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Als Vicky López in einem Restaurant an Palmas Ramblas erzählt, dass sie von montags bis freitags in ihrem 18-Tonner schlief, liegt links neben ihr eine Zeitung. Es ist das Mallorca Magazin, Ausgabe 7, Jahrgang 2021, ein bisschen zerfleddert, aber alles noch drin. Im Februar lautete in dem Blatt auf Seite 17 eine Schlagzeile : „Mallorquiner in Deutschland am Steuer.“

Vicky López kommt in dem Artikel vor, auf einem Foto steht sie mit Arbeitsschuhen und Hoodie vor einem roten Lastwagen, die Fahrertür ist offen. So als fahre die Frau gleich vom Hof. Vor genau einem Jahr hatte Vicky López, heute 48 Jahre alt, damit begonnen, für ein Transportunternehmen im baden-württembergischen Karlsruhe, Tomaten und Gurken an Supermärkte zu liefern.

Die Mallorquinerin ist nicht allein: Hunderte Spanier – genaue Zahlen fehlen – migrieren jedes Jahr in andere europäische Länder, auf der Suche nach gut bezahlten Jobs. Sie kehren ihrer Heimat den Rücken, weil ihnen die Perspektive fehlt. Zuvor hangelten sich manche von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, andere fanden nicht den Job, für den sie sich durch Ausbildung oder Studium gequält hatten.

Die Arbeitslosenquote in Spanien lag im dritten Quartal dieses Jahres bei 14,5 Prozent. Das entspricht 3,4 Millionen Unbeschäftigten. Deutschland kam im November auf 5,1 Prozent, was 2,3 Millionen Menschen ohne Arbeit bedeutet. In der Bundesrepublik sorgt eher der Fachkräftemangel für Probleme, es fehlen Kellner, Industriemechaniker, Metzger, Bus- sowie Lastwagenfahrer. Deshalb vermittelt nun auch die Hilfsorganisation „Hope Mallorca” mit Sitz in Santanyí Mallorquiner an deutsche Firmen.

Ursprünglich bewarb sich Vicky López, die zwei Söhne im Alter von 19 und 21 Jahren hat, auf eine Stelle eines Busunternehmens in Rheinland-Pfalz. Bus- und Lastwagenführerschein besitzt Vicky López seit vielen Jahren. Die Firma „Bbus“ suchte auf einer Internet-Plattform nach Bewerbern. Noch heute steht ganz oben auf der Homepage auf Spanisch: „Busfahrer/in gesucht – Wir zahlen dir den Führerschein.“

Doch das Unternehmen stellte López nicht ein, es gab anscheinend viele Konkurrenten. Die Mallorquinerin hielt an ihrem Plan fest, nach Deutschland zu gehen und stieß bei Facebook auf den Post eines Headhunters, der Spanier für Jobs in der Bundesrepublik anwarb. López war zu diesem Zeitpunkt ohne Job und konnte ein bisschen Deutsch. Im Dezember des vergangenen Jahres begann López als Lastwagenfahrerin, bei ihrem ersten von insgesamt drei Arbeitgebern – in sechs Monaten Deutschland.

Sie fuhr auf den Höfen von Bosch, Porsche, Mercedes, Dachser, DHL, GLS, Lidl, Aldi, Real, Netto, Rewe, Penny vor: abladen, wieder aufladen. Vicky López war unter der Woche täglich 24 Stunden im Dienst, wie sie sagt. Sie schlief auch mal weit entfernt von ihrem Arbeitsort, etwa in Leipzig, Zürich oder in den Niederlanden.

Weihnachten flog López nicht nach Mallorca, das Fest verbrachten ihre Söhne ohne die Mutter. An den Wochenenden traf sich Vicky López mit anderen Spaniern. Sie besuchten Städte wie Heidelberg, konnten dort aber nicht mal einen Kaffee trinken: Wegen Corona blieben in Deutschland im Frühjahr Bars, Restaurants und Museen geschlossen. „Da hat etwas gefehlt.“

López hätte sich auch gewünscht, mehr Deutsch zu sprechen. „Als ich den ganzen Tag im Lastwagen saß, habe ich mit niemanden geredet.“ Sie wechselte nur ein paar Worte, etwa wenn sie Lieferpapiere abgab.

Die bisher größte Auswanderungswelle erlebte Spanien nach der weltweiten Wirtschaftskrise 2008, als eine Immobilienblase geplatzt war. Eine Million Spanier verließen das Land. Darunter eine Generation junger, gut ausgebildeter Menschen, die im Ausland ein besseres Leben suchte. Viele von ihnen gingen nach Deutschland.

Zehn Jahre später zog es einen Teil der jungen Leute, die vor der Massenarbeitslosigkeit flohen, wieder in die Heimat. 2018 war das erste Jahr, in dem mehr Spanier zurückkehrten als auswanderten.

Wer Gründe dafür sucht, muss Raúl Gil anrufen. Er hat mit anderen Spaniern 2016 den Verein „Volvemos“ gegründet („Wir kehren zurück“). Dieser hilft Spaniern, wieder einen Job in ihrer Heimat zu finden, bringt Rückkehrer mit Arbeitgebern, die auf internationale Erfahrung und Sprachkenntnisse setzen, in Kontakt. Raúl Gil glaubt, dass viele wegen Freunden und Familie zurück wollen. „Wir Spanier“, sagt er, „sind Familienmenschen.“

Und natürlich sind da noch andere Dinge – die Kultur, die Sprache, das Wetter, das in Deutschland nun mal schlechter ist. Auch die spanische Regierung hat das erkannt. Im März 2019 rief das Arbeits- und Migrationsministerium den „Plan de retorno“ aus, der Auswanderern die Rückkehr erleichtern soll.

Auch Vicky López vermisste mit der Zeit ihre Kinder immer mehr. Sie war diejenige, die die gemeinsame Wohnung verließ – nicht wie üblich die Kinder. Diese gingen nun bei der Großmutter essen. Und López hatte sich einen besseren Lohn in Deutschland erhofft. Zwischen 1300 und 1500 Euro verdiente sie bei ihrem zweiten Arbeitgeber, weshalb sie noch einmal den Job wechselte und bei der „Deutschen Post” anfing.

Als sie im Mai begonnen hatte, Pakete für „DHL” hin und her zu fahren, kam ein Anruf aus Palma. Das städtische Busunternehmen hatte eine Stelle frei. López hatte sich vor ihrer Zeit in Deutschland bei „EMT” beworben. Da auch López’ Kinder die Mutter immer mehr vermissten, war für sie klar, nach Mallorca zurückzukehren.

In Palma, wo López wohnt, verdient sie besser als in Deutschland: bis zu 2500 Euro. Ihre Firma setzt sie häufig für die Linien 25, 35 und 23 ein. Diese verbinden Palmas Zentrum mit der bei Deutschen beliebten Playa de Palma. López kommt auf der Insel mehr in Kontakt mit Deutschen als in dem Land selbst, sagt sie. Wohl auch deshalb hat sich Vicky López wieder für einen Deutschkurs angemeldet. Sie kann sich vorstellen, irgendwann erneut nach „Alemania” zu gehen.