Als Glaskolben porträtiert sich Mariana Sarraute auf diesem Bild.

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Der Bahnhof von Sineu ist wieder in Betrieb. In Kunstbetrieb. 2012 hatte das Centre d'Art S'Estació schließen müssen. Die Eisenbahngesellschaft SFM hatte dem Galeristen Klaus Drobig den Vertrag gekündigt und erklärt, ein Käufer wolle den "Bilderbahnhof" in ein Hotel umwandeln.

Statt dessen befindet sich im Erdgeschoss nun ein Restaurant. Das Jugendstilflair von einst ist dem Gastronomiemobiliar samt Tresen gewichen. Kunstliebhaber kommen dennoch wieder auf ihre Kosten. Denn in der geräumigen ersten Etage haben die Galeristen Nadège You und Tomeu Simonet eine Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst eingerichtet. Sozusagen eine Filiale ihrer Galerie Addaya in Alaró.

Bis Sonntag, 18. Januar 2015, präsentieren sie dort Arbeiten von Mariana Sarraute. Die Künstlerin, die 1971 in Buenos Aires geboren wurde und in Barcelona aufwuchs, bezeichnet sich selbst als Nomadin, als Brücke zwischen den Ufern. Sie lebte in Berlin, Sevilla, Buenos Aires, Barcelona und hat derzeit in Santanyí ihr Atelier aufgeschlagen.

Dort ist die Serie "Adivino Químico" entstanden, die nun im Bahnhof von Sineu zu sehen ist. Sie besteht aus Arbeiten in Acryl auf Leinwand, bei denen die Reproduktion und Manipulation von Leben sowie die Kontrolle der vitalen Vorgänge im Mittelpunkt stehen. Als Ergebnis einer Reihe von Erfahrungen und persönlichen Reflexionen porträtiert sich die Künstlerin als Glaskolben, als Reagenzglas, in dem sich Reaktionen von Substanzen ereignen, die ein neues Werk zur Folge haben.

Neben den Arbeiten Sarrautes sind kleine Schilder angebracht, die nicht nur die Titel der Werke anzeigen, sondern auch Abbildungen aus alchemistischen Büchern enthalten. Die Künstlerin nutzt sie als Verweise auf die hermetischen Werke des Mittelalters, um den Betrachtern einen Schlüssel für das Verständnis ihrer Bilder an die Hand zu geben. Denn in ihren Werken bezieht sie sich auf alchemistische Prozesse und ihre Beziehung zur künstlichen Fortpflanzung und zur Erzeugung von Leben.

Wer darin einen roten Faden sieht, der den Weg zur heutigen Reproduktionsmedizin weist, liegt nicht falsch: Die Künstlerin selbst stellt der Schau "Adivino Químico" dieses Zitat des mittelalterlichen Arztes, Alchemisten und Mystikers Paracelsus voran: "Man muss auch wissen, dass der Mensch durch diese gleiche Vorgehensweise gezeugt, geboren und aufgezogen werden kann, das heißt ohne natürlichen Vater und ohne natürliche Mutter, sondern mittels der Kunst und der Fähigkeiten des Wissenden."

Diese Aussage hat freilich einen doppelten Boden. Denn unter der materiellen Ebene befindet sich die psychologische, die der Begründer der analytischen Psychologie, der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung, in einem umfangreichen Werk herausgearbeitet hat. Oder um noch einmal Paracelsus zu bemühen: "Die Erzeugung aller Dinge ist zweierlei Art: diejenige, welche die Natur ohne die Kunst produziert, und diejenige, welche man durch die Kunst verwirklicht, also durch Alchemie."

Sarrautes Arbeiten ermutigen den Betrachter, sich nach innen zu wenden, zu jenem Ort des Subtilen, wo sich laut Jung die Alchemie vollzieht, die einen anderen Verlauf der Wirklichkeit ermöglichen kann.

Für die Künstlerin ist dieser Blick nach innen die Einsicht, die Grundlage für wirkungsvolle Taten. Zugleich begreift sie ihre Arbeit als "ästhetische Falle", um den Betrachter abzufangen und in die Welt der Hermetik und des Subtilen zu führen. Die Symbole in ihren Bildern sind dabei der rote Faden oder, mehr noch, die Elemente, die die Wirklichkeit des Bildes erzeugen.

Zunächst dienen ihre Arbeiten als Behälter einer symbolischen Welt. Diese Welt scheint durch eine Sinnlichkeit und Ästhetik durch, die den Betrachter einfängt. Trotzdem bewahrt sie ihre Geheimnisse - so wie es in hermetischen Werken eben üblich ist.

Um die Inhalte ihrer Arbeiten dennoch lesbar zu machen, versucht Sarraute, den Prozess des Bildaufbaus zu enthüllen, indem sie den Zusammenhang von Bildinhalt und Bildbehälter auflöst und neu anordnet. Sie wiederholt und fragmentiert Stereotypen, die dem Betrachter dabei helfen, das Bild und seine Bedeutungen zu entschlüsseln.

Die großformatige Malerei mit Aquarell oder Acryl auf Papier oder Leinwand erscheint auf den ersten Blick sehr traditionell, ebenso eine Serie von Grafiken. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch die Einbindung der neuen Medien in ihren Arbeit deutlich.

INFO
Ausstellung bis Sonntag, 18. Januar 2015. DI, DO, FR 9 bis 12 Uhr und 17 bis 24 Uhr; MI, SA, SO 9 bis 14 Uhr. Eintritt frei. Estació de Sineu, Carrer Estació 2, Sineu
(siehe Karte).

(aus MM 47/2014)