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Zwei Schiffbrüchige sind nach über 13 Stunden im kalten Meerwasser vor Mallorca aus höchster Lebensgefahr gerettet worden. Die beiden Männer, die auf offenem Meer auseinander getrieben waren, hatten Todesängste auszustehen. Am vergangenen Freitagmorgen entdeckte ein Fischkutter acht Seemeilen nordöstlich von Dragonera den 36-jährigen Kapitän der gesunkenen Motoryacht „Mowgli”, Peter Melis, auf einem Wrackteil im Meer. Etwa zwei Stunden später konnte ein Hubschrauber des balearischen Seerettungsdienstes auch den Eigner des Unglücksbootes, den Österreicher Jürgen Ludwig zu Hohenlohe bergen. Der 43-Jährige trieb mit Hilfe einer Schwimmweste im Wasser.

Mit starker Unterkühlung wurde Hohenlohe in eine Klinik geflogen. Ungeachtet der Strapazen erholte sich der Schiffbrüchige rasch und wurde bereits am Wochenende entlassen. Peter Melis, ein in Palma geborener Skipper mit spanischem Pass, befand sich in so gutem Gesundheitszustand, dass er sofort nach Hause gehen konnte.

Als Hohenlohe und Melis am Donnerstagmorgen an der spanischen Festlandküste in See stachen, deutete nichts darauf hin, dass den beiden Männern mit der Überfahrt nach Mallorca das aufregendste Abenteuer ihres Lebens bevorstand. „Das Wetter war vernünftig, Sonne und Wolken wechselten sich ab. Es war in keinster Weise daran zu denken, dass wir in Gefahr geraten würden”, erzählt Hohenlohe im Rückblick. Der seit fünf Jahren auf Mallorca lebende Österreicher hatte die „Mowgli” in Tarragona gekauft. Der Unternehmer in Sachen Internet hatte vor, die etwa 20 Jahre alte Motoryacht originalgetreu zu renovieren.

Der zur Überführung engagierte Melis steuerte das 16-Meter-Boot, bis nach ruhiger Überfahrt am Horizont die Umrisse der Insel Dragonera auftauchten. „Dann sind wir ja bald da”, sagte Hohenlohe und erhielt von Melis die Antwort: „Täusche dich nicht. Wenn man die Küste sieht, ist man noch lange nicht zu Hause.” Bis zur Ankunft in Palma sei noch mit vier Stunden Fahrt zu rechnen. Beim Blick auf sein Handy registrierte Hohenlohe, dass sie sich genug dem Land genähert hatten, um wieder Funkkontakt zu haben. Der Österreicher rief gegen 16 Uhr seine spanische Freundin Beatriz an, um ihr die voraussichtliche Ankunftszeit mitzuteilen.

Dann ging Hohenlohe unter Deck, um sich in der Kajüte eine Stunde aufs Ohr zu legen. „Ich schlief tatsächlich ein, wurde aber wohl etwa eine halbe Stunde später wieder wach, weil das Boot stark schaukelte”, erinnert sich Hohenlohe. Der Eigner begab sich an Deck. Hohe Wellen und kräftiger Wind hatten die See aufgewühlt. Je mehr sich die Yacht der Insel näherte, desto stürmischer wurde es. Melis steuerte die anrollenden Wellen fachmännisch in Schräglage an. „Mowgli” erklomm die Wellen und gleitete wieder sanft hinab. Das ging nach Hohenlohes Schilderung eine ganze Weile gut, auch wenn den Eigner ein mulmiges Gefühl beschlich.

Dann passierte es: eine riesige Welle baut sich vor dem Boot auf, die Wassermassen überragen die Aufbauten des Schiffes deutlich. „Wir haben nur noch eine dunkelgrün-schwarze Mauer vor uns gesehen. Das Viech, das da auf uns zukam, sieht man in Katastrophenfilmen.” Melis schafft es, die Welle passend anzusteuern, so dass das Boot bis auf den Kamm gehoben wird. Doch statt des abflachenden Abhangs hinein ins Wellental erweist sich die rückwärtige Seite der Welle als Steilklippe aus Wasser. „Dahinter war nur Luft.” Das etwa 17 Tonnen schwere Boot fällt nahezu im freien Fall die Anhöhe hinab und schlägt krachend mit dem hölzernen Rumpf im Wasser auf.

Dann ging es Schlag auf Schlag. „Lauf unter Deck und sieh nach, ob wir Wassereinbruch haben!” ruft Melis seinem Begleiter zu. Als Hohenlohe durch die Luke blickt, sieht er, wie ganze Wassermassen durch das Boot schwallen, den Innenraum überfluten, eine Türe wie Spielzeug aus dem Angeln reißen... „Wir sinken, wir sinken”, ruft Hohenlohe Melis zu, dann hechten die beiden Männer zu den Schwimmwesten und legen sie an. „Es war ein Riesengetöse, das Wasser kam immer mehr die Treppen hoch, ich rief über mein Handy Beatriz an. Peter schrie am Funkgerät ,Mayday, Mayday', aber ich weiß nicht, ob jemand das Notsignal empfangen hat.”

Die Freundin in Palma bewahrte klaren Kopf und fragte nur: „Wie sind eure Koordinaten?” Während das Schiff zum Spielball der Wellen wurde, rannte Hohenlohe vom Deck zurück zur Kommadobrücken – „das Schiff war am Auseinderbrechen, da wollte ich eigentlich nicht in seinem Inneren sein” – riss das satellitenunterstützte Navigationsgerät an sich und stürmte wieder ins Freie an Deck. „Als ich ihr die Koordinaten durchsagen wollte, stellte ich fest, dass das Gerät ohne Stromversorgung tot ist. Das teure, wasserdichte Ding besitzt noch nicht einmal eine Batterie, um im Notfall auch ohne Strom zu funktionieren”, ärgert sich Hohenlohe noch Tage nach seiner Rettung.

Das Boot war nicht zu halten. Hohenlohe und Melis warfen sich in die Wellen, um sich von dem Wrack zu entfernten. „Wir haben gesehen, wie es das Schiff regelrecht zerrissen hat, wie die großen Glasscheiben durch den Wasserdruck zerbarsten.” In den Wellen trieben zersplitterte Holzstücke, Taue und Hunderte andere Einzelteile. „Ich habe ja viele Katastrophenfilme gesehen und hatte Angst, dass sich mein Bein in einer Seilschlinge verfangen könnte, dass mich das Wrack mit in die Tiefe zieht. Ich wusste nur, ich muss vom Boot so schnell wie möglich wegschwimmen.”

Im Wellenmeer sieht Hohenlohe, wie Melis sich schließlich auf ein treibendes Holzteil retten kann. Er selbst klammert sich an einen Balken, „den ich gemütlich festhalte, wie ein Hund seinen Knochen”. Schon droht neues Ungemach. Eine Welle schießt mit zahlreichen treibenden Holzteilen auf ihn zu. Um sein Gesicht zu schützen, hebt Hohenlohe die Hand. In dem Moment durchschlägt ein etwa zehn Zentimeter langer Stahlnagel, der aus einer Latte herausragt, die Handfläche.

Wie in Trance zieht Hohenlohe das Metallstück aus der Wunde. „Ich habe keinerlei Schmerz empfunden. Ich habe auch die Kälte des Wassers nicht gespürt. In der Zeit friert man noch nicht, ist man viel zu aufgeregt.” Ein Nachteil allerdings: Die Welle hatte ihm auch den Balken fortgerissen. Hohenlohe – angetan mit Jeans, einem T-Shirt und Turnschuhen – wird nur von der Schwimmweste über Wasser gehalten.

Das Treiben im Meer beschreibt der Österreich wie eine Fahrt mit der Achterbahn. Die Wellen tragen ihn hoch und runter, hoch und runter, der Wind treibt ihn immer weiter von Melis weg, bis er außer Sicht– und Rufweite kommt. „Aber ich war der festen Überzeugung, dass sie uns bald finden werden. Es war ja noch hell, und außerdem wusste Beatriz, dass wir uns vor Dragonera befunden hatten.”

Tatsächlich sah Hohenlohe, wie Hubschrauber über dem Wasser kreisten, allerdings an der falschen Stelle. Dann wurde es dunkel, „und mir wurde klar, es kann noch spät werden, bis die uns finden.” In der Tat. Gegen Mitternacht überflog ein Hubschrauber Hohenlohe, ohne ihn zu orten. Später schöpfte der Schiffbrüchige noch einmal Hoffnung, als er das Licht der Fähre näher kommen sah. „Sie fuhr direkt auf mich zu, und ich musste schwimmen, um nicht überfahren zu werden. Dann sprang ich wie Flipper im Wasser umher und blies meine Trillerpfeife, die an der Schwimmweste hing.” Vergeblich.

Die Fähre rauscht vorbei, ohne von Hohenlohe Notiz zu nehmen. „Das war sehr frustrierend.” Zumal die Kälte unerträglich wurde. „Mir schlugen so dermaßen die Zähne aufeinander, dass mir der Kopf schmerzte. Einem Gebissträger hätte es die Dritten zerschlagen.” Dann war da nur noch das Rauschen des Meeres, der eiskalte Wind und das nachtschwarze Wasser.

Gegen vier Uhr morgens wähnte sich Hohenlohe in einer ausweglosen Situation. „Ich war ganz klar im Kopf. Ich wusste, ich werde sterben, aber ich wusste nicht, wie: ertrinken, erfrieren, von einem Hai gefressen werden... Ich konnte nicht mehr. Da beschloss ich, selbst über meinen Tod zu entscheiden.” Der Österreicher überlegte kurz, sich der Schwimmweste zu entledigen. Doch der nasse Tod erschien ihm dann doch zu qualvoll.

Daraufhin löste Hohenlohe seinen Hosengürtel, legte ihn sich als Schlinge um den Hals und zog zu. „Ich zog und zog, bis es mich würgte, doch irgendwann stellte ich fest: meine Kraft in den Armen, auch wegen der verletzten Hand, reicht nicht aus.” Schließlich brach der Treibende in schallendes Gelächter über sich selbst aus. „In dieser saublöden Situation bist du noch nicht einmal in der Lage, dich umzubringen.” Worüber er heute allerdings glücklich ist.

Beim Blick auf die Uhr stellt Hohenlohe fest, dass er mit seinen Selbsttötungsversuchen fast eine Dreiviertelstunde herumgebracht hatte. Vorher hatten die Minuten einfach nicht vergehen wollen. „Das macht einen mürbe. Ich hatte mir zuvor mehrfach überlegt, die Uhr abzustreifen und zu versenken.” Doch die Erkenntnis, dass bald der Tag anbrechen werde, machte Hohenlohe neuen Mut. „Plötzlich fing ich an, mir Witze zu erzählen oder Wasserballett-Figuren zu machen, nur um die Zeit zum Verstreichen zu bringen. Auf der Trillerpfeife versuchte er, Kinderlieder wie ,Hänschen klein' oder ,Alle meine Entchen' zu spielen. „Das geht, wenn man den Öffnung der Pfeife zum Teil verdeckt.”

Sobald es hell wurde, sah Hohenlohe wieder die Hubschrauber über dem Wasser kreisen. „Ich wusste, sie suchen Quadranten für Quadranten ab. Leider haben sie nicht gleich da angefangen, wo ich war.” Aber gegen neun Uhr hatte die Warterei ein Ende. „Es war wie im Film. Der Hubschrauber kam angeflogen, direkt auf mich zu, dann blieb er über mir in der Luft stehen, ein Taucher im knall-gelben Anzug ließ sich mit einem Seil hinab und sprang dann neben mir ins Wasser – es war einfach gigantisch!”.

Der Taucher musste noch während der Bergung zahlose Küsse des Geretteten über sich ergehen lassen. „Ich sagte nur noch, I love you, I love you, I Love you”, erzählt Hohenlohe, während er noch im Hubschrauber nackt zwischen zwei Wolldecken gepackt und warmgerieben wurde.

Die untergegangene „Mowgli” war nicht versichert. Das hatte Hohenlohe erst auf Mallorca erledigen wollen. „Das Geld ist weg. Aber das Geld ist mir so was von egal. Ich bin am Leben. Das zählt!”, resümiert Hohenlohe Tage nach der Rettung. Auf dem Wasser war er indes schon wieder. Mit einem zweiten Boot, das er besitzt. Sein Arzt hatte ihm geraten, gleich wieder aufs Meer zu fahren, um erst gar keine Angst vor der geliebten Freizeitaktivität aufkommen zu lassen. „Am Sonntag war ich eineinhalb Stunden auf dem Wasser. Angst hatte ich keine. Aber Schimmwesten hatte ich dabei – ohne Ende.”