TW
4

Die Drag Queens – Männer in schrill-glitzernden Frauenkleidern und mit bunten, gepuderten Perücken – waren so etwas wie die leibhaftigen Maskottchen der schwul-lesbischen Partyreihe „Lolipop” (ehemals „La Demence”), die jeden Samstag in der Diskothek „Sala Luna” auf Palmas idyllischem Mühlenhügel Es Jonquet stattfand – zumindest bis das Coronavirus kam.

Dass diese gleichermaßen illustren wie liebenswerten Gestalten dort jemals wieder singen und tanzen, ist mehr als unwahrscheinlich. Denn mitten in der Gesundheitskrise hat die Stadt Palma einen neuen Denkmalschutzplan verabschiedet, der in dem historischen Viertel gleich neben dem Trend-Barrio Santa Catalina eine drastische Reduzierung von Bars und Tanzclubs vorsieht – und das Schicksal der „Sala Luna” und des „Sabotage” besiegeln würde.

Die beiden Nachtlokale befinden sich in dem zentralen ehemaligen Mühlenkomplex mitten auf der romantischen Plaça del Vapor, allerdings umgeben von verwunschenen, bunt bepinselten Wohnhäusern. Für deren Bewohner bedeutet die drohende Schließung der Lokale eine Erlösung. „Wir leiden seit Jahren unter dem Lärm”, erklärt Ana Talego, die seit 1967 in einem Häuschen gleich neben der „Sala Luna” lebt.

„Wissen sie, mir ist es egal, ob sich ein Mann mit einer Frau oder mit einem Mann vergnügt. Aber wenn er es in meiner Hecke tut, dann ärgert es mich. Wenn ich an einem Sonntagmorgen das Haus verlasse, dann will ich nicht durch Müllberge stapfen müssen. Und ich will auch nicht nachts zusehen müssen, wie junge Frauen unter meinem Fenster ihre Notdurft verrichten”, so die resolute Mallorquinerin.

Joaquina Padial, die Talegos Aussagen zunächst vom Fenster aus mit einem Nicken bestätigt, kommt schließlich auch nach draußen, um ihre Erfahrungen mit dem Feiervolk kundzutun. „Was Ana sagt, stimmt! Ich lebe hier, seitdem ich 1964 geboren wurde, aber was in den letzten Jahren passiert ist, war nicht mehr auszuhalten. Einmal habe ich gesehen, wie jemand eine Linie Kokain von meinem Autodach gezogen hat, stellen Sie sich das mal vor!”

Und auch der Südafrikaner Phil Wade, der mehrere Immobilien auf dem Mühlenhügel besitzt, schimpft auf die Diskotheken. Reihenweise seien ihm die Mieter davongelaufen. „Niemand konnte mehr schlafen, es war an den Wochenenden einfach unerträglich”, so der Segel-Freak, während er auf seinem Laptop Fotos vom Ausmaß der nächtlichen Exzesse sucht. „Hier hat sich jemand vor meiner Wohnung übergeben und schauen Sie mal da – eine Blutlache, offenbar infolge einer Schlägerei.” Wade und seine Frau haben ihre eigene Wohnung mit einem speziellen Schallschutz ausgekleidet. „Wenn wir an den Wochenenden die Fenster schließen, dann geht’s mit dem Lärm. Aber im Sommer natürlich nur mit eingeschalteter Klimaanlage.”

Ähnliche Nachrichten

Dass die Clubs aus dem Viertel verschwinden sollen, begrüßt Wade natürlich, wenngleich er dem Braten noch nicht traut. „Vermutlich werden sie irgendein Schlupfloch finden, sodass zwar keine neuen Discos entstehen dürfen, die alten aber irgendwie weitermachen werden.”

Genau das wünscht sich Steve Carrera, Chef der „Sala Luna”. „Ich habe von der drohenden Schließung aus der Zeitung erfahren, niemand aus dem Rathaus hat sich je bei uns gemeldet”, so der wütende Party-Veranstalter gegenüber der MM-Schwesterzeitung „Ultima Hora”. „Wir verstoßen hier gegen keine Regeln, ein Sicherheitsdienst überwacht nachts nicht nur unsere Eingänge, sondern die gesamte Plaça.” Dennoch: Geht es nach dem Rathaus, muss jedwede gewerbliche Tätigkeit in einer der ehemaligen „Molinos” in Zukunft von einer Geschichts-Kommission abgenickt werden – unwahrscheinlich, dass es für die Clubs ein „Ja” gibt.

Dabei hat das Nachtleben in Es Jonquet Tradition. Lange vor „Lolipop” befanden sich in der Mühle, die heute „Sala Luna” heißt, Nachtclubs: Namen wie „If”, „Clan” oder „Griffins” klingen vielen älteren Palmesanern noch heute in den Ohren. Der Erfolg der Lokale beruhte vor allen Dingen auf der „Location”. Denn aus den Innenräumen der Disco hat man einen atemberaubenden Blick über den Hafen von Palma. Für Palmas Nachtschwärmer wäre ihr Ende traurig – zumal die Stadt nicht gerade reich an Diskotheken ist.

„Im Rathaus verkennt man die lebhafte Geschichte des Nachtlebens dieses Viertels”, schreibt auch „Ultima Hora”. Spätestens, seit 1949 in den Jonquet-Gassen der Film „Captain Black Jack” mit George Sanders gedreht wurde, haftete dem Barrio ein verrucht-romantisches Image an. Kein Wunder, dass ein dort befindlicher Nachtclub später „Jack el Negro” genannt wurde.

Es bleibt jetzt abzuwarten, ob die Stadt Ernst macht und Captain Jack’s Erben wirklich verjagt. Für die Anwohner wäre es ein Segen, für das Partyvolk ein herber Verlust.

(aus MM 20/2020)