnen, nicht selten mussten sie in einer Nacht dreimal rausfahren. Besonders als ihre Kinder noch klein waren, bedeuteten die Schichten viel Koordinierungsarbeit. Bis Februar 2016 musste die Leichenschau am nächsten Tag nach der Bereitschaft durchgeführt werden. "Das war sehr anstrengend." Doch nun bekommen die Ärzte nach geltendem europäischen Arbeitsrecht Zeit zum Ausruhen.

Auch Verletzungen beschauen die Frauen: "Dabei untersuchen wir, ob sich die Opfer die Verletzungen selbst zugefügt haben oder ob sie angegriffen wurden und wenn, von wie vielen Personen." Dabei begutachten sie auch Opfer von häuslicher Gewalt. "Was auffällt, dass darunter fast nie Deutsche sind", sagt Maria Angustias Jiménez. "Die Frage ist natürlich, ob viele Frauen die Gewalt nicht anzeigen", fügt Emilia Salas an.

"Die Gerichtsmedizin spiegelt das Leben wider", sagen die Frauen, deshalb hätten sie sich auch für den Beruf entschieden. Während einer Untersuchung und Autopsie erfahren sie viel über die Person. Befriedigend sei es, auch den Hinterbliebenen helfen zu können. Sei es, um ihnen mitzuteilen, dass ihr Angehöriger eines natürlichen Todes starb, oder um einen Teil zur Aufklärung eines Verbrechens beizutragen.

In Filmen werde oft gezeigt, dass Gerichtsmediziner Kriminalfälle lösen, das sei im echten Leben allerdings nicht der Fall. "Wir liefern die Untersuchungsergebnisse, doch die Polizei überführt die Verbrecher." Polizei und die Gerichtsmedizin arbeiten immer gut zusammen: Fast alle Verbrechen würden aufgeklärt. "Ich kann mich nur an einen Mordfall erinnern, der bis heute nicht gelöst wurde", sagt Jiménez, "doch das perfekte Verbrechen gibt es nicht."

(aus MM 23/2016)