Der Alltag mit Tochter Taya und Sohn Linus kostet viel Zeit. Die Aufnahme entstand am 39. Geburtstag der Mutter. | privat

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Vor genau einem Jahr war die Welt von Juliane Schulzke noch in Ordnung. Die seit langer Zeit auf Mallorca lebende Hamburgerin bringt in normalen Zeiten im Direktvertrieb Kreditkarten an die Frau oder den Mann. Ihr Arbeitsplatz ist der Flughafen von Palma, vor einigen Jahren wurde sie von ihrem Chef zur Teamleiterin auserkoren. „2020 fing super an“, erinnert sich die 39-Jährige, die von allen immer nur „Jule“ genannt wird. „Wir hatten noch nie einen so guten Januar-Februar-Start und haben uns auf die Saison schon richtig gefreut.“ Doch dann kam Corona, sprich der Spanien-Lockdown im März. Und heute, ein knappes Jahr später, wagt Jule keine Prognose, wie es mittelfristig weitergehen soll.

Die studierte Grafik-Designerin muss nicht nur allein durchkommen. Sie trägt Verantwortung. In Can Pastilla lebt Jule mit ihrer elfjährigen Tochter Taya und dem vier Jahre alten Sohn Linus. Sie ist das, was man „alleinerziehend“ nennt, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Kinder stammen aus einer langjährigen Beziehung die inzwischen zerbrochen ist. Den Vater zog es zurück nach Deutschland. „Er hat nicht die Möglichkeit, uns zu unterstützen. Weder finanziell, noch persönlich“, schildert die Mutter die Situation.

Wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen beim Kreditkartenvertrieb am Airport arbeitet Jule nicht angestellt, sondern auf eigene Rechnung. Das hat in guten Zeiten Vorteile, bedeutet unter anderem Flexibilität bei der Einteilung der Arbeitszeit. Mit Beginn des Lockdowns hieß das aber auf einmal, dass kein Geld mehr reinkommt. Für Freiberufler lässt sich keine Kurzarbeit vereinbaren.

Ihr Chef hatte ihr angeboten, in Deutschland zu arbeiten, als das dort im Direktvertrieb noch möglich war. „Kollegen haben das auch zum Teil gemacht. Aber wie soll das bei mir mit den Kindern funktionieren?“

„Ja, dann saßen wir zu Hause. Ein absoluter Albtraum. Du bist mit zwei Kindern zu Hause und darfst nicht raus.“ Und finanziell ging es an das Gesparte. Zwar gab es auch staatliche Hilfszahlungen für Freiberufler, doch die kamen nach Aussagen der Betroffenen bei Weitem nicht an das heran, was sie sonst verdient hätte.

Als der Lockdown dann endete und es zum Neustart ihrer Flughafen-Tätigkeit kam, keimte auch bei der jungen Mutter die Hoffnung auf, dass sich das Leben im Jahr 2020 noch normalisieren würde. Doch wie auch bei Gastronomen, Hoteliers und den Mitarbeitern anderer Branchen währte diese Hoffnung nicht lange. Mit der deutschen Reisewarnung für Mallorca Mitte August wurden weite Bereiche des Wirtschaftslebens kaltgestellt. Und auch Jule saß wieder zu Hause.

„Natürlich kauft man anders ein“, meint Jule, die bei der Kinderbetreuung im Moment von ihrer Mutter und ihrem ebenfalls auf Mallorca lebenden Bruder Magnus unterstützt wird. Die Kinder sollen aber unter dem immer knapper werdenden Geld nicht leiden. „Taya geht reiten und spielt Klavier. Ich versuche, das aufrechtzuerhalten. Mal sehen, wie lange das noch klappt ... Ich weiß es nicht. Linus hat Schwimmunterricht, das ist wichtig. Aber ist schon ein Vorteil, dass momentan die Sportstätten dicht sind. So sparen wir 50 Euro im Monat.“

Juliane Schulzke kennt Mallorca schon seit ihrer Kindheit. Damals hatte die Familie ein Boot im Hafen von Can Pastilla liegen, kam jedes Jahr für mehrere Wochen. 1994 zogen die Schulzkes ganz nach Mallorca, ließen sich zunächst in Palmanova nieder. Jule war damals zwölf, lebte später nochmal in Hamburg, absolvierte ein Schuljahr in den USA und schloss die Schule schließlich auf der Baleares International School in Sant Agustí ab.

Ihr Vater ist vielen auf der Insel heute noch lebhaft in Erinnerung: Kurt Schulzke war Musiker und Kunstmaler, eines der Urgesteine der Hamburger Szene in der spätere Stars wie Udo Lindenberg oder Otto Waalkes ihre ersten musikalischen Schritte machten. Mit seiner Band Schulzkes Skandal Trupp veröffentlichte er Titel wie „Der Offenbarungseid“ oder „Der Schweinetango“. Schulzke gründete in Can Pastilla die Werbeagentur Multimedia-Service samt Tonstudio und bereicherte als Pianist das kulturelle Leben Mallorcas. Noch heute schwärmen die Veteranen der wöchentlichen Sessions im Pub „House of the Rising Sun“ in Can Pastilla von den durchfeierten Freitagnächten in der zweiten Hälfte der 90er. Schulzke kehrte zu Beginn des neuen Jahrtausends nach Deutschland zurück und verstarb vor gut drei Jahren. Jule blieb der Insel treu – und auch Can Pastilla: „Nah an Palma dran, zentral aber doch etwas dörflicher. Es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Und wir haben irgendwie eine nette Gemeinschaft.“ Ihr gefällt auch der sehr bunte Nationalitätenmix. „Alles mischt sich und keiner macht großartig einen Unterschied. Das gilt auch für die Schule.“

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Taya und Linus besuchen die öffentliche Schule im Ort und die Mama freut sich, dass wieder Unterricht stattfindet. Denn für die Kinder da zu sein und nebenbei noch das nötige Geld heranzuschaffen, das ist mitunter nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine psychische Belastung. Zumal die junge Frau gerade versucht, neue Wege zu gehen, weil ja niemand sagen kann, wann vielleicht wieder eine wie auch immer geartete Normalität eintreten kann.

Neben dem Flughafenjob versorgte die Grafik-Designerin schon immer einige Kunden mit Werbemitteln, in der Krise hat sie ihre eigene Marke kreiert. Sie verkauft im Online-Shop Mode unter „CP07“ – „Streetwear to support balearic islands“. Wobei „CP“ weder für Corona-Pandemie stehen soll, noch für Can Pastilla. „CP“ steht für „Código Postal“. Und alle Postleitzahlen auf den Balearen beginnen mit 07. Das weiß nicht jeder. „Deswegen sage ich, das ist der Dresscode für Insider“, so die Freiberuflerin. „Viele Leute, die sich mit den Inseln verbunden fühlen, haben keine Lust, Mallorca oder Ibiza groß und breit auf der Brust zu tragen. Zum Beispiel für diese Klientel ist die Marke gedacht.“ Man könne so dezent seine Verbundenheit mit den Inseln unter Beweis stellen.

Die kreative Norddeutsche bedruckt Kleidung mit von ihr gestalteten Motiven. Die Ware kauft sie ein, aber nach strengen Kriterien. „Nachhaltigkeit ist mir wichtig. Es soll nicht irgendein T-Shirt sein, sondern gute Qualität.“

„CP07“ soll nicht nur Mallorca und die Nachbarinseln repräsentieren, sondern auch etwas für die Balearen tun, so ist die Idee. Daher wird von jedem verkauften Objekt ein Euro an die Initiative „SI Mallorca“ gespendet, die sich vor allem um bedürftige Familien kümmert. „Wer weiß, vielleicht brauche ich eines Tages auch Hilfe“, sagt Jule mit leiser Stimme und räumt ein, dass bisher noch nicht viel an Spenden zusammengekommen ist. „Ich bin ja noch ganz am Anfang und weiß ehrlich gesagt auch noch nicht wo es hingehen soll. Aber ich musste etwas tun in dieser Situation, etwas versuchen.“

Jetzt sucht Jule nach Möglichkeiten, ihren Shop bekannt zu machen. Es darf allerdings nicht teuer sein. „Ich muss mein Geld zusammenhalten, habe jetzt schon etwas investiert und muss laufende Kosten tragen. Manchmal frag ich mich schon, ob ich mich übernommen habe. Irgendwann ist das Geld alle.“

Die junge Frau versucht, in schwierigen Zeiten ein Business aufzubauen und zugleich der Familie gerecht zu werden. Aber auch ihr Tag hat nur 24 Stunden. „Manchmal denke ich, ich brauche einfach etwas mehr Zeit für mich.“ Aber sie weiß, dass sie gegenüber Taya und Linus eine Verpflichtung hat. „Gerade hat mir ein Freund am Telefon gesagt, ,Jule, du musst kämpfen’. Und er hat ja recht. Deshalb will ich mit dem Shop ja auch etwas schaffen. Ich habe viele Ideen, mir fehlt es aber noch an der Umsetzung.“

Liegt es nicht in diesen Monaten auf der Hand, Masken mit ihren Motiven und „CP07“ auf den Markt zu bringen? „Das wäre sicher eine Idee. Aber da habe ich mir vielleicht selbst ein Bein gestellt mit meinem Prinzip. Ich habe noch keine Masken gefunden, die wirklich nachhaltig wären.“

Wenn alle Stricke reißen, ist es dann für sie eine denkbare Alternative, die Insel zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren? Zum Beispiel, weil dort die soziale Absicherung besser wäre? „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das tun würde. Das wäre für mich keine Option.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie noch hinzu: „Aber man soll nie nie sagen ...“

(aus MM 5/2021)