Der Urlaub begann mit einem kleinen Wettlauf: Wer die DC 4 auf
dem Rollfeld zuerst erreichte, bekam auch die besten
(Fenster-)Plätze. Nein, die Sitze der Ferienflieger waren noch
nicht durchnummeriert, in jenem Jahr 1957, als Henny und Rudi
Brüning in ihren ersten Mallorca-Urlaub starteten. In ihr erstes
Mallorca-Abenteuer, müssen wir wohl besser schreiben, denn die
Pauschalreise von damals hatte einen Erlebniswert, der heutzutage
dem einer Treckingtour durch schlangenverseuchte Amazonasgebiete
entspricht. ,,Ich war eine Sensation in der Firma”, erinnert sich
Henny Brüning. Mallorca war eine Sensation. Ganze 256.711 Gäste
wurden in jenem Jahr gezählt (2001: 7.216.223).
Inzwischen sind die Eheleute aus Meerbusch so etwa 80-mal
eingeflogen, zählen zu den winterlichen Stammgästen des RIU Bravo
an der Playa de Palma. Und wenn sie wieder nach Hause jetten,
bleibt ein Teil der Ferienausrüstung im Hotel-Keller. Brünings
haben immer einen Koffer auf Mallorca. Das hängt nicht zuletzt mit
ihrer engen Bindung zu den Hotels mit den drei Großbuchstaben
beziehungsweise mit den Eignern derselben zusammen. Aber davon
später.
,,Fürchterliche Ohrenschmerzen” hatte er auf seinem ersten Flug,
erzählt Rudi Brüning; der Druckausgleich im ,,Rosinenbomber” war
eine diffizile Angelegenheit. Aber spätestens in den Alpen wurde
die Spurtfreudigkeit der Brünings auf dem Düsseldorfer Airport
belohnt. Das Sightseeing begann. ,,Eiger, Jungfrau, Mönch – wir
kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus”, sagt Henny Brüning. Die
Berggipfel lagen über ihnen – die DC 4 flog auf 3000 Meter.
Nach viereinhalb Stunden landeten sie in Son Bonet, dem Flugfeld
in Pont d'Inca, das heute den Hobbyfliegern vorbehalten ist. Die
technische Ausstattung des ,,Airports” war, vornehm ausgedrückt,
schlicht. Vielflieger Brüning erinnert sich: ,,Es gab keine
Positionslichter. Als wir einmal wegen einer Verspätung in die
Dämmerung gerieten, wurden Lastwagen aufgestellt, um uns den Weg zu
weisen.”
Und dann die Sache mit den Bademänteln. ,,Viele Passagiere
hatten beim Aussteigen Bademäntel über dem Arm”, erzählt Henny
Brüning, und gibt auch gleich des Rätsels Lösung: Die voluminösen,
aber damals unverzichtbaren Dinger hatten keinen Platz im Koffer,
weil das Gepäck so streng limitiert war.
Auf der Fahrt zum Hotel kamen den Brünings erstmals Bedenken.
,,Wo sind wir denn da hingekommen?”, durchfuhr es die Urlauber.
,,Da standen ärmliche Hütten am Wegesrand, wie man das etwa in
einigen Karibikstaaten heute noch erlebt.” Luxus war es nicht, was
den Mallorca-Urlauber von 1957 erwartete. Aber eine fremde,
unverfälschte, ja heile Weg. Heil war etwa die Playa de Palma, die
die Brünings bei Dr. Tigges gebucht hatten (298 Mark, Vollpension).
Dünenlandschaft, soweit das Auge reichte. Nur ab und zu ein Haus
für die Sommerfrische eines reichen Palmesaners, die weiße
Strandkirche, ein schmales Sträßchen – und drei Hotels: Los
Angeles, Biarritz und San Francisco.
Letzteres war 1953 von einem Unternehmer aus Girona gekauft
worden: Juan Riu. Nun begrüßte ,,Don Juan” die Brünings per
Handschlag. Sie bezogen Zimmer 27, immerhin schon mit Dusche
ausgestattet.
Es war Oktober, die Brünings hatten noch Badewetter. Der
,,Riu-Strand” war mit einem Strohdach, Liegestühlen und zwei
Umkleidekabinen für die Gäste hergerichtet. Die mussten sich zuerst
an die Landessitten gewöhnen. Joan Riu hatte zur Warnung ein Schild
aufgehängt: ,,Dies ist ein Land mit höchster Moral”, hieß es da zur
Begründung, warum das Tragen von Bikinis bei Strafe verboten ist.
Rudi Brüning erinnert sich: Eines Tages ging eine Bekannte im
Zweiteiler baden, prompt wurde sie von einem Sittenhüter der
Guardia Civil ins Visier genommen. „Wir haben sie ,gerettet', indem
wir sie hinter einer Luftmatratze versteckten und ihr einen
Bademantel reichten.”
Eine gewisse touristische Infrastruktur gab es durchaus. Das
wandelnde Fotostudio etwa. Der Mann hatte die Eimerchen mit den
Chemikalien am Kamerastativ hängen und entwickelte die
Touristenfotos vor Ort – unter einer Decke. Brünings konnten auf
die Dienste verzichten; sie drehten schon damals Filme und machten
Farbdias. Dias, die sie jetzt teilweise auf Papier ziehen
lassen.
Trinkfreudig war das Urlauber-Völkchen der Playa de Palma, die
damals noch gar nicht so genannt wurde, übrigens auch im Jahre 1957
schon. Rudi Brüning hat für MM noch einmal die wichtigsten
Preise ermittelt: Der Palo kostete drei Peseten, der Cognac (noch
hatten die Franzosen gegen diese Bezeichnung des Brandy nicht
protestiert) vier. ,,Gin Fizz”, der Modedrink des Jahres, schlug
mit immerhin zehn Peseten zu Buche. Eine Flasche Terry ging für
läppische 46 Peseten über die Theke.
Die Vorläufer des Ballermanns lockten: Brünings zogen abends gen
Arenal, genauer: in die Kellerpinte ,,El Pirata”. Ein grünes Licht
leuchtete ihnen an der stockfinsteren Playa den Weg. Der Wirt, ein
Holländer, ist nicht ganz unschuldig daran, dass die Deutschen
heute keine Millionäre sind. Er riet ihnen damals dringend vom Kauf
eines Strandgrundstücks ab. Eine Mark sollte der Quadratmeter
kosten.
Apropos finster: ,,Stromausfall hatten wir jeden abend”,
erinnert sich Rudi Brüning. Aber die Hotelcrew war im Kerzen
aufstellen geübt und entsprechend fix.
Das Essen im San Francisco gefiel den frühen Gästen nicht so gut
wie das Getränke-Angebot. Aber der Barkeeper hatte einen guten Tipp
parat: Das nächste Mal Tütensuppen mitbringen. Was man denn auch
beherzte. Die Hotelleitung reagierte ebenfalls: ,,Sportler, die
nicht satt wurden, bekamen die doppelte Ration.” Einige Jahre
später erhielten die Brünings von ihrem inzwischen guten Bekannten
Juan Riu Besuch in Deutschland. Der Hotelier erkundete Alemania und
dessen Küche, um die (kulinarischen) Vorlieben seiner Gäste
herauszufinden.
Es ist reich an Anekdoten, das Urlauberleben der 50er Jahre. Mit
einem wissenden Lächeln erzählt Rudi Brüning von dem
Zivilgardisten, der immer gegen Mitternacht an der Hotelbar
besonders lange an seinem Palo nippte. Das war nämlich die Uhrzeit,
zu der die Fischer am Strand die Schmuggelware anlandeten, Säcke
mit Zigaretten und Parfüm vor allem. „Morgens, beim Frühstück,
flüsterte einem der Schuhputzer dann zu, was er neben blitzblanken
Tretern noch zu bieten hatte: ,,Chesterfield, Chanel No. 5...”
Die Dr.-Tigges-Fahrer waren ein durchaus unternehmungslustiges
Völkchen. Für private Ausfahrten standen in der Region zwei
Mietwagen parat: so genannte ,,Biscuters”, Miniatur-Cabrios mit
drei Vorwärtsgängen, aber keinem fürs Zurückstoßen. Und Vespas
natürlich. Die Brünings hatten einmal das Privileg, Mallorcas
Schotterstraßen an Bord der amerkanischen Limousine von Hotelier
Riu zu erkunden. Was für ein Aufsehen muss der Chevy damals
verursacht haben! Die Fahrt ging in den Norden, zur Albufera, bis
nach Son Moll (Cala Rajada). „Am Strand zeichnete uns Don Juan die
Pläne für den Um- und Ausbau seines Hotels in den Sand.” Brünings
wurden Zeugen der Geburt einer Hotel-Dynastie.
Ein andermal gingen sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf
Erkundung. Das war gar nicht so schwer, denn Arenal war zu jener
Zeit mit einer Bahnlinie an Palma angebunden. Und in der Stadt
ging's mit der Tram weiter: ,,Durch die Calle San Miguel und über
die Plaça Major. Die Menschen hingen wie Trauben an den Wagen.”
Auch Stierkampf war angesagt. Mit großen Namen, mit Toreros,
„die Hemingway in ,Tod am Nachmittag' beschrieben hat”, wie Rudi
Brüning nicht ohne Stolz betont. Henny Brüning hat hinterher
allerdings „drei Wochen kein Fleisch gegessen”.
Und dann die ersten Bootsausflüge. Einer führte die Abenteurer
nach Magaluf. Das war ein unberührter Strand, die einzige
„Bebauung” ein Stand, an dem Coca Cola verkauft wurde.
45 Jahre später. Die Brünings haben wieder eingecheckt –
und dem 1996 gestorbenen Don Juan und der Playa de Palma die Treue
gehalten. Wir sitzen in Suite 512 des RIU Bravo, das die Brünings
nun auch schon wieder seit 20 Jahren kennen. Heute haben sie
„frei”. Denn dreimal die Woche gehen die rüstigen Rentner wandern,
mit dem Club Mallorquin von der TUI. „Damit halten wir den
Alterungsprozess etwas auf”, sagt der bewundernswert fitte Senior.
Zehn Wochen bleiben sie diesmal. Damit trifft sie, die Treuesten
der Treuen, die Ökosteuer besonders hart. „Das ist ungerechnet”,
finden sie, aber von Mallorca abhalten kann sie das auch nicht.
Nur die Sommerurlaube habe sie schon vor vielen Jahren
aufgegeben. Zwischen den Ballermännern fühlten sie sich einfach
nicht mehr wohl. Aber in den ruhigen Arenal-Wintern kommt Nostalgie
auf, auch wenn der Blick vom Balkon nicht mehr auf Dünen fällt,
sondern auf Betonsilos. Auch wenn die Brandy-Preise um ein
Vielfaches gestiegen sind. Auch wenn die Ausflüge keine echten
Abenteuer mehr sind, sondern mehr von der Sorte: ,,Gestern fuhren
wir mit der Bahn nach Inca und haben im ,Lidl' Weihnachtssachen
gekauft” (Rudi Brüning).
Riu war übrigens der erste Mallorca-Hotelier, der
Weihnachtsbäume aus Deutschland einfliegen ließ. Und bis heute ist
für die Stammgäste im RUI Bravo das gemeinsame Schmücken des Baumes
in der Lobby ein Erlebnis. Der Urlaubssitz ist längst zu einer
zweiten Heimat geworden. Der Abschied fällt entsprechend
schwer.
Wehmut kam schon beim Adiós im Jahre 1957 auf. Barkeeper Julius
sorgte gar dafür, dass „wir Rotz und Wasser heulten” (Henny
Brüning). Julius legte nämlich eine Platte von Rudi Schurike auf:
„Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn ...”
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