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Bleich liegt der Christus auf dem weißen Laken. Eine Frau im weißen Kittel streicht behutsam mit einem großen Wattestäbchen über seinen Körper. Wäre da nicht der große, helle Raum mit den Abzugsrohren aus Metall an der Decke und schauten unter dem Laken nicht zwei Holzböcke hervor, könnte man fast meinen, einer Grablegung beizuwohnen. Doch die Werkstatt des Bistums Mallorca ist keine Grabkammer. Direktorin Antònia Reig und ihre vier Mitarbeiterinnen erhalten und restaurieren hier Kirchenschätze.

Die Christusfigur aus der Kirche Sant Joan de Malta in Palma muss gründlich gereinigt werden. Im Laufe vieler Jahre haben der Rauch der Kerzen, aber auch die fettigen Finger der Gläubigen den Körper dunkel werden lassen. Das sorgt oft für unerwartete Überraschungen. "Die ursprüngliche Farbe ist oft viel heller. Manchmal kommen bei Bildern auch ganze Landschaften zum Vorschein, die einfach übermalt wurden", erzählt Reig. "Deshalb fragen wird zuvor den Kunden, ob wir die derzeitige Farbe beibehalten oder die ursprüngliche wieder hervorholen sollen."

Zu mindestens 90 Prozent stammen die Arbeiten aus den Gotteshäusern der Insel. Doch die Arbeit wird auch für die Kirchengemeinden nicht zum Gotteslohn verrichtet. Jede muss als private Körperschaft bezahlen, wobei Landesregierung, Inselrat oder Gemeinde oft mit Subventionen zur Seite stehen.

Bevor Reig und ihre Kolleginnen Hand an eine Figur, ein Bild oder einen Altaraufsatz legen, wird jedes Stück gründlich inspiziert. "Das ist wie vor einer Operation", erläutert Reig die Prozedur. Zunächst wird ein Stück im wahrsten Sinne des Wortes unter die Lupe genommen. Mit bloßem Auge zu sehen sind kleine Löcher am Allerwertesten des Christus von Sant Joan de Malta: Sie stammen von Holzwürmern. "Wo der Körper mit dem Kreuz Kontakt hat, begünstigt ein Mikroklima den Insektenbefall", erklärt Reig, warum sich die Holzwürmer ausgerechnet über dieses Körperteil hergemacht haben.

Figuren wie der Christus von Sant Joan de Malta müssen auch ins Krankenhaus. Um sich ein Bild vom Körperinneren zu machen, werden sie dort mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. In ihrer Werkstatt setzen Reig und ihre Kolleginnen zudem UV-Licht ein. Dabei treten sonst unsichtbare Geheimnisse an der Oberfläche zutage, zum Beispiel unterschiedliche Farbschichten, eingesetzte Holzteile, Knoten im Holz und aufgetragenes Blattgold.

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All diese Untersuchungen sind nicht nur für die Restauratorinnen wichtig: "Der Kunde will wissen, welche Arbeiten notwendig sind und was das kostet", nennt Reig einen weiteren Grund. So wird sie einen gotischen Sant Sebastià lediglich konservieren. Der abgefallene Arm bleibt dagegen im Briefumschlag. Schließlich macht es einen Unterschied, ob eine Arbeit mit 500 oder mit 2000 Euro zu Buche schlägt.

Chemiker, Radiologen, Architekten und Kunsthistoriker der Balearen-Universität: mit ihnen arbeiten die Restauratorinnen des Bistums eng zusammen. Die Kooperation kommt allen Beteiligten zugute. So liefern kunsthistorische Studien oft Hinweise darauf, welche Pigmente ein Künstler verwendet hat. Umgekehrt profitieren die Wissenschaftler davon, dass sie wertvolle Kirchenschätze in der Werkstatt direkt in Augenschein nehmen können.

Dort befasst sich eine Restauratorin mit einem alten Bild, bei dem Farbe abgebrochen und die Leinwand morsch ist. Auf dem Gemälde haben sich Rauch, Wachs, Insektenkot und Staub festgesetzt. Zunächst löst sie die Leinwand vom Rahmen, spannt eine neue Leinwand auf und klebt die alte darüber. Dann fixiert sie die brüchige Farbe. Jetzt beginnt die Reinigung. Zum Schluss wird auf die abgeplatzten Stellen eine Art weißer Putz und anschließend die Farbe aufgetragen.

Dient ein Bild oder eine Figur noch als Kulisse für den Gottesdienst, legen die Restauratorinnen gründlicher Hand an als bei einem Museumsstück, bei dem es vor allem auf den Erhalt der noch bestehenden Substanz ankommt. "Grundsätzlich versucht man heute, jedes Werk so gut wie möglich zu erhalten, dabei aber so wenig wie möglich von seinem Zustand zu verändern", erklärt Antònia Reig die zeitgemäße Vorgehensweise. Eine weitere Regel lautet: Jeder Prozess muss umkehrbar, jede neue Farbe wieder entfernbar sein. "Vor allem muss das, was wir als Restaurateure machen, erkennbar sein. Sonst würde unsere Arbeit als Fälschung gelten."

Reig und ihre Mitarbeiterinnen ersetzen deshalb die abgeplatzte Farbe so diskret wie möglich mit dichten Punkten, Strichen oder Rastern. Diese Ausbesserungen kann man mit dem bloßen Auge erkennen - allerdings nur aus nächster Nähe. Denn so lautet das oberste Gebot: "Man muss die Hand des Künstler sehen. Unsere Arbeit bleibt anonym und im Hintergrund."

(aus MM 4/2015)