Nancy Franck beim Auftritt im Bierkönig im August. Sie hat Akrobatik als neues Stilmittel für sich entdeckt.

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Bevor es losgeht, steht Party-Sänger Peter Wackel wie schon Hunderte Male zuvor abseits an der Bar des „alten Bereiches” im Bierkönig. Der Raum mit der Holzbühne in der Mitte ist schon seit so vielen Jahren ein Party-Mittelpunkt des Biertempels.

Es ist so weit. Der DJ kündigt ihn über die Lautsprecher an und schaltet gleichzeitig sein Mikrofon scharf. Der Künstler kommt wie ein Profi-Boxer aus seiner Bar-Ecke und kämpft sich durch die Menge in Richtung Bühne. Es ist tatsächlich ein Kämpfen, oder besser ein Quetschen, denn die Menge drängt sich Haut an Haut um die Bühne. Er begrüßt seine Fans im Saal und schiebt sich weiter in Richtung Zentrum. Dabei klopfen ihm Hände auf die Schulter. Gesichter drücken sich in seine Richtung, das Handy knips bereit im Selfie-Modus. Hier und da werden sogar Küsschen verteilt. Es ist Sommer, es ist heiß und die Ausdünstungen seines Publikums mischen sich mit dem für den Bierkönig typischen Geruch von Bier und Schnaps. Er betritt die Bühne mit einem großen „Hallo Bierkönig” und der wilde Ritt beginnt. Bis zum Jahr 2020 war das ein normaler Donnerstag im Kult-Laden an der Schinkenstraße.

Heute, 658 Tage nach seinem letzten Auftritt dort hat sich alles verändert. Zunächst einmal haben die Live-Auftritte im Bierkönig die Location gewechselt. Vom „alten Bereich” mit der Bühne in der Mitte hat das Unternehmen die Shows seiner Künstler in den „neuen Bereich” verlegt. Der Raum und die Bühne sind dort größer. Es wurden Bierbank-Garnituren für jeweils vier Leute mit Sicherheitsabstand zu den Tischnachbarn aufgestellt. Insgesamt ist das Party-Publikum auf nur 100 Menschen beschränkt. Das Bild erinnert ein bisschen an ein Klassenzimmer mit Frontal-Unterricht vom Party-Lehrer. Ähnlich wie in der Schule ist spontanes Aufstehen im Klassenraum untersagt. Das Entfernen vom Party-Unterricht, beispielsweise für einen Toilettengang, muss zwar nicht von der Security genehmigt werden, wird aber zumindest mit Argusaugen beobachtet. Es ist eine wesentlich reglementierte Art des Feierns und dennoch haben Künstler und Publikum einen Riesen-Spaß dabei.

Tim Toupet, ein alter Hase im Bierkönig-Auftritts-Geschäft, war nach eineinhalb Jahren ohne Bühne genauso aufgeregt wie bei seinem ersten Mal vor vielen Jahren. Er hatte nicht nur den letzten Live-Auftritt im Party-Tempel vor der Pandemie, sondern war auch der erste Künstler, der unter dem neuen Konzept auftreten konnte. „Mittlerweile hatte ich schon dreimal das Vergnügen und ich bin jedes Mal wieder nervös. Es ist eben doch was ganz anderes”, erzählt der 49-Jährige. Obwohl anders, hat der gebürtige Kölner viel Freude in den 45 Minuten auf der Bühne. Und er ist vor allem dankbar, endlich wieder seinen Fans gegenüberstehen zu können. „Das Konzept vom Bierkönig ist gut durchdacht. Die haben eine ganz klare Linie, und wenn diese ein Einzelner überschreitet, fliegt er raus. Wenn sich die Mehrheit nicht an die Regeln hält, wird abgebrochen.” Bemerkenswert: Trotz feierwütigen jungen Leuten mit ordentlich Bier im Kopf ist es dazu noch bei keinem Auftritt eines Künstlers gekommen.

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Peter Wackel ist fasziniert von der Disziplin und dem gleichzeitigen Party-Hunger seines Publikums. „Ich habe manchmal das Gefühl, die Leute haben während der Zeit ohne Bierkönig und Auftritte aus Verzweiflung meine Lieder auswendig gelernt. Klar können die Menschen sich nicht so gehen lassen wie früher, aber es kommt mir so vor, als wären sie jetzt viel mehr bei der Sache.”

Die Plätze bei den Live-Auftritten sind streng limitiert, deshalb hat das Unternehmen in jedem weiteren Raum große Flachbildschirme installiert. Dadurch können die restlichen 700 Leute, die im Bierkönig verteilt feiern, jeden Auftritt verzögerungsfrei anschauen.

„Ich glaube, das Konzept für den Bierkönig geht auf”, überlegt Tim Toupet und ergänzt: „Wenn auf meinen Social-Media-Kanälen Kritik geäußert wird, dann immer gegen Auftritte und das Feiern im Bierkönig generell. Das ist okay, ich denke, dazu gibt es eben sehr viele verschiedene Meinungen. Auf der anderen Seite habe ich noch nie irgendwo gelesen, dass sich Fans über das Konzept oder die neue Art des Auftretens beschweren. Viele sind sicher auch einfach froh, mal wieder Party machen zu können.” Dafür nehmen sie auch Regeln und drei Meter Sicherheitsabstand zu den Künstlern in Kauf.

Diese Drei-Meter-Regel ist die schwierigste für die junge Sängerin Nancy Franck. Sie hatte am vergangenen Sonntag ihren ersten Auftritt nach einer viel zu langen Bierkönig-Pause. „Ich habe nachgezählt, es waren genau 548 Tage seit dem letzten Mal. Und klar, ich war schrecklich aufgeregt. Aber es hat auch echt Spaß gemacht, allerdings fehlt mir der Kontakt zu den Menschen schon sehr.” Für die angehende Lehrerin waren die Selfies, Autogramme und der Smalltalk mit ihrem Publikum nach einem gelungenen Auftritt immer das Highlight des Abends. „Die Leute haben bewiesen, dass man auch im Sitzen eine fette Party feiern kann. Ich hatte bei meinem Auftritt durchgängig Gänsehaut und wenn die Leute nicht mehr tanzen und springen können, muss ich das halt für sie übernehmen.” Die Aachenerin hat sich in ihrer Auftritts-Pause ein neues Bühnenkonzept überlegt. „Ich habe angefangen, Akrobatik mit in meine Show einzubauen. Dadurch haben die Leute einfach ein bisschen mehr Action auf der Bühne und mir macht das Ganze auch Spaß. Es ist etwas Neues und Herausforderndes.” Während Nancy Franck ihren bisher einzigen Auftritt für dieses Jahr absolviert hat, und sich jetzt auf weitere Auftritte in Deutschland freut, lädt der Bierkönig den restlichen August fast täglich mit Live-Auftritten verschiedenster Künstler zum Feiern ein. Es gibt sie also wieder, die Party im kultigen Biertempel, nur eben etwas anders.