Szene aus "Tokyo Tokyo" von Avatâra Ayuso.

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Haben Sie schon einmal versucht, in 11.000 Metern Höhe auf einem Fuß zu balancieren? Avatâra Ayuso hat es getan, unterwegs nach Tokio, nach acht Stunden Flug. Ayuso ist eine preisgekrönte spanische Tänzerin und Choreografin, die in Palma, London und Dresden studierte und ihre Meisterklasse an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden absolvierte. Während sie im Flieger um ihr Gleichgewicht rang, bemerkte sie, dass sich eine Traube japanischer Passagiere um sie bildete, die sich methodisch streckten und bewegten: Menschen, die mit Bewegung sehr vertraut sind.

Ayuso wollte in der japanischen Hauptstadt ein tieferes Verständnis der Tanzszene eines Landes erlangen, in dem Hightech, Kunst und Tradition auf erstaunliche Weise miteinander vermischt sind.

Als Produkt dieser Reise ist das Videotanzstück "Tokyo Tokyo" entstanden, ein geheimnisvolles und zugleich sinnliches, die Fantasie anregendes Stück. Es versetzt den Betrachter auf ein Dach über dem tosenden Verkehr Tokios. Dort versuchen drei barfüßige Schönheiten in schwarzem Kimono, Sinn in ein Rätsel zu bringen, das jedoch ungelöst bleibt. Gezeigt wird diese Arbeit zusammen mit sieben weiteren Choreografien und einem einstündigen Dokumentarfilm am Mittwoch, 1. Oktober, um 19 Uhr beim zweiten Videotanz-Festival im Casal Solleric in Palma de Mallorca.

In der zweiten Ausgabe dieses Festivals werden Werke von Tänzern aus Japan präsentiert sowie von Künstlern aus anderen Ländern, deren Arbeiten auf unterschiedliche Weise Aspekte des traditionellen japanischen Tanzes aufgreifen.

Dazu hat die Kuratorin Ágota Harmati Arbeiten von neun internationalen Tänzern und Choreografen ausgewählt. Unter ihnen sind so bedeutende Künstler wie eben Ayuso oder der Neuseeländer Daniel Belton und dessen Good Company Arts. Ihre Videos dauern jeweils drei bis zehn Minuten.

Videotanz ist freilich alles andere als nur zeitgenössischer Tanz auf Video. Vielmehr handelt es sich um eine Mischform zwischen Tanz und Film, die Choreographien beziehen Tänzer wie Kamera gleichermaßen mit ein: Letztere tanzt sozusagen mit. Aus der Synthese von Tanz und bewegtem Bild entstehen Videos und Filme, die weder in ihrer zeitlichen noch in ihrer räumlichen Struktur auf der realen Bühne möglich wären.

Darüber hinaus bewirken Montagetechnik, Animationstechnik und elektronische Bildbearbeitung, dass sich im Videotanz nicht nur der Tänzer bewegt. Der ihn umgebende Raum wird ebenso in Bewegung versetzt - sei es der Außenraum, der alltägliche Innenraum oder eine fiktiv erschaffene Welt.

Zum Beispiel bei "Traces", einem Videotanzstück aus der Reihe "Line Dances", bei der sich David Belton von der Bilderwelt des Malers Paul Klee inspirieren ließ. Die Ästhetik seiner Bilder ist einzigartig. Sie bezaubert den Betrachter durch eine Kombination von Tanz, Zeichnung, Animation und Klang, bei der die Tänzer in eine grafische Umgebung hineinversetzt sind, die vom realen Raum weitgehend abgelöst wurde. Ihre Bewegungen kommunizieren mit den visuellen und akustischen Bewegungen elektromagnetischer Felder: Choreografie, Linien, Farben und Musik treffen im virtuellen Raum des Bildschirms zusammen, um das zu schaffen, was Klee als Zwischenwelt bezeichnete.

An der Grenze von Himmel, Land und Meer bewegt sich beispielsweise Satoshi Tsuchiyama, der in New York lebt und arbeitet. Bei seiner Choreografie geht es um den Schwebezustand des Erwachens, bei dem der Geist aus Millionen von Partikeln besteht, die an die Oberfläche steigen. Dagegen erscheint in dem Video "Sand Frames" des in Japan lebenden Kanadiers Charles-Eric Billard ein schwarz gekleideter Tänzer, der in und um zwei quadratische Rahmen auftaucht und sich multipliziert.

Die Bandbreite reicht bis Alberto Trabado Aguilera, der auf Mallorca lebt und arbeitet. In seinem Stück "Alma de muñeca" (Seele der Puppe), verschmelzt er japanische Tanzelemente mit Flamenco. Der Titel bezieht sich auf Kasumi, die zur Unbeweglichkeit verurteilte Muse der Malerei. Bewegung ist ihr nur im Traum möglich - so lange nicht zwei uralte Mächte aufeinandertreffen, die sie zum Leben erwecken.

(aus MM 39/2014)