Jaume Santandreu ist tot. Der unbequeme Kämpfer, der unbeirrbare Menschenfreund, der rebellische Ex-Priester – einer der letzten großen Idealisten Mallorcas – ist im Alter von 86 Jahren in Can Gazà gestorben, jenem sozialen Zufluchtsort, den er einst selbst gegründet hatte. Inmitten "seiner Leute", wie er sie nannte: Obdachlose, Kranke, Gestrandete – Menschen, denen er nicht nur ein Dach, sondern auch Würde zurückgegeben hat. Die Trauerfeier zu seinen Ehren wird am Freitag in Manacor abgehalten – seinem Geburtsort und "innerem Heimathafen".
Geboren wurde Santandreu 1938 in eine bäuerliche Familie, mitten im Spanischen Bürgerkrieg. Früh lernte er das Arbeiten auf dem Feld, später besuchte er kirchliche Schulen. Seine Kindheit war nicht nur von Entbehrung, sondern auch von Leid gezeichnet – so sprach er offen über Missbrauch durch einen Ordensmann. Dennoch entschied er sich für das Priesteramt, wurde 1960 geweiht und zunächst in Palma und Sa Pobla eingesetzt.
Die Wende kam in Peru. Als Missionar in Piura, einem der ärmsten Gebiete des Landes, begegnete er Elend, aber auch Hoffnung – in jener Gegend, in der später auch der jüngst zu Papst Leo XIV. gewählte US-Bischof Robert Prevost Dienst zun sollte. Santandreu lernte: Kirche muss handeln, nicht predigen! Politik beginnt beim Essen. Und Freiheit ist nichts Theoretisches. Als er 1967 nach Mallorca zurückkehrte, war er nicht mehr derselbe – und wollte es auch nicht sein.
Priester mit Arbeitsklamotten und Schreibmaschine
Er wurde zum cura obrero, einem Arbeiterpriester, der tagsüber in der Hotellerie jobbte und abends seine Gedanken zu Papier brachte. Seine frühen Texte machten ihn in Literaturkreisen bekannt, seine Auftritte in kirchlichen und politischen Debatten berüchtigt. 1976 gründete er das erste Aufnahmehaus für Ausgegrenzte, später folgten ein Obdachlosenheim, eine Suppenküche, mehrere Wohneinrichtungen – und schließlich 2003 Can Gazà: mehr als nur ein soziales Projekt, eher ein Manifest. Hier lebten Menschen, die sonst niemand wollte – und genau darum nahm Santandreu sie auf.
Viele auf Mallorca verehrten ihn – andere verachteten ihn. Zwischen 1988 und 1992 war er Präsident der Linkspartei ERC auf den Balearen. In seiner wöchentlichen Kolumne im Diari de Balears wetterte er regelmäßig gegen die Kirche, die Politik, die eigene Heuchelei – und manchmal gegen sich selbst. Seine Texte spalteten. Aber sie waren nie gleichgültig.
Ein Geliebter Jesu – und bekennender Homosexueller
Er war ein Liebhaber Jesu, aber kein Freund des Vatikans. 2010 legte er offiziell das Priesteramt nieder. 2022 machte er öffentlich, was enge Freunde längst wussten: dass er schwul ist – und seit über 25 Jahren mit seinem Partner Miquel Àngel Castell zusammenlebt. In einem Interview sagte er: "Jesus versprach hundertfache Belohnung für den Dienst an den Armen. Ich habe das Doppelte bekommen – weil Miquel Àngel in mein Leben trat."
Krebsdiagnose – Abschied in Würde
Vor wenigen Wochen erst erhielt Santandreu die Diagnose: unheilbarer Krebs. Wie immer wich er nicht zurück, sondern bestimmte selbst, wie es weitergeht. Er entschied sich für eine Sedierung in Can Gazà – in jenem Ort, der mehr Kirche war als viele Kathedralen. Umgeben von Vertrauten, Mitarbeitern, Schützlingen. "Meine Höflinge", wie er sie nannte, mit einem Augenzwinkern natürlich. Kurz vor seinem Tod sagte er noch: "Ich habe geschimpft wie ein Rohrspatz. Aber jetzt ist Zeit für Versöhnung. Wenn sich jemand verletzt fühlte – ich bitte um Verzeihung."
Jaume Santandreu war vieles: Priester, Rebell, Schriftsteller, Ketten-Aktivist, Pflegevater, Streithansel, Visionär. Aber vor allem: ein Mensch, der Menschen nie aufgegeben hat. Nicht einmal, wenn sie sich selbst schon verloren hatten. Mallorca hat einen seiner lautesten Kämpfer verloren – und einen seiner leuchtendsten Geister.
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