Ein Sonnenuntergang am Meer: Die Weite der See und des Himmels können für trauernde Menschen ein Ruheort und Trostspender sein. | Privat

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Der folgende Text ist der MM-Kolumne "Unter vier Augen" von Talia Christa Oberbacher entnommen. Die Autorin ist Hypnose-Therapeutin und Coach in der Palma Clinic auf Mallorca.

Heute vor drei Jahren ist mein Pflegesohn gestorben. Nach kurzer, schwerer Krebserkrankung. Nach acht Monaten Bangen, Hoffen, Leiden, Schmerzen und Verzweiflung.

Einen jungen Menschen mit 28 Jahren bis zum Tod zu begleiten, war nicht einfach für mich. Ich beschäftige mich beruflich mit dem Tod, mit Trauer und Verlusten. Damit, was Trauern mit den Menschen macht. Ich begleite Menschen auf dem Weg durch das Land der Trauer, seit vielen Jahren. Ich helfe ihnen, heilsam zu trauern. Ich weiß sehr viel über die Trauer. Genutzt hat mir das in meiner eigenen Trauer – nichts.

Als mein Pflegesohn beerdigt war, fühlte ich mich leer. Keine Fahrten mehr zur Klinik, kein endloses Warten auf kleine Hoffnungsschimmer, keine weiteren niederschmetternden Prognosen.

Ich fühlte mich einsam, verstummt. Ein bisschen wie mitgestorben. Ich versank in einem dunklen Loch. Trotz sommerlicher Hitze und Sonnenschein, war alles kalt und dunkel in mir. Die Jalousien heruntergelassen. Das Leben ausgesperrt. Sollte die Welt sich doch weiterdrehen. Ohne mich. Ich wollte nach dem Verlust angemessen trauern. Alleine, im Dunkeln.

Nach einigen Tagen überkam mich ein neuer Gedanke. Mein Pflegesohn liebte die Sonne und den Sommer. Er liebte es, baden zu gehen und im Wasser zu toben. Er hätte sicher viel dafür gegeben, in diesem Sommer 2018 das alles noch einmal tun zu können. Er konnte es nicht. Er lag im Hospiz und wartete auf seinen Tod.

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Plötzlich fühlte ich mich so schlecht. Ich konnte das ja alles tun! Ich konnte in der Sonne sitzen und trauern. Ich konnte schwimmen gehen und trauern. Ich konnte auch am Meer sitzen und trauern. Ich konnte es, und ich tat es.

Ich stand auf, zog die Jalousien hoch, packte meinen Koffer, buchte ein Zimmer in einem kleinen Küstenort in Italien und fuhr los. Sechs Stunden später war ich am Mittelmeer. Während der Fahrt weinte ich die meiste Zeit, teils vor Schmerz um den Verlust, teils aus Dankbarkeit über meinen Entschluss.

Ich trauerte bei meiner Ankunft, ich trauerte beim Essen, beim Schwimmen, alleine in der Nacht. Ich trauerte sehr viel, aber ich tat es mit dem Gefühl, das Richtige zu tun. Ich war so froh, dass ich das alles erleben durfte, dass ich auch in meiner Trauer die Sonne und das Meer genießen durfte und konnte.

So habe ich mit diesem schweren Verlust eine sehr wichtige Erkenntnis gewonnen: Mir wurde klar, dass die Trauer ihren Platz in mir hatte, ganz egal, wo ich war, egal, was ich tat.

Warum ich Ihnen das erzähle? Trauer ist (besonders in diesen Zeiten) allgegenwärtig, auch auf der schönsten Insel der Welt. Menschen sterben, wir Hinterbliebenen trauern um sie. Trauer ist so wichtig. Sie ist eine Fähigkeit, die uns hilft, mit dem Verlust umzugehen, ihn (im besten Fall) zu integrieren.

Leider jedoch sind Tod und Trauer immer noch Tabu-Themen, mit denen niemand gerne konfrontiert wird. Und das, obwohl in dieser Welt nichts sicher ist, außer der Tod und die Steuer, wie Benjamin Franklin einmal sagte.

Wir alle werden im Laufe unseres Lebens Verluste erleiden. Manchmal können wir uns auf die Trauer vorbereiten, manchmal trifft sie uns wie ein Blitzschlag. Wir dürfen und sollten die Toten beklagen und betrauern. Und es ist wichtig und richtig, dass wir gleichzeitig daran denken weiterzuleben. Uns erlauben, all die Dinge zu tun, die uns in diesen schweren Zeiten unterstützen und uns gut tun. Es ist wichtig, auf den Moment zu achten, wenn es Zeit wird, die Jalousien hochzuziehen und sich auf den Weg zu machen.