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Von José Ferragut haben die meisten deutschsprachigen Residenten und Inselbesucher noch nie etwas gehört. Sehr wohl aber gesehen. Ferragut war der Architekt, nach dessen Entwürfen das Gesa-Hochhaus von 1963 bis 1975 gebaut wurde. In seinem minimalistisch-funktionalen Stil und mit seinen verspiegelten Glasfronten weist es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem – wesentlich höheren – UNO-Gebäude in New York auf.

Ebenfalls von Ferragut stammt die Franziskaner-Kirche Nuestra Señora de los Ángeles de La Porciúncula in Arenal. Sie entstand zwischen 1965 und 1968. Das Rundgebäude trägt auch den Namen „Glaskirche“, denn seine Front besteht weitgehend aus Glasfenstern, die nur durch Betonpfeiler getrennt sind. Dadurch ist der Innenraum von Licht und Farbe durchflutet. Als Sehenswürdigkeit wird die Porciúncula auf der Touristik-Website „Tripadvisor“ unter den Kirchen Mallorcas auf Platz drei gelistet, gleich nach der Kathedrale und deren Dachterrassen.

Dass der Name Ferragut trotzdem nur in Fachkreisen bekannt ist, hängt mit der Geschichte des Architekten zusammen. Über ihr lag lange der Mantel des Schweigens. Bis 2017 der Dokumentarfilm „Vida y muerte de un arquitecto“ (Leben und Tod eines Architekten) von Miguel Eek zu sehen war. Was selbst viele Menschen, die ihn persönlich kannten, bis dahin nicht wussten: Ferragut war schwul. Seine Homosexualität musste er stets im Verborgenen ausleben. Denn während des Franco-Regimes drohten ihm wegen seiner sexuellen Veranlagung Straflager oder „Behandlung“ im Gefängnis.

Mit dem Film wurden der Öffentlichkeit erstmals die Umstände bekannt, unter denen Ferragut gewaltsam zu Tode kam. Am 26. Februar 1968 fand ein Bauer die Leiche des Architekten auf offenem Feld vor den Toren Palmas. Das sei eine „mariconería“, soll der herbeigerufene Korporal der Guardia Civil zu dem Bauern gesagt haben. Was er mit dem abfälligen Wort meinte: ein Verbrechen, das sich im Homosexuellen-Milieu abgespielt habe.

Tatsächlich stellte die Polizei fest, dass es sich bei dem Verbrechen um „sexuelle Gewalt“ handelte. Bereits im ersten Protokoll war von Ferraguts Homosexualität die Rede, „deren Aberration er mit größter Diskretion praktizierte“. Wenige Tage später wurden zwei Stricher festgenommen. Sie hatten Vorstrafen wegen Körperverletzung und Raubüberfällen auf Homosexuelle. Gerade erst waren sie aus dem Gefängnis entlassen worden.

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Bei den Verhören der Polizei gestanden beide die Tat, beschuldigten sich jedoch gegenseitig des Mordes. Vor Gericht stritten sie aber eine Tatbeteiligung ab. Da keine Fingerabdrücke gefunden wurden, sprach der Richter sie aus Mangel an Beweisen frei. Letztendlich bestand auch die Familie des Opfers nicht allzu sehr auf die Untersuchung, da sie nicht daran interessiert war, dass Ferragut mit Homosexualität in Verbindung gebracht wurde.

Zugeknöpft, kultiviert und sensibel, so wird Ferragut beschrieben. Ein äußerst produktiver Architekt, der außerdem Möbel und Objekte gestaltete, sogar einen Film gedreht hatte. Ein praktizierender Katholik, der in Palmas Altstadt wohnte und sich schon für den Schutz von Naturlandschaften einsetzte, als der Massentourismus auf Mallorca noch ganz in den Anfängen steckte und selbst an manchen Stränden der Insel gebaut wurde. Ein Mann mit festen moralischen Grundsätzen, der schon früh gegen unkontrolliertes Bauen zu Felde zog. Dabei scheute er sich nicht, selbst Funktionäre des Franco-Regimes öffentlich der Korruption und Vetternwirtschaft zu bezichtigen und die Beeinflussung durch Interessensgruppen zu kritisieren.

Deshalb lautet eine Hypothese: Möglicherweise haben diese Anschuldigungen Ferragut das Leben gekostet, und das Verbrechen war ein Auftragsmord, um ihn ruhigzustellen. Befeuert wurde diese Vermutung zuletzt durch den 2017 verstorbenen Architekten Pere Garau Sagristà. In dem Dokumentarfilm erzählte er, wie er als Gemeindearchitekt von Pollença auf einer Baustelle eine Inspektion durchführte und hörte, wie einer Person zu einer anderen sagte: „Was schnüffelt der hier herum? Wir sollten mit ihm das Gleiche machen wie mit Ferragut.“

Wie Ironie mutet es da an, dass ausgerechnet eines seiner bekanntesten Gebäude, das Gesa-Hochhaus, seit Jahren im Zentrum von Spekulation, Besitzerwechseln und Gerichtsstreits steht. Seit bald 14 Jahren steht es nun schon leer, war seither immer mal wieder Ziel von Vandalismus.

Dies zumindest wäre Ferragut ein Trost: Abgerissen werden darf sein Werk nicht, denn seit 2007 steht es unter Denkmalschutz.

(aus MM 52/2018)