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Der deutschen Mallorca-Residentin Maria Esch aus Sóller lässt sich eine gewisse Euphorie kaum absprechen. Den Zeilen ihres Tagebuches ist zumindest zu entnehmen, dass die 77-jährige Krefelderin den Urnengang, zu dem sie aufgerufen war, durchaus als einen Höhepunkt im Einerlei des Inselalltags empfand, ein gesellschaftliches Ereignis allemal: Unter dem Datum des 29. März 1936 trug sie in ihrem Tagebuch ein:

Um halb zehn nach Palma gefahren (...). Auf der Mole die ganze deutsche Kolonie Mallorcas versammelt. Mit drei Motorbooten auf die "Tanganyika" befördert, dort Wahlbetätigung.

Was war der Anlass gewesen? Maria Esch wurde zur Zeitzeugin der ersten Wahl, an der teilzunehmen deutsche Residenten auf Mallorca aufgerufen waren. Es war ein geradezu dramatisches Jahr. Nur wenige Monate später sollte der Spanische Bürgerkrieg ausbrechen und Europa in Aufruhr versetzen. Ein Auftakt für den Zweiten Weltkrieg, der drei Jahre später die Menschheit heimsuchen würde.

Doch im März 1936 war die Welt, zumindest auf Mallorca und im übrigen Europa noch friedlich. Ein trügerischer Frieden, denn die politischen Akteure hatten längst die Bühne betreten. In Deutschland war Hitler seit 1933 an der Regierung, nach und nach hatte er seine Position im Innern gefestigt und zur Diktatur ausgebaut. Von 1936 an wagte sich Hitler an die ersten Unternehmungen heran, mit denen er das Ausland provozierte. Nur drei Wochen vor dem Tagebucheintrag der Maria Esch hatte der braune "Führer" seine Truppen ins entmilitarisierte Rheinland einmarschieren lassen und damit den Versailler Friedensvertrag gebrochen. Die alliierten Westmächte, vor allem Frankreich und England, ließen den deutschen Diktator letztlich gewähren. Niemand hatte Lust, einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen.

Für Hitler wurde die Aktion zum Erfolg. Sie steigerte seinen Nimbus, "die Ketten von Versailles" aufbrechen und abschütteln zu können. Und er wollte im Anschluss daran die Zustimmung der Bevölkerung propagandistisch für sein Regime ausnutzen. Zu diesem Zweck organisierte die Nazi-Führung Plebiszite, Scheinwahlen, in denen die Bürger den eben errungenen außenpolitischen Erfolg per Stimmzettel sanktionieren sollten: Nicht nur die Deutschen im "Dritten Reich", sondern auch jene "Volksgenossen" im Ausland. Da bildete Spanien keine Ausnahme. Hier waren in den 1930er Jahren landesweit bis zu 50.000 Deutsche ansässig. Auch sie sollten bei der angeblichen "Reichstagswahl" samt Einheitsliste an die Urnen gerufen werden.

Allerdings ließ sich ein solcher Urnengang damals weder per Briefwahl noch auf spanischem Boden abhalten. Aus diesem Grund verfielen die braunen Machthaber auf eine Alternative: Die deutschen Konsulate in Spanien wurden angewiesen, Schiffe zu chartern. Diese sollten mit den deutschen Residenten an Bord im Rahmen einer Tagesfahrt die spanischen Hoheitsgewässer verlassen und nach dem Urnengang auf See wieder in die Häfen zurückkehren. Dieses Prozedere wurde nicht nur in Barcelona, Bilbao, Málaga und anderswo durchexerziert, sondern tatsächlich auch auf Mallorca. Hier charterte Nazi-Konsul Hans Dede die "Tanganyika", einen Frachter der Woermann-Linie. Die Hamburger Reederei bestand von 1885 bis 1941 und zählte zu den bedeutendsten Reedereien in der Afrikafahrt. Nach dem Ersten Weltkrieg machten ihre Schiffe, unter ihnen die "Tanganyika", häufig Station im Mittelmeer und insbesondere in Palma.

Neben Maria Esch hat ein weiterer Augenzeuge ein Zeugnis von der Wahl auf den Wogen hinterlassen, wenn auch abseits von Land aus. Es handelt sich um den Schriftsteller und Nazi-Gegner Albert Vigoleis Thelen, der von 1931 bis 1936 in Palma lebte. In seinem 1953 erschienenen Roman "Die Insel des zweiten Gesichts" schrieb Thelen karikierend über die Wahl:

In der Bucht von Palma lag ein deutscher Dampfer vor Anker, ein Schiff der Woermannlinie. Statt nun wie üblich seine Touristen auf die Insel loszulassen, war dieses Schiff eigens nach Mallorca gekommen, um Leute an Bord zu locken, deutsche Leute genauer gesagt, alle Auslandsdeutschen im wahlberechtigten Alter: die deutsche Kolonie sollte ihr "Ja" in geheimer Wahl auf den Führer ausbringen. Musikkapelle an Bord wie bei einem Sonntagsausflug auf dem Rhein, Gelegenheit zum Absingen vaterländischer Lieder, zum Schunkeln, zur stillen Heimwehträne. Und als persönliches Geschenk des Führers nach vollzogener Jasagung: zwei Stullen mit Schinkenspeck, Bier vom Faß, und Senf nach Belieben.

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Um die deutsche Kolonie während des Aktes unter die Hoheit des Dritten Reiches nehmen zu können, musste man den Machtbereich der spanischen Gewässer verlassen. Das lieh sich wundervoll zur Mittelmeerfahrt mit Kind und Kegel. Ein Tusch, die Ankerketten rasseln - Deutschland, Deutschland über alles ... Der Konsul hatte wochenlang vorher seine Werber von Haus zu Haus geschickt, nachdem erst viel Papier gekommen war: Deutscher Mann! Deutsche Frau!

Thelen, der seine Teilnahme an der Wahlfahrt verweigerte, hatte sich den Verlauf von Bekannten berichten lassen. Seinen Schilderungen zufolge hatte das Konsulat großen Wert auf Vollzähligkeit der deutschen Gemeinschaft gelegt. "Mit Speck fängt man Mäuse", schrieb der Autor Jahre später über den als geselligen Ausflug organisierten Scheinurnengang. Mit sanftem Druck per Gruppenzwang wurden auch weniger wahlbegeisterte Deutsche zum Mitmachen genötigt. Den grotesken Abschluss der Seefahrt beschrieb Thelen so:

Gegen Ende der Fahrt, man näherte sich schon der Mole, der Senf war verstrichen, die Luftballönchen geplatzt oder verschrumpelt, die Bierreste klucksten schal in den Stangen, da ergriff der Konsul noch einmal das Wort und dankte allen für ihre Treue zum Führer, zum Reich, zur Heimat; und als kleinen Unkostenbeitrag erlaube er sich, pro Person 13 Peseten zu erheben, so ein Dampfer, das koste natürlich Geld. Die Begüterten, die für den Führer nicht nur Liebe, sondern auch Peseten übrig hatten, beglichen, ein wenig befremdet zwar, die Bagatelle; und die anderen dachten: verdammt, da sind wir wieder mal reingefallen. Aber niemand getraute sich ein Wort des Protestes laut werden zu lassen.

Wie Thelen weiter schreibt, fiel die Wahl auf der "Tanganyika" offiziell einstimmig zu Gunsten Hitlers aus. Tatsächlich soll jedoch zumindest ein Bekannter mit "Nein" gestimmt haben. Seine Stimme dürfte demnach vom auszählenden Nazi-Konsul und seinen Wahlhelfern unterschlagen worden sein. Mit dieser Manipulation fiel die Zustimmung der Mallorca-Deutschen zum "Führer" somit eindeutig aus.

Der Zeitzeuge Erich Esch, Enkel der oben genannten Tagebuchschreiberin, war ebenfalls an Bord gewesen. "Das Ergebnis damals war hoch rechts", erinnerte er sich.

Sollte Thelen die Ereignisse in seinem Roman korrekt wiedergegeben haben, waren die 13 Pesetas zum damaligen Zeitpunkt wahrlich keine "Bagatelle". Mit einem solchen Betrag ließen sich damals in den Restaurants in Palma gleich mehrere Tagesmenüs begleichen. Mehr noch: Die Pensionen Montcada und Hiller in El Terreno, beide unter deutscher Leitung, boten Zimmer an, bei Vollpension und freiem Tischwein, für elf beziehungsweise zwölf Pesetas.

Noch ein Wort zur "Tanganyika": Das 1922 erbaute Schiff sank 1943 im Bombenhagel in Wilhelmshaven. 1947 wurde das einstige Wahllokal der Mallorca-Deutschen gehoben und anschließend verschrottet.

(Alexander Sepasgosarian ist auch Autor des Buches "Mallorca unterm Hakenkreuz 1933-1945")