Gelassenheit, Geselligkeit und leckere Restaurants. Als der Carrer Major verkehrsberuhigt wurde, konnten die Cafés ihre Terrassen erweitern. | E.C.U.

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Seit den 1960er Jahren ist die Einwohnerzahl von Calvià von knapp 2700 auf über 50.000 explodiert. Die 52 Kilometer lange Küste der Gemeinde, die vor dem Boom des Tourismus praktisch unbewohnt war, ist heute fast ununterbrochen bebaut. Doch nur wenige Kilometer von der Küste entfernt spürt man nichts mehr von der Touristenhochburg und taucht ein in das hügelige Hinterland zu Füßen der Tramuntana mit den alten Dörfern Es Capdellà und Calvià Vila, unserem heutigen Ziel.

Von weitem fällt die gewaltige Pfarrkirche auf, bei der Einfahrt das imposante Rathaus und dann die Ruhe. Der 2600-Seelen-Ort ist das administrative Zentrum der Gemeinde und hat sich doch seine dörfliche Gelassenheit bewahrt. Durchgangsverkehr gibt es kaum, Hotels keine – nur ein paar Agrotourismos, und auch keine großen Supermärkte. Die Häuser liegen verstreut, mit vielen kleinen Gärten und Grünflächen selbst im Ortskern. Das soziale Leben spielt sich auf dem Carrer Major ab, der mitten durchs Dorf führt. Mehrere Bars und Restaurants laden zum Verweilen ein.

Calvià sei nicht wie üblich um einen zentralen Platz herum geplant worden, sondern habe sich entlang eines königlichen Wegs, dem Carrer Major, frei entwickelt, erklärt der Historiker Dr. Manuel Calvo. „Das macht seinen besonderen Charme aus.” Die meisten Häuser seien einfach, weil die reichen Landbesitzer früher im nahen Palma gewohnt hätten und nur die Arbeiter der Landgüter im Ort. „Prachtbauten finden Sie hier nicht, aber ein paar Schätze haben wir schon zu bieten.”

Dazu gehört Can Verger, ein traditionelles mallorquinisches Landhaus, heute die öffentliche Bibliothek, mit einer Kuriosität. Die mächtige Eingangstür stammt vom Palast der spanischen Inquisition in Madrid. „Ein früherer Besitzer ließ sie herbringen”, erzählt Calvo. Die Tür ist mit holzgeschnitzten Nelken in Form eines Gitternetzes verziert. Vom oberen Stockwerk schaut man auf Can Metge Vell, ein sehr schönes Haus im modernistischen Stil, und natürlich auf die hoch aufragende Pfarrkirche Sant Joan Baptista.

„Sie wurde 1248 erbaut und vielfach renoviert”, erklärt der Historiker. Ihre monumentale Fassade mit neoromanischen und neugotischen Elementen habe sie 1867 erhalten. Einen Besuch wert ist auch das Pfarrhaus direkt daneben wegen seiner interessanten Kombination aus mittelalterlicher und moderner Architektur. Wenn man den Innenhof betritt, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt.

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Am Platz vor der Kirche befindet sich eine große Wandtafel mit einer künstlerisch-farbenfrohen Darstellung der Geschichte Calviàs. Am Endes des Platzes führen Stufen hinab zum Carrer Major. Seit kurzem ist er verkehrsberuhigt und die Cafés konnten ihre Terrassen erweitern. Radfahrer erfrischen sich hier gerne auf ihrer Tour durch den Südwesten. Aber es lohnt sich, auch einmal zum Essen herzukommen, sei es montags im Anschluss an den Wochenmarkt oder abends. Zur Wahl steht traditionelle mallorquinische, moderne mediterrane und echte englische Küche, alles in familiärer Atmosphäre und ohne Autolärm.

Eine besondere Geschichte hat Sa Societat. Das Café mit Theater wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als Genossenschaft gegründet. „Wer im Dorf Geld hatte, trug Geld bei, wer keins hatte, trug seine Arbeit bei”, erzählt Xisca Reus, die das Café mit ihrem Mann Paco Moreno betreibt. Damals sei die Bevölkerung sehr arm gewesen. Kaziken hätten die Lebensbedingungen kontrolliert. „Es war ein Ort, an dem man Hilfe bekommen konnte.” Café und Theater kamen später hinzu. Im spanischen Bürgerkrieg wurde Sa Societat konfisziert und von der faschistischen Falange als Kaserne genutzt. An den Wänden erzählen Fotos von der Vergangenheit. Heute ist Sa Societat bei Einheimischen, Touristen und Residenten gleichermaßen beliebt.

Ein Viertel der Einwohner Calviàs sind Ausländer. Das Zusammenleben klappe gut, findet Xisca. Die Residenten integrierten sich ins Dorfleben. Die Fiestas liebten sie genauso wie die Ortsansässigen.

„Die Einheimischen nehmen uns an”, sagt umgekehrt die Engländerin Claire Steel. Sie fühle sich sehr wohl in Calvià. „Wir haben super Restaurants, und es ist noch ein richtiges Dorf, wo sich die Leute umeinander kümmern.” Als sie einmal krank war, habe sie das erlebt. In Calvià seien die Mallorquiner recht offen, meint auch Sabine Schnell, die seit über dreißig Jahren auf Mallorca lebt und vorher in der Inselmitte gewohnt hatte. Man habe hier beides, das ruhige Ländliche, aber auch Menschen, fügt ihre Tochter Ana hinzu. „Die Nähe zu Palma ist auch angenehm.”

Konrad Kroder findet die Lage fantastisch. Man sei in 20 Minuten in Palma, in zehn Minuten am Strand oder in den Bergen. Und gute Schulen gebe es auch im Umkreis. Das sei für ihn wichtig gewesen, als er hier in den 1990er Jahren ein Haus kaufte. Nur manchmal wolle Calvià zu europäisch sein. Zum Beispiel werde seit einem Jahr der recycelte Müll an bestimmten Wochentagen direkt an der Haustür abgeholt. Die Idee sei gut, aber die Durchführung kompliziert. Selbst Calvià ist halt nicht perfekt ...