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Es könnte so idyllisch sein: blaues klares Wasser, ein von Dünen geschützter Strand mit feinem Sand und nur wenige Besucher. Würden hier nicht im Minutentakt mit tosendem Lärm die Ferienflieger des nahegelegenen Flughafens Son Sant Joan über die Köpfe der Passanten donnern, wüsste man nicht, dass man sich auf dem Gebiet von Mallorcas Inselhauptstadt befindet.

Ein für Palma ungewöhnlicher Ort und der letzte unbebaute Strandabschnitt der Stadt. „Es Carnatge” östlich von Palma ist ein echtes Naturrefugium, und unter Einheimischen wohl eher als „Playa de perros”, als „Hundestrand”, bekannt. Seit 2013 hat der Teil zwischen der Cala Gamba im Westen und Can Pastilla im Osten offiziell diesen Status. Mit den vor wenigen Wochen veröffentlichten Plänen der Inselregierung, dieses Gebiet zu schützen, ist nicht gewiss, ob der Geheimtipp so bestehen wird wie bisher. „Ich habe die Befürchtung, dass die Fläche für die Hunde hier bald beschränkt wird”, sagt Mallorquiner Tomás, der mit seiner Hündin zwei- bis dreimal pro Woche herkommt. „Das wäre sehr schade, denn es ist der einzige offizielle Hundestrand in der Nähe der Stadt.”

In der Tat ist noch nicht klar, ob sich das 280.000 Quadratmeter große Gebiet nach der Umgestaltung optisch verändern wird. 2016 hatten in einem Bürgerentscheid Anwohner abgestimmt, das Gebiet von dem über Jahre angesammelten Bauschutt zu säubern und zu schützen. Ende 2017 begannen die Aufräumarbeiten. 1700 Tonnen Müll wurden beseitigt, wie es damals vonseiten Palmas Stadtreinigung Emaya hieß. Erste Renaturierungsarbeiten sollten einheimische Tier- und Pflanzenarten schützen. Entlang des Radweges etwa lassen sich Wacholder und Zistrosen finden, vom Asphalt abgetrennt sind diese durch typisch mediterrane Macchie-Büsche. Im Hinterland sieht man Schatten spendende Kiefern und Steineichen.

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Vierbeiner genau wie Zweibeiner scheinen sich hier wohlzufühlen. Eigentlich widersprüchlich, aber für Einheimische ist es trotz des Fluglärms ein Rückzugsort. Dutzende Hunde toben und paddeln im Wasser, bellen aufgeregt, fangen mit hohen Luftsprüngen die Bälle oder Frisbees, die Herrchen oder Frauchen ihnen zuwerfen. Das bietet auch Gelegenheit für die Halter, bei 35 Grad ins kühle Nass einzutauchen. „Und wie man sieht: Kein Müll, keine Plastikflaschen, kein Hundekot”, sagt Deutsch-Mallorquinerin Tonia, die im Bikini gerade unter ihrem Sonnenschirm Schatten sucht und auf den in der Tat sauberen Strand vor sich zeigt. „Palmas Stadtstrände sind sonst so übervoll und man muss Sorgen haben, in die liegen gebliebenen Glasflaschen von Jugendlichen zu treten, die hier wieder ihre ‚Botellons’ veranstaltet haben.”

Keine stundenlangen Strandbesuche, sondern eine kurze Erfrischung genießen die meisten Besitzer hier mit ihrem Tier fast ungestört. Frauen sonnen sich scheinbar unbeobachtet oben ohne, Menschen stehen auf den Felsbrocken am Ufer und schauen verträumt den vorbeischippernden Booten mit ihren farbenfrohen Segeln hinterher. Nicht verwunderlich, dass auch Wassersportler hier ihren Platz finden. Etliche Kajaks liegen im Sand, im Wasser leuchten aus der Ferne rote Schwimmwesten: Eine Schülergruppe schließt gerade die heutige Übungsstunde ab. 2017 wurden von Palmas Stadtverwaltung zuletzt rund 300.000 Euro in einen hölzernen Aussichtspunkt investiert, der zwischen den Stränden der Cala Gamba und Cala Estància steht. Hier brennt die Sonne in der Mittagshitze, aber der Blick ist fantastisch. Nach vorn nur das Meer und der Horizont, gen Südwesten Palma im flimmernden Sonnenlicht und die Kathedrale, wie sie sich scheinbar über dem Sand erhebt. Im Rücken hat man eine abgelegene Wohnsiedlung und einen öffentlichen Parkplatz, der groß genug ist für nur eine Handvoll Autos. Zig Radfahrer passieren den abgetrennten Radweg rund um den gut zwei Kilometer langen Strandabschnitt. Es sind Touristen, die mit einem Leihrad einen Ausflug machen. Einheimische drehen ihre tägliche Runde beim Joggen. Immer wieder kreuzen In-
lineskater und Elektroroller ihre Bahn. An vielen Stellen hat der Asphalt hier gelitten. Besonders wegen der Hitze im Sommer sind einige Pflastersteine so erhaben, dass dort schon schlimme Stürze passiert sind. Teil der auf zwei Millionen Euro veranschlagten Umgestaltung soll neben einem Kinderspielplatz und einer besseren Beleuchtung deshalb auch eine Wegeerneuerung sein, heißt es aus dem Rathaus. Historische Relikte wie die alte Kaserne und Pulverkammer, Kanonen und ein Tunnelnetz sollen für wissenschaftliche und pädagogische Zwecke genutzt werden. Auch, weil dem Strand die Ruineninsel Sa Galera vorgelagert ist und diese seit 2012 als Ausgrabungsstätte für Funde aus dem 3. bis 2. Jahrhundert vor Christus dient, ist das Gebiet für die Stadt schützenswert. Dass man von einer Optimierung des „Besucherservice” spricht, lässt darauf schließen, dass es hier bald nicht mehr so ungestört zugehen könnte. Die andere Seite der Abgeschiedenheit ist, dass Hausruinen laut Anwohnererzählungen für sexuelle Stelldicheins dienen. Ein Image, das genau wie Meldungen von Überfällen auf Joggerinnen das Bild von Es Carnatge trübt. Gelegenheit, „aufzuräumen” im Naturidyll? An einer gusseisernen Bank unter einem Schilfdach endet der Rundweg, bevor an der Cala Gamba der übliche Trubel der Badegäste auf Höhe des Krankenhauses Sant Joan de Déu beginnt. Ein letzter Blick aufs Meer – und der gerade begonnene Gedanke wird von dröhnenden Turbinen eines Flugzeugs unterbrochen.

(aus MM 31/2019)