Die Umweltproblematik sei während der Corona-Pandemie in den Hintergrund gerückt, beklagen Wissenschaftler. (Symbolbild)

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Wenn sich schlaue Köpfe zusammentun, kommt etwas Gescheites dabei heraus. Neun Professoren der Balearen-Universität haben ein Strategiepapier veröffentlicht mit dem Titel: „Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Balearen: ein Leitfaden für die Politikgestaltung in Mittelmeerregionen”. Damit wollten sie die Regierenden wachrütteln, sagt die Ökonomin Catalina Torres. Sie leitet die interdisziplinäre Forschungsgruppe für Klimawandel „Lincc” der Balearen-Universität, die den Bericht verfasst hat.

Was der Klimawandel unmittelbar mit sich bringt, ist inzwischen bekannt: Die Temperaturen steigen, der Meeresspiegel steigt, die Niederschläge gehen insgesamt zurück, aber Extremwetterereignisse nehmen zu. Aber was bedeutet das genau für Fauna und Flora, die menschliche Gesundheit und die Wirtschaft der Inseln? Das hat die Lincc-Gruppe analysiert. „Wir haben unsere eigenen Forschungsergebnisse sowie relevante Studien von Kollegen ausgewertet und zusammengetragen”, erklärt Catalina Torres.

PALMA. CLIMATOLOGIA. Las medidas de la UIB contra el cambio climático.
Dr. Catalina Torres und Dr. Miguel Ángel Miranda während der Präsentation des Strategiepapiers.

Auch wenn man von einzelnen Folgen schon gehört hat – die geballte Liste liest sich wie eine Schauergeschichte. Ein paar Beispiele: Pflanzenplagen durch tropische Parasiten werden sich häufen, ebenso Infektionskrankheiten, die durch Insekten übertragen werden. Die Wälder werden anfälliger für Schädlinge, ihre Fähigkeit CO2 zu speichern nimmt ab, insgesamt geht der Waldbestand zurück. Im Balearenmeer werden sich invasive Arten und Bakterien ausbreiten, was unter anderem dazu führt, dass die Unterwasservegetation immer weiter abstirbt, allen voran das Neptungras (Posidonia oceanica).

Seine wichtige Rolle im marinen Ökosystem kann es dann immer weniger erfüllen. Das Neptungras bietet Lebensraum für viele Meerestiere, schützt Küsten und Strände vor Erosion, speichert mehr CO2 als ein Regenwald und hält das Wasser sauber und klar. Welcher Tourist möchte in trübem Meerwasser baden? Strände und Dünensysteme werden kleiner und an einigen Stellen ganz verschwinden. Mit der zunehmenden Hitze steigt der Energiebedarf. Um die langen, heißen Sommer zu überstehen, werden wir zum Beispiel vermehrt Klimaanlagen nutzen.

Das wiederum verstärkt den CO2-Ausstoß. Hitze und höhere CO2-Konzentrationen setzen auch den Gebäuden zu und fördern die Korrosion. Der Hitzestress wird die Produktivität senken, während die öffentlichen Ausgaben für Energie, Schädlingsbekämpfung, Infrastruktur und Wasserverteilung in die Höhe schnellen, was das Haushaltsdefizit weiter wachsen lässt und sich auf die Sozialausgaben auswirkt. Wie gesagt, ein paar Beispiele.

„Wir können den Klimawandel nicht mehr stoppen”, sagt Catalina Torres. Prävention sei keine Option mehr. Von jetzt an drehe sich alles um Eindämmen und Anpassen, fügt der Biologe Miguel Ángel Miranda von der Lincc-Gruppe hinzu. Die Wissenschaftler haben ein umfangreiches Aktionspaket zusammengestellt. Konkret fordern sie von der Politik 69 Maßnahmen bis 2030.

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Dabei geht es um Wasserressourcen, Energiewirtschaft, Abfall, den Schutz der Ökosysteme, Infrastruktur und Stadtplanung, Mobilität, Gesundheit, Wirtschaft, Tourismus und Bildung. Ein öffentliches, bezahlbares und nachhaltiges Verkehrsnetz als echte Alternative zum Privatauto gehört dazu ebenso wie der Ausbau der Kreislaufwirtschaft zur Reduzierung von Produktion und Konsum oder die Neuausrichtung des Tourismus weg von der Masse hin zu Nachhaltigkeit und Slow Tourism. Es sind Leitlinien. Die genaue Ausgestaltung sei Aufgabe der Politik, meint Miranda. „Aber es fehlt der Wille dazu.”

In der Pandemie sei die Umweltproblematik in den Hintergrund gerückt und jetzt wolle man, dass alles so schnell wie möglich werde wie vorher. Die Balearen-Regierung setze wieder auf den Massentourismus als Hauptmotor der Wirtschaft. „Aber eben dieser Tourismus verschlimmert den Klimawandel, während er gleichzeitig extrem an den Auswirkungen leidet”, sagt Miranda.

Eins sei klar, Mallorca werde in den nächsten Jahren nicht attraktiver für Touristen, sondern an Attraktivität verlieren. Aber was machten die Regierenden? „Parallel zur Klimakonferenz in Glasgow, an der unser Minister für Klimawandel teilnahm, fand die internationale Tourismusmesse in London statt. Dorthin fuhren die Präsidentin des Inselrats und die balearische Ministerpräsidentin. Sie haben sich noch nicht einmal aufgeteilt.”

Zwar habe man eine Abteilung für Klimaschutz, die ein wenig an der Reduzierung der Treibhausgase arbeite. Aber das nütze nichts, wenn man gleichzeitig ein Wirtschaftsmodell aufrechterhalte, das hohe Umweltkosten verursache, weil es extrem konsumorientiert sei, massenhaft Abfälle und Abgase erzeuge sowie Ressourcen verbrauche, sagt Catalina Torres energisch. „Und dahinter steckt der Wahn des unbegrenzten Wirtschaftswachstums. Wenn wir dies nicht erkennen, werden wir wenig tun können.

Es gibt keinen ökologischen Wandel ohne wirtschaftlichen Strukturwandel.” Jetzt hätten die Regierenden keine Ausrede mehr, ihre Politik nicht zu ändern, meint Miguel Ángel Miranda. „Nach dem Motto, das mit dem Klimawandel ist kompliziert und steht nirgends. Nein: In diesem Bericht steht es.” Eine ernsthafte Debatte anzuregen, sei ihr Anliegen.

Sie finden den Bericht auf www.link.springer.com. Originaltitel: „Climate change and their impacts in the Balearic Islands: a guide for policy design in Mediterranean regions”