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Ein wunderbar mildes Klima, frische Luft, das Meer, und dazu ein dichtes Netz aus Dienstleistungsangeboten von Ärzten, Zahnärzten, ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern und sogar einer Seniorenresidenz, die sich speziell an eine deutsche Klientel wendet: Mallorca scheint wie geschaffen für Menschen, die ihr ganzes Leben gefroren und ge-schuftet haben und nun die Früchte ihrer Arbeit in einem angenehmen Um-feld genießen wollen. Mit einer Einschränkung: Wer sich verkalkuliert oder womöglich gar nicht an die Altersvorsorge gedacht hat, sieht unter Umständen auf einmal ganz schön alt aus.

,,Es gibt die Europäer mit Geld, die hier einen Zweitwohnsitz haben und keine sozialen Probleme zeigen, weil sie unabhängig in ihrer eigenen Welt leben. Daneben gibt es aber ältere Deutsche, Briten oder Europäer, die sich auf Mallorca zur Ruhe setzen”, sagt Josefina Sintes, Sozialministerin im Inselrat. Diese Menschen haben manchmal den Kontakt zu ihren Familien verloren. ,,Wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mobil sind, kommt es zur Isolierung, die manchmal sogar ins Elend führt. So findet man in Dörfern wie Deià, Pollença, Andratx oder Calvià schlimme Fälle von Verwahrlosung.”

Häufig sind es Nachbarn oder Bekannte, die eingreifen, wenn sie die Not der armen Alten nicht mehr mitansehen können. Oder ein Krankenhaus verständigt die deutschen Behörden. ,,Das Thema Alter ist ein mühsames Geschäft”, stöhnt der deutsche Konsul auf Mallorca, Peter-Christian Haucke. Die Fälle von hilfsbedürftigen und verarmten deutschen Senioren auf der Insel seien so häufig, dass er sich mit seinem Team gar nicht mehr richtig um die Einzelnen kümmern könne.

Von den geschätzten 60.000 Deutschen, die auf der Insel leben, sind rund 20 Prozent über 65 Jahre alt. ,,Sehr vielen geht es freilich gut. Aber wenn es nur einem kleinen Prozentsatz davon schlecht geht, ist das mehr als genug.” Die jungen Alten, sprich, diejenigen, die erst in den letzten Jahren nach Mallorca gekommen sind, haben sich in der Regel ganz gut auf ihren Ruhestand vorbereitet und alle Eventualitäten mit einbezogen. Not leiden nach Hauckes Erfahrung meistens eher die, die schon vor 20, 30 Jahren auf der Suche nach einem neuen, besseren Leben unter die südliche Sonne gezogen sind.

,,Viele sind nicht ohne Mittel gekommen, und meistens haben sie erst einmal ganz gut in ihrer Enklave gelebt”, schildert Haucke den typischen Fall. Doch ans Alter haben manche nicht gedacht: Was tun, wenn der Partner und die Freunde wegsterben? Wenn zur Einsamkeit die Isolation durch sprachliche Hindernisse kommt? Wenn die Mobilität eingeschränkt ist, weil der Führerschein nicht mehr verlängert wird? Und wenn dann noch gesundheitliche Probleme auftauchen und das Geld für ambulante oder stationäre Pflegedienste nicht ausreicht?

Viele deutsche Senioren auf Mallorca haben laut Haucke keine ,,Residencia”. Wer nicht gemeldet ist, hat aber auch keinen Anspruch auf die Leistungen des spanischen Sozialsystems. ,,Wir müssen natürlich helfen”, sagt der deutsche Konsul. ,,Richtig wäre, wenn wir zu jedem hingehen und mit jedem sprechen würden, wenn wir Kontakt mit Deutschland aufnehmen würden, um Verwandte ausfindig zu machen, wenn wir ermitteln würden, inwieweit Rentenzahlungen erfolgen. Aber das übersteigt unsere Kapazität.”

,,Unser Instrumentarium reicht nicht aus, wir brauchen jemanden, der diese Arbeit verrichtet”, so der Konsul. Er weiß auch, wie es funktionieren könnte. Der Kontakt zu dem deutschen Kultursozialverein in Calvià habe ihn auf die Idee gebracht, überall auf Mallorca ähnliche Vereine zu initiieren, deren Mitglieder sich ehrenamtlich um die älteren Menschen und andere Problemfälle kümmern und als eine Art Vermittlerstelle zwischen den Betroffenen und der Behörde funktionieren sollen. Erste Gespräche, unter anderem mit den ,,Amigos de Mallorca”, die Unterstützung zugesagt haben, sind bereits erfolgt. Haucke: ,,Wir müssen ein Netz aufbauen. Dann ist vieles einfacher.”

Zweite Idee ist die Einrichtung eines Spendentopfs, aus dem ein bis zwei deutsche Sozialarbeiter finanziert werden sollen. Der Gedanke ist, dass wohlhabende Deutsche ihren in die Jahre gekommenen Landsleuten mit sozialen Problemen helfen. ,,Ziel ist, dass diese Leute auf Mallorca bleiben können.” Denn im Heimatland sei zwar die Grundversorgung durch den Sozialstaat gesichert, aber häufig bestehen keinerlei soziale Kontakte mehr. Oft müsse er, so Konsul Haucke, sogar die Familienangehörigen regelrecht überreden, ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den Eltern nachzukommen.

Auf die Idee eines deutschen Vereinsnetzes auf der Insel ist Haucke nicht zuletzt durch das Beispiel des Deutschen Kultur-Sozialvereins Santa Ponça gekommen. Dort kümmern sich ehrenamtliche Mitarbeiter nicht nur um die 450 Mitglieder, die zu 65 Prozent Rentner sind. ,,Wir sind für die Probleme aller Menschen, gleich welcher Nationalität, offen”, sagt José Antonio Rodriguez Benayas. Lange Jahre hat er in Deutschland gelebt und gearbeitet – und in ähnlichen Vereinen die Interessen seiner Landsleute im Gastarbeiterland vertreten. Heute wohnt er wie viele Deutsche, die sich in erster Linie als Europäer verstehen, auf Mallorca.

Der Verein will vor allem praktische Hilfe bieten: bei Verhandlungen mit den deutschen Krankenkassen, bei der Beantragung der Rente, der Residencia oder anderen Behördengängen, für die normalerweise Gestorias ihre Dienste anbieten. Außerdem ist das Vereinslokal in der Nähe der Seniorenresidenz Es Castellot Kontaktbörse und Treffpunkt, dort finden Sprachkurse und ab und zu kulturelle Veranstaltungen statt.

José Rodriguez ist ein Kämpfer, der die Interessen der Rentner auf Mallorca in Briefen bis nach Brüssel trägt. ,,Mallorcas Sozialsystem ist Jahrzehnte hinter dem europäischen Standard zurück”, wettert er. Vor allem die Versorgung im Krankheitsfall sei ein Problem für die deutschen Senioren, die von ihrer Rente im Schnitt 300 Mark an eine deutsche Krankenversicherung zahlen, in Spanien aber weitaus weniger Leistungen in Anspruch nehmen können als Altersgenossen in Deutschland.

,,Geht zurück nach Hause”, sei häufig Reaktion der Behörden, wenn Deutsche auf der Insel in Not geraten. Es gebe zwar den gesetzlichen Anspruch darauf, aber in Wirklichkeit kaum Hilfe. Fälle, bei denen der Traum vom Ruhestand un-ter Palmen mit einem One-way-Ticket Richtung Norden endet, gebe es reichlich: Endstation Sehnsucht.