Die beiden Gründer der Associació Tardor, Jonny Darder (l.) und Toni Bauzá. Beide bekämpfen den Stress, den die Aufgaben mit sich bringen, im Ring. Darder im klassichen Box-Stil und Bauzá beim Thai-Boxen. | Tardor

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Der Kellner in dem Café in Valldemossa hält inne als er der vierköpfigen Familie einen Kaffee, ein Granizado de almendras und zwei Cocas de Patata auf den Tisch stellen will. Es ist der Vater, der seine Aufmerksamkeit erregt. Er mustert den großen, muskulösen und irgendwie bedrohlich wirkenden Mann mit dem rasierten Schädel und den vielen Tätowierungen am ganzen Körper. „Ist was? Kann ich dir helfen?” reagiert Jonny Darder auf den Angestellten, als dernicht aufhört ihn anzuschauen.

Es liegt eine seltsame Spannung in der Luft als der junge Mann diese auflöst, unvermittelt lächelt und sagt: „Das hast du schon und ich wollte dir nur danke sagen.” Es stellt sich heraus, dass der Mann mit den insgesamt 70 Tattoos sein Gegenüber vor einigen Jahren in seiner Funktion als staatlicher Sozialarbeiter vor dem Absturz und der Obdachlosigkeit bewahrt hat.

„Ich kann nicht genau sagen, was ich damals gemacht habe. Dafür bin ich in den vergangenen 35 Jahren einfach zu vielen Menschen begegnet.”, erklärt Darder. Dennoch legen sich feine Lachfalten um die Augen des 62-Jährigen als er sich an diese Begegnung am vergangenen Wochenende zurückerinnert.

Im Moment ist er allerdings nicht in seiner Funktion als Angestellter im Sozialwesen unterwegs, sondern als Präsident und Mitbegründer der Associació Tardor einem gemeinnützigen Verein, den er vor sechs Jahren mit seinem Freund Toni Bauzá ins Leben gerufen hat. Tardor betreibt eine Suppenküche sowie zwei Häuser mit Unterkünften für arme und obdachlose Menschen.

„Wir sind hier in „Llar Inge”, einem Gebäude hauptsächlich für Frauen und Familien. Außerdem gibt es noch das Männerwohnheim „Llar Kurt”. Das katalanische Wort „Llar” bedeutet Zuhause.

Inge und Kurt sind das mittlerweile verstorbene deutsche Ehepaar, das die „Kalonge Stiftung” gegründet hat, von der Tardor seit vielen Jahren unterstützt wird. Aus Dankbarkeit hängt im Eingangsbereich der beiden Häuser ein Bild des Ehepaares. Llar Inge beherbergt derzeit 36 Frauen und vier Familien. In den Zwei- bis Fünfbett-Zimmern von Llar Kurt leben im Moment 67 Männer.

„Einige der Menschen hier haben durchaus mit dem Konsum von Alkohol oder Drogen eine Entscheidung für ihr Leben getroffen. Die Sucht und der oftmals damit einhergehende Abstieg ist dann die Konsequenz dieser Entscheidung.” Diese Menschen seien aber die Ausnahme und nicht die Regel, erklärt Darder.

Den meisten Bewohnern von Inge und Kurt sei die Entscheidung über ein Leben in Armut abgenommen worden. „Stell dir vor, du wirst krank und verlierst deinen Job oder du findest keinen neuen, weil du zu alt bist.” Nachdem der Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgebraucht ist, gewährt Mallorcas Sozialsystem den Menschen etwas mehr als 400 Euro Sozialhilfe. Anders als in Deutschland müsse davon allerdings alles bezahlt werden. „Die Miete, Versicherungen, Lebensmittel, Schulsachen oder Kleidung zu bezahlen, wird plötzlich unmöglich und schneller als du gucken kannst, sitzt du auf der Straße.”

Bei Familien ist das für Darder immer besonders schlimm mit anzusehen. „Das System zwingt dich in den sozialen Abstieg und du kannst oft nichts dagegen tun. Meiner Erfahrung nach ist in den meisten Fällen die Politik und nicht der Mensch Schuld an der Situation.”

Während der Corona-Krise musste der Schwede dreimal ins Krankenhaus eingeliefert werden, weil der Hobby-Boxer durch den enormen Stress immer wieder in den Seilen hing. „Ich habe am Tag an die 100 Anrufe bekommen, auch mitten in der Nacht musste ich Entscheidungen treffen, die das Leben anderer beeinflusst haben. Die Schlange an unserer Essensausgabe war manchmal bis zu 2,5 Kilometer lang.” Auch wenn die Krise vorbei zu sein scheint, beobachtet Darder weiterhin einen schleichenden Anstieg der Armut auf der Insel. „Mallorca hat zwei Gesichter. Eines ist unverschämt reich und das andere ist bitter arm.”

Die Associació Tardor hat im Monat Kosten von rund 20.000 Euro zu stemmen. Zum einen helfen die Bewohner der Wohnheime selbst dabei, indem sie eine geringe Miete entrichten, zum anderen sei es die Menschlichkeit der vielen Unterstützer, die alles am Laufen halte.

„Jeder, der hier arbeitet, macht das umsonst. Wir haben Nahrungsmittel-Hersteller, Hotels, Baufirmen, und Banken, die uns unterstützen.” Meistens seien es die Menschen, die am härtesten für ihr Geld arbeiten mussten, dann aber bereitwillig und großzügig etwas davon abgeben würden. „Natürlich brauchen wir noch mehr Menschen, die uns unterstützen, denn die Leute, die Hilfe brauchen, werden schließlich auch immer mehr” (Spenden: facebook.com/comedortardor). Dabei seien es nicht die drei oder vierstelligen Beträge der einzelnen, auf die es ankomme. Vielmehr sei es der eine Euro für den Einkaufswagen, den niemand im Portemonnaie vermisst. Die Münze, die einzeln für den Einzelnen keinen Unterschied macht. In der Masse für die vielen aber ein Weg aus der Armut sein kann.

In der einen Waagschale liegt ein Herz, in der anderen Schale der Waage, die mit schwarzer Farbe auf Darders Hinterkopf tätowiert ist, liegt ein Gehirn. „Um als Gesellschaft gute und richtige Entscheidung für alle treffen zu können, brauchen wir Herz und Verstand, anders geht es nicht.” Er selbst hat vor mehr als einem Vierteljahrhundert die Entscheidung getroffen, einen großen Teil seines Herzens und seines Verstandes, den Menschen zukommen zu lassen, die das Leben oder das System angeschmiert hat. Solange er das könne, gehe der Kampf gegen die Armut auf Mallorca für ihn weiter.

Sein großer Traum: „Ich will ein Hotel kaufen. Man stelle sich nur mal vor, wie vielen Menschen wir mit so einem Gebäude helfen könnten.” Dabei stelle er sich richtige Zimmer mit eigenem Bad vor. Räumlichkeiten, die den Menschen, die sie beherbergen, nicht nur ein Dach über dem Kopf bieten, sondern ihnen zusätzlich ein Stück ihre Würde wiedergeben könnten.