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Am Ende fällt er einfach um. Erschöpft, ausgelaugt, fertig. Er kommt nicht mehr hinterher, mit dem technischen Fortschritt, mit dem eigenen Ich. Tobias Kunze, 32-jähriger Slammer aus Hannover, klopft, steppt und brüllt sich seinen Frust von der Seele und entlädt ihn im ausverkauften Gewölbesaal im Es Baluard, dem Museum für Moderne Kunst in Palma. Sein Text "Ich komme nicht mehr hinterher" zeigt Wirkung beim ersten Internationalen Poetry Slam auf Mallorca. Das Publikum jubelt.

Alterstechnisch ist es durchmischt, von alternativ bis schick - mit Totenkopfmuster-Shirt oder in klassischem Leinen, in schwindelerregend hohen Hacken oder bequemen Sandalen. Der Moderator, ein spanischer Dirk-Bach-Verschnitt mit Baseballkappe, hüpft vor, zwischen und nach den Vorträgen über die Bühne, rappt das Publikum an und macht Stimmung. Zu Beginn wirft er kleine bunte Stofftiere in die Menge. Wer eins fängt, wird Jurymitglied und darf jeden Beitrag auf einer Schiefertafel von eins bis zehn bewerten.

Die acht eingeladenen Slammer, alle bekannte Größen in ihrem Land, sechs Männer und zwei Frauen, dichten und texten, klagen, zetern und hadern, mit sich, mit der Religion, der Liebe, auf Deutsch, auf Englisch, Spanisch, Katalanisch oder Französisch. Das Publikum verfolgt die übersetzten Texte auf der Leinwand. Heute dürfen sie fünf statt der sonst in Spanien üblichen drei Minuten auftreten.

Die fünf Juroren stimmen nach jedem Beitrag ab, die niedrigste und höchste Punktzahl wird, der Befangenheit halber, gestrichen. Germany, 25 Punkte. Das ist ziemlich gut. "Die Bewertungen auf Mallorca sind relativ streng", meint Selma Montana, die zierliche Poetin, die seit drei Jahren zwischen Hamburg und der Insel pendelt. Sie kann ziemlich viel: rappen, texten, komponieren oder auch mit der Akustik-Gitarre sanfte Texte von der Bühne hauchen. Ihr erster Text "Körpersprache" lebt durch Wortspiele, Betonung und ihre eigene Körpersprache. Inzwischen trägt sie einige Texte auch auf Spanisch vor.

Tobias Kunze liebt dieses Format: "Das ist genau das, was man nicht zwischen Buchdeckeln machen kann. Geräusche darstellen, imitieren, Worte zerhacken und zerlegen". Er nutzt die Bandbreite und klopft rhythmisch, skattet mit den Worten, verschluckt absichtlich Silben, rennt durch seine Sätze, rückwärts und vorwärts, den Text immer im Kopf, wird laut, reißt die Augen weit auf und das Publikum mit. Die besten Ideen für seine Beiträge bekommt er unter der Dusche oder beim Quatschen mit Freunden. "Ich hab einen total löchrigen Kopf und muss alles sofort auf Servietten kritzeln." Diese Ideenfetzen schleift er dann in Ruhe zurecht und bringt sie in Form.

Die sich seit 2008 in Spanien kontinuierlich entwickelnde Slammer-Szene begeistert Annalisa Marí, Mitorganisatorin des Events und selbst Slammerin. Die Szene in Mallorca ist aktiv, einmal im Monat gibt es Auftritte. Jeder darf mitmachen. "Das ist die Zukunft, die Demokratisierung der Lyrik", schwärmt sie. Das Prinzip des "Open Mike", also dass wirklich jeder alles vortragen dürfe ohne Zensur, sei fantastisch und ein Muss.

Die spanische Szene sei im Vergleich zur Wiege des Slams, den USA, eher nachdenklich und vor allem auf Mallorca lyrisch. Die Amerikaner, obwohl sonst sehr freundlich und höflich, ließen ihren Unmut bei schlechten Texten klarer raus. "Auch die Franzosen machen ordentlich Rabatz", sagt Tobias Kunze.

Zurück zu den schreienden, klagenden oder raunenden Poeten. Marçal Font Espí aus Katalonien schaut ebenfalls leicht gequält ins gleißende Licht des Beamers. Den ersten Text spricht er auf Katalanisch, den zweiten auf Spanisch. Als er fertig ist, kann sich sein spanischer Kollege nicht mehr halten. Er schreit los, fast hysterisch, klatscht sich die Hände rauchig. Der Lohn für den Auftritt: höchste Punktzahl und Sieger des Abends. Den Preis, eine riesige mallorquinische Ensaimada, reckt er locker-cool in die Höhe. Die Truppe junger Dichter verneigt sich fürs Gruppenfoto vor ihrem Publikum.

Wer sich traut: Jeden 2. Mittwoch im Monat ist Poetry Slam in Palma. Im Winter in der Bar Bluesville, im Sommer in Ses Voltes. Zirka zwei Wochen vorher müssen die Texte eingereicht werden.

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