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Paula Meyer nimmt es mit Humor. Ihr 88. Geburtstag am 24. April fiel der Coronakrise zum Opfer. „Ich habe mir selbst zugeprostet“, sagt sie. Mehr sei dieses Jahr nicht drin gewesen. Sie zieht es vor, so zu tun, als hätte der Geburtstag gar nicht stattgefunden. „Ich bin jetzt quasi ein Jahr jünger“, sagt sie verschmitzt. Seit zehn Jahren lebt die Schweizerin, gebürtig aus Zürich, in der Seniorenresidenz Es Castellot in Santa Ponça, seit 23 Jahren auf Mallorca.

Spanien hat es in der Coronakrise hart getroffen. Viele Seniorenheime tauchten in den Medien als Orte auf, in denen das Virus buschfeuerartig grassierte. Fast schon apokalyptisch muteten Bilder an, wenn Mitarbeiter der Guardia Civil in astronautenähnlichen Anzügen durch die Zimmer der Senioren gingen, um sie großflächig zu desinfizieren.

Es Castellot gehört zum Träger Amadip Esment. „Wir hatten Glück und konnten bereits alle Bewohner und Mitarbeiter testen lassen“, sagt die Leiterin Regina Moll. „Das war Ende März und wir hatten keinen einzigen Fall.“ Das habe ungemein beruhigt, „denn wir wussten, wir sind in einer guten Ausgangssituation“. Regina Moll leitet die deutsche Residenz seit 2013. Zwischendurch arbeitete sie für den Inselrat, war dort als Direktorin für die Leistungen der Altersheime auf der Insel zuständig. Halb Spanierin, halb Deutsche und seit über 40 Jahren auf der Insel, kann sie sich ein gutes Bild beider Kulturen machen.

Schon früh wurde ein Besuchsverbot in Seniorenheimen ausgesprochen. Auch Es Castellot reagierte schnell. Bereits vor der Ausgangssperre durfte niemand mehr von außen in die Residenz kommen. „Das war schwierig für viele Bewohner“, sagt Moll, „da Besucher häufig extra aus dem Ausland anreisen.” Auch sei der Ernst der Lage vielen Bewohnern zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen.

Seit über sechs Wochen sind die Menschen in Spanien nun „eingesperrt“. Erwachsene dürfen zum Einkaufen nach draußen, Kinder seit einigen Tagen auch endlich wieder kurzzeitig an die frische Luft. Für Bewohner in den Seniorenheimen gelten aber andere Regeln. Sie zählen aufgrund des Alters und der häufigen Vorerkrankungen zur Risikogruppe. Ihnen ist selbst das Einkaufen zu ihrem eigenen Schutz und dem der Gemeinschaft „verwehrt“. Dieser Einschnitt an Selbstbestimmung fällt vielen Senioren, die bis vor kurzem noch selbst Auto gefahren sind und ihr Leben weitgehend alleine geregelt haben, sehr schwer.

Auch Paula Meyer würde gerne stundenlang in einer Schlange vor dem Supermarkt anstehen, „schon alleine, um einmal etwas anderes zu sehen“. An ihrem Geburtstag hätte die Schweizerin eigentlich bei ihren Kindern in Zürich sein sollen. Sie empfindet dieses Eingesperrtsein als einschneidende Erfahrung. „In unserem Alter zählt jeder Monat. Jeder Monat, den ich an Freiheit einbüßen muss, hat für mich besonderes Gewicht“, sagt sie.

Abstand halten, niemanden sehen, das gilt für alle Menschen außerhalb des eigenen Familien- oder Haushaltverbundes. Wie regelt dies eine Residenz, in der die Menschen in einem großen Speisesaal zusammen essen, wo gemeinsam Musik gemacht wird?

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In der deutschen Seniorenresidenz wird ab jetzt nur noch in zwei Schichten gegessen. Jeder Bewohner erhält einen Einzeltisch. „Am Anfang haben wir sogar die Tische so gestellt, dass man nur Rücken an Rücken saß. Das war aber für viele aus sozialer Sicht so frustrierend, dass wir es wieder aufgehoben haben“, erzählt Regina Moll.

Das Altersheim ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Trotz des sehr hohen Alters vieler Bewohner, der Durchschnitt liegt bei 84 Jahren, sind viele noch sehr selbstständig. Es gibt einen großen Garten, zwei Pools laden in normalen Zeiten zum Baden ein. Die Hockergymnastik findet jetzt im Garten an der frischen Luft statt – mit genug Abstand dazwischen. Auch gesungen wird noch.

Damit die Menschen nicht zu sehr vereinsamen, schaut eine Sozialarbeiterin zusätzlich nach ihnen, die Einkäufe werden vom Personal übernommen. Jeden Tag müssen die Bewohner ihre Temperatur messen. „Allein schon dieser Anruf, um nach der Temperatur zu fragen, hält den Kontakt aufrecht“, sagt Moll. „Normalerweise sehen wir viele von unseren Bewohnern so gut wie gar nicht, wenn diese selbstständig in ihren Apartments leben.“

Woran es gelegen haben könne, dass in vielen spanischen Altersheimen das Virus derart grassieren konnte? Regina Moll kann nur mutmaßen. Aufgrund der sozialen und familiären Strukturen in Spanien sei es weiterhin weniger üblich, dass Eltern oder andere Angehörige in ein Altersheim kämen. „Das ist häufig dann der Fall, wenn es zu Hause gar nicht mehr geht“, sagt Moll. Die Menschen in den spanischen Seniorenheimen seien daher oft in einem gebrechlicheren Zustand und anfälliger für ein Virus. Auch seien spanische Residenzen häufig größer. Spanier lieben es, in Gruppen unterwegs zu sein, auch im Alter. „Bingorunden mit 20 Personen im Gemeinschaftssaal einer spanischen Residenz sind keine Seltenheit“, so Moll. Da habe ein Virus leichteres Spiel, sich zu verbreiten. Das Es-Castellot-Heim ist mit 54 Bewohnern im Vergleich relativ klein, auch die nur zehn Betten Pflegestation sind in der jetzigen Situation ein Vorteil.

Sowohl Paula Meyer als auch Regina Moll denken, dass in Spanien mit den strengen Regeln richtig gehandelt wurde. Für die Betreuung und das große Glück, dass bisher kein einziger positiver Coronafall in der Residenz aufgetaucht ist, ist die Schweizerin unendlich dankbar.

Aber die rüstige Seniorin ist trotz ihres ungebremsten Lebenswillens und Unternehmergeists pragmatisch und ein Stück weit altersweise. „Ich bin bereit zu gehen, ich habe mein Leben gelebt.“ Auf den ersten Ausgang, und sei es nur zum Kaffeetrinken oder Einkaufen, freut sie sich dennoch. Solange sie das nicht kann, malt sie, strickt, liest oder steigt auf den Hometrainer, um sich für die ersten Schritte in Freiheit fit zu halten.

(aus MM 18/2020)