Die Seegraswiesen spielen eine Schlüsselrolle im Ökosystem des Meeres. | Andreas Ahrens

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Mark Brenner seufzt vor Genuss. "Das Wasser ist so klar, ich habe beim Kraulen den Meeresgrund gesehen", schwärmt der 40-Jährige. Am Tag zuvor ist er mit seiner Familie auf die Insel gekommen. Gerade hat er vor Sant Elm zum ersten Mal gebadet. Sohn Max buddelt energisch im Sand. Die Mutter sonnt sich am Strand. Auf den Felsen daneben werfen Mallorquiner die Angelschnüre aus. Vorsaison auf Mallorca.

Während Touristen und Einheimische Strand und Meer genießen, grübeln Wissenschaftler des Meeresforschungsinstituts Imedea in Esporles, wie ihre Zerstörung gebremst werden kann. "Ökosystemdienstleistung" heißt das Konzept. Den Wert von Ökosystemen quantifizieren und in politische Entscheidungen einbeziehen, lautet das Ziel. Das klingt abstrakt. Julia Santana vom Forschungsteam hilft nach: "Wir Wissenschaftler sagen immer, dass es wichtig ist, die Umwelt zu schützen. Aber die Entscheidungsträger denken in wirtschaftlichen Kategorien. Indem wir den Nutzen der Umwelt in Zahlen und Geld ausdrücken, sehen sie, dass Ökosysteme auch einen wirtschaftlichen Wert haben. Wir sprechen die gleiche Sprache."

Die Meeresbiologin Nuria Marbà leitet die Studie. Die schönen Strände der Balearen, das klare Wasser und der Fischreichtum seien hauptsächlich dem Seegras Posidonia oceanica zu verdanken, sagt sie. "Anders ausgedrückt: Die Posidonia ist ein Ökosystem, das Dienstleistungen erbringt: Sie bremst die Stranderosion, weil sie wie ein schützendes Riff den Wellengang abschwächt. Ihre Blätter reinigen das Wasser, indem sie kleine Partikel auffangen. Sie ist Heimat und Nahrungslieferant für viele Fische und Krebse. Die Posidonia leistet auch einen enormen Beitrag zum Klimaschutz. Ihre Felder können mehr Kohlenstoff aufnehmen als Wälder. Und sie lagern das CO2 lange im Sediment, Hunderte, Tausende von Jahren, wenn wir die Felder nicht zerstören."

Die Forscher versuchen nun, diese Leistungen in Zahlen auszudrücken. Einige Ergebnisse können sie schon nennen. "Die Seegraswiesen um die Balearen speichern jährlich 100 Gramm CO2 pro Quadratmeter, insgesamt genauso viel wie alle Inselwälder zusammen", sagt Nuria Marbà. Dabei bedecken die Posidonien 630 Quadratkilometer Fläche, die Wälder dagegen dreieinhalbmal so viel. Die Berufsfischerei profitiere von den Seegrasfeldern mit zwischen 600.000 und 800.000 Kilo Fang pro Jahr. Das entspreche rund 1100 Kilo Fisch pro Quadratkilometer Seegras. Hinzu komme der Nutzen für die Sportfischerei, der jedoch schwerer zu berechnen sei. Der wirtschaftliche Wert der Dienstleistungen der Natur beeindrucke, meint Julia Santana. "Er ist viel höher, als er bei einer Firma sein könnte, und er ist konstant."

Um die Balearen wachsen die Hälfte aller Seegraswiesen der spanischen Mittelmeerküste. "Sie sind also ein sehr wichtiger Dienstleister", betont Nuria Marbà. Außerdem sei die Fähigkeit zur Speicherung von CO2 hier sehr hoch. Das gelte besonders für das Gebiet um Pollença. "Um so dringender ist der Schutz der Posidonia hier. Denn wenn wir sie zerstören, wird nicht nur viel weniger Kohlenstoff gespeichert, sondern auch besonders viel wieder freigesetzt."

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Gesetze zum Schutz gibt es. Es sei eines der wenigen Gebiete, in denen unter den Parteien Einigkeit herrsche, sagt Marbà. Unter anderem dürfen Posidonia-Exemplare nicht entfernt werden, weder die Pflanze im Wasser noch die trockenen Blätter oder die Seebälle am Strand. Ankern auf Seegraswiesen ist verboten, allerdings kommt es auf die Meerestiefe an. "Es gibt viele Gesetze, aber sie sind schwer zu verstehen, schwierig umzusetzen und zu kontrollieren", meint Ana Ruiz vom Forschungsteam.

Die sozialen Akteure wie Balearen-Regierung, Yachtclubs und Fischereiverbände, gestalten das Projekt mit. "Sie melden ihre Interessen an", sagt Ana Ruiz. Im Vorfeld hat sie alle Interessensgruppen zur Posidonia interviewt. Die einzigen, die den Termin absagten, waren die Hotelverbände. Die Verbindung zwischen Tourismus, Stränden und Posidonia sei ihnen nicht klar. Wenig Bewusstsein herrsche auch in der Bevölkerung und so gut wie gar keines unter Touristen. "Wenn Sie durch einen Hafen laufen, sehen Sie an den Ankern der Boote jede Menge Posidonia hängen. Die Leute sind so unwissend, dass sie das noch nicht einmal zu verbergen versuchen." Massive Information sei nötig.

Die Studie findet im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts "Operas" statt. 27 Institutionen beteiligen sich daran, den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wert von Ökosystemen zu ermitteln. Eine andere Studie etwa untersucht den Nutzen der Bienen für die Bestäubung und damit für die Produktion von Obst und Gemüse in Europa.

Bis Ende 2017 läuft das fünfjährige Projekt. Bis dahin soll, so weit möglich, auch der Geldwert der Dienstleistungen der Posidonia berechnet sein. "Dann können wir eine Kosten-Nutzen-Analyse aufstellen", sagt Julia Santana. "Wir können den Entscheidungsträgern sagen: 'Wenn so viel Seegras zerstört wird, geht so viel an Wert verloren. Aber wenn Sie so viel in den Schutz investieren, erhalten Sie so viel Mehrwert'."

(aus MM 21/2016)