Der Geograf und Pflanzenkundler Thomas Schmitt Ende Juni am Eingang zum botanischen Garten der Ruhr-Universität in Bochum. | Jonas Martiny

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Wanderschuhe, Fleecepullover, Funktionsjacke – Thomas Schmitt sieht aus, als sei er jederzeit bereit aufzubrechen, sein schmuckloses Büro in dem Container am äußersten Rand des Geländes der Bochumer Universität zu verlassen und sich auf den Weg zu machen, raus in die Natur, vielleicht ins sattgrüne Ruhrtal, vielleicht in den botanischen Garten, der direkt nebenan liegt – oder nach Mallorca.

Der Geograf, Botaniker und Professor für Landschaftsökologie hat sich praktisch sein ganzes Forscherleben lang mit der Insel befasst. Der gebürtige Gießener reiste 1989 zum ersten Mal nach Mallorca. „Es war eigentlich ein Urlaub”, erinnert er sich. Aber wie das so ist, wenn Botaniker Urlaub machen, konnte er doch nicht die Augen verschließen vor dem Szenario, das sich ihm auf der Insel darbot: „Mir ist damals sofort die Veränderung der Vegetation im Zuge der touristischen Erschließung ins Auge gesprungen.” Und da er – noch am Anfang seiner Forscherkarriere stehend – ein Thema für sein wissenschaftliches Arbeiten suchte, war dies der Beginn einer langjährigen Beziehung.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit erforschte er jahrelang die Wirkung des Tourismus auf Landschaft und Pflanzenwelt der Insel. Seine Habilitationsschrift trägt den Titel „Ökologische Landschaftsanalyse und -bewertung in ausgewählten Raumeinheiten Mallorcas als Grundlage einer umweltverträglichen Tourismusentwicklung”. Einen weniger sperrigen Titel trug der Beitrag, den er dann im Jahr 2007 im Wissenschaftsmagazin „Rubin” der Ruhr-Universität veröffentlichte und der zu seinem größten Coup werden sollte. „Qualitätstourismus auf Mallorca: ,Ballermann’ war besser” steht über dem achtseitigen Aufsatz, der Schmitt schlagartig in die Öffentlichkeit katapultierte.

Kaum eine deutsche Zeitung berichtete damals nicht über den Professor, der da von Bochum aus die Auswirkungen der mallorquinischen Tourismuspolitik einer Generalkritik unterzog und auch nicht vor dem Reizwort „Ballermann” zurückschreckte, um seiner Nachricht den Weg in die Medien zu ebnen.

„Ist der Qualitätstourismus tatsächlich verträglicher als der Massentourismus? Langjährige Studien zur Landschaftsveränderung auf Mallorca zeigen das Gegenteil”, heißt es gleich am Anfang des Aufsatzes. Schmitts Hauptthese: Der räumlich auf die Playa de Palma und die anderen Urlauberzentren begrenzte Massentourismus war viel umweltfreundlicher als der Golf-, Nautik- und Residenzialtourismus, auf den die Balearen-Regierung seit den 90er Jahren unter dem Schlagwort „Qualitätstourismus” setzte. Sogar in den RTL-Nachrichten hatte Schmitt seinerzeit einen Auftritt. „Das ist damals wie eine Welle über mich hereingebrochen”, erinnert er sich.

Darauf angelegt hatte es der heute 60-Jährige aber nicht. Ein großer Teil des Medienrummels war sicher der knackigen „Ballermann”-Überschrift geschuldet, räumt er heute ein. „Wenn da gestanden hätte ,Umweltwirkungen des Qualitätstourismus’, oder so, wen hätte das vom Hocker gerissen?”, fragt er. Seine Idee aber war der Titel nicht. Einer der „Rubin”-Redakteure hatte offenbar den richtigen Riecher gehabt. „Es war schön, dass das Thema dadurch mal stärker in die Öffentlichkeit gekommen ist”, sagt Schmitt.

Die Insel eignet sich hervorragend als Forschungsobjekt, sagt er. „Als erste Insel im Mittelmeer war Mallorca in größerem Maße touristisch erschlossen worden.” Dazu kommt, dass Inseln bei Botanikern ohnehin bevorzugte Tätigkeitsfelder sind. Durch ihre üblicherweise isolierte Lage gibt es dort besonders viele Pflanzen, die es anderswo nicht gibt. Auf zehn Prozent aller Pflanzen der Insel trifft das zu, schätzt Schmitt.

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Zum Beispiel auf eine Strandfliederart im Hinterland von Magaluf, die durch immer raumgreifendere Bauaktivitäten in ihrem Bestand gefährdet ist. Schmitt zeigt Bebauungspläne, Luftaufnahmen, Diagramme, die belegen, welche Folgen die Entwicklung des „Qualitätstourismus” hatte. „Es handelt sich um eine hochgradig landschaftsverändernde und ökologisch nachteilige Form des Tourismus mit höchsten Flächenansprüchen”, heißt es in Schmitts „Ballermann”-Text. Golfplätze, Sporthäfen und Zweitwohnsitz-Siedlungen führten zum Verlust des traditionellen mallorquinischen Landschaftsbildes.

Ein weiteres Problem sei der enorme Wasserbedarf für Pools, Gärten und Golfplätze. Dies führe zu einem deutlich höheren Pro-Kopf-Wasserverbrauch als er bei „herkömmlichen Touristen” üblich sei. „Das ökologische Gleichgewicht von Grundwasserneubildung und Grundwasserentnahme ist auf Mallorca auf lange Sicht verloren”, schreibt Schmitt. „Aus ökologischer Sicht war es ein Fehler, in dem Maße auf Golf- und Nautiktourismus zu setzen”, sagt er. Selbst das immer wieder vorgebrachte Argument, diese Art Urlauber lasse viel mehr Geld auf der Insel als der typische Pauschaltourist, lässt er nicht gelten und beruft sich auf Studien, die belegen, dass der traditionelle Massentourismus viel mehr Arbeitsplätze schaffe als etwa der Residenzialtourismus.

Dennoch kann Schmitt den mallorquinischen Bemühungen um Qualitätstourismus auch etwas Positives abgewinnen. Zum Beispiel den sogenannten „Agrotourismus”, die mallorquinische Variante von „Ferien auf dem Bauernhof”. Auf diese Weise seien zahlreiche Fincas restauriert und wieder genutzt worden, was zum Erhalt der traditionellen Landschaft beitrage. Auch seien viele touristische Orte im Zuge der Qualitätsoffensive aufgewertet worden. In Palmanova und Magaluf etwa sei die erste Meereslinie zu Boulevards umgebaut worden. „Heute kann man da flanieren”, sagt Schmitt. „Anfang der 90er war da noch der ganze Autoverkehr unterwegs.”

Dennoch müssten sich andere Tourismusdestinationen die Frage stellen, ob sie sich entwickeln wollen, wie es Mallorca in den vergangenen Jahrzehnten getan hat. „Es gibt ja Möglichkeiten, nachhaltiger vorzugehen”, sagt Schmitt. „Auch wenn ich dann nicht dieses Wachstum erziele wie die Balearen.” Dabei denkt er insbesondere an strengere Bauauflagen. „Was das angeht, herrschte auf Mallorca lange Zeit totale Anarchie.”

Dass die aktuellen Bemühungen der Linksregierung um eine stärkere Regulierung des Tourismus tatsächlich eine anhaltende Wirkung entfalten, bezweifelt Schmitt. Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte hätten gezeigt, dass es immer wieder mal vielversprechende Bemühungen gebe. „Wenn dann aber die Regierung wechselte, hat sich das ganz schnell wieder geändert.”

Derzeit arbeitet Schmitt an einem Buch über Mallorcas Pflanzenwelt. Ob es demnächst mal wieder Gelegenheit zu einer Exkursion auf die Insel gibt, kann er noch nicht sagen. Andere Forschungsprojekte und die Arbeit im Universitätsbetrieb stehen dem entgegen. Und so muss er sich derzeit eben doch mit Ausflügen in die nähere Umgebung begnügen.

(aus MM 28/2018)