Katja Ebstein: "Ich habe nie in einer Schublade gesessen. Man hat versucht, mich da hineinzustecken, aber das war mir zu klein." | Martin Breuninger

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Unterhaltung hat für Sängerin und Schauspielerin etwas mit Haltung zu tun. Mit dem Mallorca Magazin sprach sie im Oktober während eines Aufenthaltes auf der Insel über ihre Erfolge, Erlebnisse und Pläne.

Mallorca Magazin: Frau Ebstein, Ihr erstes Album "Katja" erschien 1969, dem Jahr des Woodstock-Festivals. Wie viel bekamen Sie von dieser Bewegung mit?

Katja Ebstein: Ich habe sie in Berlin hautnah miterlebt und auch mitgetragen. Die Jugendlichen sind damals angetreten, um als denkende, nachrückende Elite gegen den Werteverfall anzugehen. Dafür wurden sie von den Erwachsenen sozusagen links liegen gelassen. Deswegen wuchs ja dieser ganze Protest.

MM: Wollten Sie da keine Protestsängerin werden?

Ebstein: Das war ich ja vorher, aber ich wollte das ursprünglich nicht beruflich machen. Die Produktion einer LP war damals zu teuer, um in den Regalen liegen zu bleiben. So kam es zur Teilnahme am Grand Prix Eurovision und rutschte auf die Kommerzschiene.

MM: Mit welcher Musik sind Sie groß geworden?

Ebstein: In Berlin hörte man AFN, BFN und die Franzosen, weil die deutschen Sender die Lieder mit den doofen Texten spielten. Jetzt haben wir wirklich eine gute Pop-Kultur in Deutschland, darauf kann man stolz sein. Diese Entwicklung schlägt sich bei uns am stärksten in guten Texten nieder. Meine Entsprechung im Denken war immer Udo Lindenberg, auch seine Sprache. Diese Alltagslyrik spricht mir am stärksten aus der Seele. Deshalb war es für mich am Anfang sehr anstrengend, mich auf etwas einzulassen, das mir zu wenig Mitteilung enthielt.

MM: Trotzdem hatten Sie damit sehr schnell Erfolg. "Wunder gibt es immer wieder" kennen die Leute heute noch.

Ebstein: Ja, das ist ein wunderbarer Allgemeinplatz. "Wunder gibt es immer wieder" sagt ja jeder irgendwann mal, genauso wie "Um Gottes Willen", da könnte man auch ein Lied daraus machen. Das war für den Umsatz und auch für den Grand Prix Eurovision de la Chanson, also für ein breites Publikum, sicher sehr gut.

MM: " Wunder gibt es immer wieder" hat Ihr erster Mann Christian Bruhn geschrieben. Das Lied hebt sich von anderen Schlagern dadurch ab, dass die Strophen im Gegensatz zum Refrain sehr bluesig sind.

Ebstein: Ich hatte Christian gesagt: "Schreib' mir ja eine Blue Note da rein, ich kann nicht nur eine Nummer abdudeln." Und dieser Gegensatz ist ganz witzig. Letztendlich ist das auch eine Art Erfolg, dass du mit einer Farbe arbeitest, die keiner erwartet. Als wir den Song beim Grand Prix aufführten, hatten wir noch einen Chor und ein Orchester, Siggi Loch (Musikmanager und Produzent, die Redaktion) hat am Klavier gesessen und Christian dirigierte.

MM: Also kein Halbplayback?

Ebstein: Nein, das war noch echt handgemachte Musik, und nur so geht's. Entweder man ist ein Künstler oder nicht.

MM: Hatten Sie nie Angst, in der Schublade der Schlagersängerin stecken zu bleiben?

Ebstein: Ich habe nie in einer Schublade gesessen. Man hat immer versucht, mich da hineinzustecken, aber das war mir zu klein. Auf der ersten Platte gab es schon Musical-Themen. Und für den Grand Prix 1971 in Dublin haben Dieter Zimmermann und Fred Jay "Diese Welt" für mich geschrieben. Das war der erste Öko-Song in der Pop-Musik. Der war gar nicht schlecht.

MM: Sie haben schon Mitte der 70er Jahre ein Programm mit Vertonungen von Heine-Texten gemacht. Wollten Sie runter von der Schlagerschiene?

Ebstein: Das haben wir 1974 produziert. Der "Playboy" war an mich herangetreten. Er wollte mit Decca einen Plattenzyklus mit vertonten Texten von deutschen Dichtern machen und mit Heine anfangen. Da rannten sie bei mir offene Türen ein. Christian (Bruhn, d. Red) hat das sofort vertont. Sie haben ihren Zyklus nicht durchgekriegt, aber wir hatten das Programm. So war ich nach drei Jahren parallel zur Popmusik schon unterwegs mit Lyrik oder Vertonungen. Brecht war dabei, ein bisschen Jazz. Berlin-Couplets ...

MM: Und Meisterinnenwerke mit Frauenlyrik aus zwei Jahrhunderten?

Ebstein: Dieses Konzertprogramm mit CD-Produktion kam ein bisschen später. Damals hatte ich mich entschlossen, nur in diese Richtung zu gehen. Lutz Görner hatte mich auf die Idee gebracht, er war der Geburtshelfer. Das hat so einen Spaß gemacht und ist mir zugefallen wie nichts.

MM: Mit "Witkiewicz" veröffentlichten Sie 2005 ein Album mit Musik zwischen Chanson und Pop und inhaltlich anspruchsvollen Texten.

Ebstein: Das ist jetzt auch schon wieder elf Jahre her, und da geht es weiter.

MM: Gibt es da schon Pläne?

Ebstein: Für nächstes Jahr. habe ich mir vorgenommen, die großen Rockballaden von Gruppen wie Nazareth und den Doors, auch von Bruce Springsteen und Bob Seeger eins zu eins zu produzieren, aber mit deutschen Texten. Dann würde ich gerne ein ganzes Cohen-Projekt auf Deutsch machen. Und Theodorakis ist ein Thema, nicht nur seine Lieder, sondern das Politische, also auch über sein Leben zu sprechen. Es gibt mehrere Projekte, die ich jetzt mal sortieren muss, denn für irgendetwas muss ich mich entscheiden.

MM: War es für Sie von vornherein ein Muss, auf Deutsch zu singen?

Ebstein: Es war ein Wollen, weil nur zehn Prozent der Deutschen Englisch können. Und bis auf ein paar Kalauertexte, die zum Verkaufen von Singles gedacht waren, haben wir uns mit den Texten sehr viel Mühe gegeben. Ich bin eine Sprachfetischistin und liebe die deutsche Sprache. Sie ist so vielfältig, und man kann sie auch singen, ohne das kratzende Geräusch zu produzieren, das den Deutschen als Sprachton immer vorgehalten wird. Das ist einfach eine Frage, wie du sprichst. Und ich finde die Verschandelung unserer Sprache heutzutage eine Katastrophe, genauso wie die heutige Grammatik.

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MM: Inwiefern?

Ebstein: Man kommt dem sprachlichen Unvermögen entgegen, anstatt zu sagen, dass die Sprache nun einmal zu lernen ist. Ich bin sonst nicht so für Perfektion, weil alles unvollkommen ist, das finde ich auch viel lebendiger. Aber sich der Genauigkeit in der Sprache anzunähern, halte ich für ein lohnenswertes Ziel. Das scheint ja eine Kunst zu sein, sonst würden darin nicht so viele versagen. Dieses Versagen ist nicht schlimm, wenn man es nicht zum Maß macht und ein paar die Perfektion hochhalten.

MM: Sprache lebt aber auch - wie die Musik.

Ebstein: Wobei Musik direkt die emotionale Ebene bedient, während Sprache durch den Kopf geht. Aber wenn man Sprache gut spricht, spricht ihr Klang auch die Emotionen an. Das kann man nur, wenn man eine gewisse Ästhetik verfolgt. Das bedeutet nicht, dass jedes Komma richtig sitzen muss, obwohl man ja schon durch die Unterbrechung im Sprachfluss bemerkt, wo es hingehört. Deshalb finde ich den Gebrauch der Sprache ähnlich toll wie Musik. Du kannst mit Sprache singen, ohne dass du singst.

MM: Hat das Theaterspielen bei Ihnen einen Einfluss auf das Musikmachen gehabt?

Ebstein: Das ist etwas ganz anderes. Ich suche natürlich nach Rollen, die etwas mit mir zu tun haben. Die Rolle der Chaja im Drama "Ghetto" von Joshua Sobol hat mir sehr gelegen. Und "Sweet Charity" ist eine Frau, die immer auf die Füße fällt, da konnte ich den Berliner Witz hineinbringen. So war es auch bei "Professor Unrat" nach Heinrich Mann. Ich habe die Rosa Fröhlich berlinisch gespielt, nicht lübeckisch. Deswegen ist es eben auch sehr authentisch.

MM: Seit Jahrzehnten gehen Sie als Katja Ebstein durchs öffentliche Leben. Wie sehr identifizieren Sie sich mit Ihrem Künstlernamen?

Ebstein: Er ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Die Plattenfirma wollte meinen schönen Nachnamen Witkiewicz nicht, sie fanden, er sei zu schwer auszusprechen. Deshalb schlug ich Epenstein vor. Ich wohnte früher in der Epensteinstraße in Reinickendorf und fand, der Künstlername musste wenigstens etwas mit mir zu tun haben. Damals war gerade der Beatles-Manager Brian Epstein verblichen, und Siggi Loch sagte: Dann machen wir Ebstein mit "b". Aber Witkiewicz ist mein Geburtsname, und Überall heiße ich verheiratet.

MM: Der Name Ebstein ist sehr eingängig ...

Ebstein: Vor sechs Jahren wurde eine Marktstudie gemacht. Da ging es darum, wofür man mit diesen Namen werben könnte und wo mich die Menschen sehen würden. Das war Reisen, biologische Produkte, und anderes. Und es kam heraus, das ich bei 90 Prozent der Leute noch im Kopf war. Das hängt mit diesen Eurovisionen zusammen. Wenn du dreimal für ein Volk antrittst und nicht ganz abschmierst, setzt sich das fest.

MM: Wie ungestört können Sie sich in der Öffentlichkeit bewegen?

Ebstein: Man wird schon angesprochen. Die Leute beugen vor, gucken und fragen: "Sind Sie es?" Dann sage ich freundlich Ja und gehe weiter. Ganz am Anfang ging es mir auf den Wecker, weil ich große Schwierigkeiten mit Menschenmassen hatte, aber das war nur die ersten drei Jahre so. Diese Menschen kommen ja zu mir, weil sie mich mögen, und so muss man ihnen begegnen.

MM: Sie traten mehrmals in der DDR auf. Wie war das für Sie?

Ebstein: Ich wurde dafür von Springer regelmäßig angemotzt. Aber Willy Brandt hat gesagt, man solle auf die andere Seite der Mauer gehen, wenn man es kann, um den Leuten das Gefühl zu geben, dass sie nicht isoliert seien. Er sagte, dass wir zusammengehören, und so habe ich das auch gesehen. Da war mir das Gequatsche von denen, die sowieso nicht die Wahrheit verbreiteten, egal. Sie haben ja auch Rudi Dutschke falsch dargestellt, obwohl er der Anti-Gewalt-Mensch par excellence war.

MM: Sie kannten Dutschke?

Ebstein: Ja. Ich habe ihn im Café am Steinplatz mit dem Kapital unterm Arm kennengelernt. Für uns Schüler war das eine Lachnummer. Wir haben uns gesagt: Warum schleppt er immer dieses dicke Buch mit sich herum? Er wollte eben daraus vorlesen. Dutschke war ein ganz lieber Mann. Die Verzerrung durch die Springerpresse war ein Lehrbeispiel dafür, wie Dinge so verdreht und dämonisiert werden, dass sie ganz falsch rauskommen. Ganz furchtbar war auch der Tod von Benno Ohnesorg (der Student Benno Ohnesorg wurde 1967 in Berlin bei einer Demonstration gegen den Schah von dem West-Berliner Polizisten und Stasi-IM Karl-Heinz Kurras erschossen, d. Red.).

MM: Kannten Sie Ohnesorg auch?

Ebstein: Eine Freundin und ich lernten ihn in den Ferien auf Amrum kennen. Wir sind mit ihm immer um die Häuser gezogen. Er war ein poetischer Mensch, machte auf dem zweiten Bildungsweg das Abi nach und studierte dann in West-Berlin, weil er nicht zum Bund wollte. Das war eine Freundschaft bis zum Schah-Besuch.

MM: Sie sind politisch und sozial sehr engagiert, zum Beispiel mit der Katja-Ebstein-Stiftung. Was macht diese Organisation?

Ebstein: Das ist eine Stiftung für eine enkeltaugliche Zukunft in Berlin-Brandenburg, die sich um das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen kümmert. Da arbeiten wir in erlebnispädagogischen Camps. Das geht über Gemeinschaftserlebnisse sportlicher, künstlerischer oder welcher Natur auch immer. Es sind ganz normale Schulklassen dabei, Kinder aus milieugeschädigten Familien, Kinder, die ohne Eltern aufwachsen, also ganz verschiedener Herkunft, aber nicht gettoisiert, sondern alles durcheinander.

MM: Arbeiten Sie da richtig mit?

Ebstein: Sicher, ich bin ja kein Etikettenträger. Das geht auch nicht anders, weil wir keinen großen Fundus an Finanzen haben. Neben meinen aktuellen Programmen in deutschen Konzert- und Theatersälen mache ich deshalb jetzt wieder ein paar Benefiz-Konzerte. Und wir sind natürlich auf Menschen angewiesen, die da ein bisschen mitmachen. Man kann auch ohne großes Budget ein Ehrenamt ausüben. Man muss es nur tun. Und Ideen haben.

MM: Manche Künstler halten unangenehme Dinge von sich weg, um möglichst unbelastet in ihre Kunst zu gehen ...

Ebstein: Ich finde, Unterhaltung hat etwas mit Haltung zu tun. Kunst muss sich gesellschaftlich äußern, wenn sie nachhaltig ernst genommen werden will. Denn sie ist ja auch ein Zeitdokument. Deswegen sollen Leute, die es wollen und können, Stellung beziehen. Ich möchte auch anstrengend sein, zumindest mit den politisch-kabarettistischen Sachen muss man den Menschen abfordern, sich mit unangenehmen Dingen zu konfrontieren, die man aber durchaus verändern kann. Und dazu möchte ich Mut machen.

(aus MM 41/2016)