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Mit hängenden Köpfen schlichen die deutschen Spieler um 0.20 Uhr ins Arabella- Sheraton – wort- und gruß- los gingen sie an Rezeption, Bar und auch einem MM-Reporter vorbei zu den Fahrstühlen. Ab zu einem späten Essen, die Niederlage verarbeiten.

Der Erste war Teamchef Rudi Völler, einen Schritt hinter ihm Bundestrainer Michael Skibbe, dann in langer Reihe die Spieler, die Mienen versteinert – am Schluss ein immer noch grimmig blickender Kapitän Oliver Kahn, der sich zuvor im ARD-Interview intensiv über den mangelnden Einsatz seiner Kollegen beklagt hatte.

Keiner der Kicker hatte einen Blick für die Hotelgäste an der Bar. Nur Torwarttrainer Sepp Maier machte einen Schlenker, übergab einer wartenden Dame ein Trikot mit Autogrammen, rief ein bisschen Bayerisches durch den Raum und entschwand.

Die gerade abgewatschten deutschen Elite-Kicker waren in dem Fünf-Sterne-Hotel ein gern gesehener Gast – „völlig unkompliziert”, sagt Pressefrau Christine Crespo. Die Spanier um Raúl & Co. werden seit Mittwochabend ähnlich denken.

Dabei sah es am Tag vor dem Spiel noch ganz anders aus im deutschen Lager. Auf der Pressekonferenz vor rund 80 Medienvertretern präsentierte sich Kapitän und Leitwolf Oliver Kahn bestens gelaunt. Einen „Sonneneffekt” habe er im Team ausgemacht, er selbst fühle sich fast schon wie im Urlaub auf der Insel. Ein Grinsen legte sich über das angebräunte Gesicht. Innerhalb des Teams ist der Bayern-Keeper unangefochten der Chef. Es vergehen keine zwei Sätze, ohne dass nicht in irgendeiner Weise sein Name fällt. Über den respektvoll zu ihm aufschauenden Nachwuchs im DFB-Team sagt er im Grunde nur: „Die müssen spielen und sich erst mal beweisen”.

Nach außen provoziert Poltergeist Kahn oft Unverständnis und Kritik. Auf die schüchterne Frage einer spanischen Journalistin, wer für ihn denn der beste Torhüter der Welt sei, bäumt sich der 33-Jährige kurz auf und blafft „Der sitzt hier” in den Raum. Am darauf folgenden Tag liest man in der Insel-Presse etwas über einen Unmenschen zwischen zwei Pfosten, der immer nur schlecht gelaunt sei. Der humorige Unterton in seiner Antwort war den spanischen Kollegen offenbar entgangen.

Im nur zehn Minuten vom Stadion entfernten Hotel ist die DFB-Mannschaft optisch schnell ausgemacht: Mit der Adilette an den Füßen und in Trainingsanzüge gehüllt begehen sie in der Edelherberge krassen Stilbruch. Vor dem Speisesaal fängt ein Autogrammjäger in den Fünfzigern die Spieler zum Signieren ab. In den weichen Sesseln daneben haben sich derweil mehrere Funktionäre niedergelassen. Im Hotel läuft trotz der deutschen Elf „alles wie gewohnt weiter”, sagt Crespo. Etwa 60 Zimmer nahm der DFB für sich in Anspruch, weitere 70 belegte der Sponsoren-Tross im noch luxuriöseren Hotel Mardavall in Costa d'en Blanes.

Dass Mallorca nach wie vor zu Spanien gehört, offenbarte die Diskussion um die Anstoßzeit. Das spanische Fernsehen bestand darauf, das Spiel nach den traditionellen 21-Uhr-Nachrichten zu übertragen. Die deutschen Kollegen machten sich derweil Sorgen um die Nachtruhe ihrer Zuschauer und den Programmablauf. Letzten Endes mussten sie klein beigeben. Das Gastgeberland, so DFB-Pressechef Harald Stenger, bestimme nicht nur den Austragungsort, sondern auch die Anstoßzeit.

Der ehemalige Sportredakteur der Frankfurter Rundschau entscheidet, welche Spieler zu den täglich stattfindenden Pressekonferenzen anzutreten haben. „Wir können schließlich nicht jedes Mal Kahn und Ballack bringen.” Fast im Minutentakt klingelt eines seiner zwei Handys. Ein Länderspiel sei jedes Mal ein organisatorischer Kraftakt. Den Tagesablauf können die Spieler weitgehend selbst bestimmen, verrät Stenger. Die Zeiten, als sich zwei Kicker ein Zimmer teilen mussten, und der Trainer im Stile eines Generals über jede Bewegung seiner Spieler wachte, gehören der Vergangenheit an. „Heute schlafen die auch schon mal bis halb elf.”

Am Mittwochabend im Stadion war von Kahns ausgemachtem Sonneneffekt nichts zu spüren. Es war nasskalt, auch die mallorquinischen Zuschauer mochten sich für die deutsche Mannschaft nicht erwärmen. Auf das Abspielen der Nationalhymne reagierte die Masse mit einem gellenden Pfeifkonzert.

Genau das Ambiente, in dem sich Kahn wohlzufühlen scheint. Als erster Spieler betrat er mit Torwarttrainer Maier das Spielfeld – und erntete prompt den lautstarken Unmut der Zuschauer. ARD-Kommentator Gerhard Delling, wie gewohnt im Duett mit Fußball-Guru Günter Netzer, sprach derweil von einem „Heimspiel auswärts” für Deutschland. Womit er allerdings nicht ganz Recht behalten sollte, denn von den etwa 17.000 Zuschauern standen maximal 5000 hinter dem Völler-Team.

Allerdings muss man fairerweise dazu sagen, dass selbst die spanische Selección auf Mallorca quasi ein Auswärtsspiel zu bestreiten hatte. In Bars, die sich zu Ligaspielen in wahre Fußballhöllen verwandeln, blieb der Fernseher bisweilen sogar ausgeschaltet. Die Identifikation mit der Nationalmannschaft ist hier traditionell relativ gering. Dafür kam die aktuelle Politik am Spielfeldrand nicht zu kurz. Auf Transparenten forderten Fans eine Chance für den Frieden. Ein junger Friedensaktivist drang gar bis zum Spielfeld vor, ehe er von Sicherheitskräften eingefangen wurde.

Das Duo Delling/Netzer verbrachte die Partie mit dem Rücken zum Rasen. Statt wie gewohnt aus luftiger Höhe auf das Spielgeschehen herabzusehen, mussten sich die Moderatoren mit einem Pavillon auf der Tartanbahn abfinden. Die mehr als 20 Kameras des federführenden SWR waren auf der Gegentribüne aufgebaut, die Haupttribüne hatte das spanische Fernsehen für sich beansprucht. Aus gutem Grund: So bekamen die deutschen TV-Zuschauer „ihre” Bandenwerbung zu sehen, und die spanischen die für sie bestimmte. Sport ist eben längst Big Business.