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Fast die Hälfte seines Lebens, 28 Jahre, verbrachte Martín Mir Perelló, 63, unter der Erde. Jetzt steht er neben dem Schacht, durch den er bis vor 17 Jahren sechsmal die Woche in die Tiefe unter Selva stieg, und blickt mit Wehmut zurück. „Es war ein Knochenjob, aber ich habe ihn gern gemacht.” Er würde heute den gleichen Weg wieder einschlagen.

Schreiben haben seine groben Hände nie gelernt, daraus macht Mir keinen Hehl. Und die Lunge reduzierten Ärzte vor sechs Jahren auf ein Mindestmaß: der Kohlestaub forderte seinen Tribut. Die Grube von Es Pou de Sa Central war nur einer von drei unterirdischen Arbeitsplätzen, in der Mir zwar gut verdiente, aber auch seine Gesundheit ruinierte.

Die Kohle-Ära ist auf Mallorca längst vorbei, 1992 wurde in Biniamar die letzte Abbaustätte geschlossen. Zu unrentabel war das Geschäft mit der qualitativ minderwertigen Braunkohle geworden. Dabei gelangte dieser heute vergessene Industriezweig durchaus zu bescheidener Tradition. In den Jahren des Kohlebooms, die mit dem Kuba-Krieg (1898) und dem spanischen Bürgerkrieg (1936-39) zusammenfielen, malochten auf der Insel mehrere hundert Kumpels. In Alaró, Lloseta und Selva bis zu 200 Meter unter der Erde, in Biniamar und Sineu im Tagebau.

Als Vater des Bergbaus gilt Rafel Coll Palou aus Selva. „Es gibt so gut wie keine schriftlichen Quellen über diesen Aspekt Mallorcas”, sagen Catalina Pericàs und Bartomeu Mateu, zwei Lehrer aus Selva, die sich seit Monaten mit diesem Thema beschäftigen und demnächst ein Buch darüber herausbringen. Sie sprachen mit ehemaligen Bergarbeitern und Stollenbesitzern, beziehungsweise deren Nachkommen.

Rafel Coll (1843-1924) gründete um 1870 die Firma San Cayetano S.A. und gab damit den Startschuss für den Kohleabbau. Abnehmer waren zunächst Ziegelbrennereien, Destillierfabriken und private Haushalte. Das Geschäft gewann an Schwung, als 1875 zwischen Palma und Inca die erste Bahnlinie Mallorcas eingeweiht wurde.

An die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den niedrigen Galerien kann sich der ehemalige Kumpel Mir noch bestens erinnern. Kaum Luft, bedrückende Enge und „immer die Angst im Nacken, hier unten mein Grab zu finden”. Der größte Gefahrenfaktor sei aber das Wasser gewesen. „Die Pumpen mussten Tag und Nacht in Betrieb sein, und fiel der Strom mal für eine Viertelstunde aus, stand uns dort unten das Wasser bis zur Hüfte.” Vier tote Kameraden habe er in seinen knapp drei Jahrzehnten Minenarbeit ans Tageslicht geholt.

Rekrutierungsprobleme kannten die Eigentümer der Bergwerke dennoch nicht. Die Arbeiter bekamen nicht nur einen außergewöhnlich hohen Lohn, sondern in Krisenzeiten auch Extrarationen bei Lebensmitteln. „In den achtziger Jahren verdiente ein Bergarbeiter netto bis zu 110.000 Pesetas im Monat”, so Catalina Pericàs, „zudem konnte er mit 50 Jahren in Rente gehen.” Das sind Bedingungen, von denen selbst 20 Jahre später noch so mancher Supermarktangestellte träumt.

Lange Zeit waren alle Beteiligten zufrieden, die Unternehmer fuhren satte Gewinne ein, und die Arbeiter legten so manche Peseta zur Seite. Die Krise im Sektor begann 1977. „Wurde bis dato der Preis für Kohle nach Gewicht berechnet, war nun der Heizwert entscheidend”, erklärt Bartomeu Mateu. Und der war bei der Mallorca-Kohle sehr niedrig, womit die Gewinne schlagartig zurückgingen.

Doch damit nicht genug. Der Energieversorger GESA, inzwischen Alleinkunde der Braunkohle, klagte mit Erfolg auf Schadensersatz. „Son Cayetano S.A. musste etwa 25 Millionen Pesetas zurückzahlen.” Und GESA importierte fortan Steinkohle aus Südafrika, die nicht nur günstiger war, sondern auch einen bedeutend höheren Heizwert aufwies.

Verarmt sind die Nachfahren von Gründungsvater Rafel Coll trotzdem nicht. Urenkel Josep Carles Amengual residiert heute mit Familie einen Steinwurf entfernt vom ehemaligen Bergwerk Es Pou de Sa Central auf einem gut 300 Jahre alten Anwesen. Als 1987 in den drei Gruben Son Cayetano I und II sowie Es Pou de Sa Central für immer die Lichter ausgingen, war es nach Ansicht des international angesehenen Mediziners „bereits fünf Jahre zu spät”. Zehn Jahre hätte seine Familie gebraucht, um die angehäuften Schulden zurückzuzahlen. In Familienbesitz befindet sich heute nur Son Cayetano I, die beiden anderen Minen wurden von Privatpersonen gekauft.

Als die Sozialisten 1982 in Spanien die Macht übernahmen, keimte in der Kohleindustrie letztmals Hoffnung auf. Im Wahlkampf hatten sie versprochen, den angeschlagenen Sektor stärker zu subventionieren. „Dem war aber nicht so, deshalb kamen die Minenbesitzer zunehmend in Geldnot”, sagt Catalina Pericàs und fügt die weiteren Konsequenzen gleich an: „Es kam zu Streiks, weil die Arbeitgeber den Lohnforderungen der Bergleute nicht nachkamen.” Ex-Kumpel Martín Mir geht mit seinen ehemaligen Kollegen deshalb hart ins Gericht. „Mit ihren überzogenen Forderungen sägten sie uns allen den Ast ab, auf dem wir saßen.”

Um die aufgebrachten Arbeiter zu besänftigen, machte Son Cayetano S.A. den Kumpels ein Angebot: Sie durften als Aktionäre einsteigen. Dass sie den Vorschlag ablehnten, konnte ihnen Grubenerbe Carles Amengual nicht verdenken. „Wir gestatteten ihnen Einblick in die Bücher, und als sie sahen, dass wir tief in den roten Zahlen steckten, war das Thema schnell vom Tisch.” Die Bergleute hatten geglaubt, das Unternehmen erhalte für jede Tonne Kohle – die Tagesproduktion lag bei durchschnittlich 300.000 Tonnen – von GESA 9000 Pesetas. „Aber es waren nur 3000 Pesetas”, sagt der Urenkel von Rafel Coll Palou.

Damit endete 1987 für Mallorca das Kapitel Untertagebau, obwohl, wie Martín Mir sagt, in den Stollen noch Kohle für mehrere Jahrzehnte lagert. Vier Jahre fehlten dem drahtigen Senior damals zum rettenden 50. Geburtstag, „die Rente fiel deshalb um einiges geringer aus”, ärgert er sich noch heute.

Ein paar Kilometer weiter, in Biniamar, ging die Produktion über Tage noch fünf Jahre weiter. Andres Beltrán Morro, 43, gehörte zu dem knappen Dutzend Bergleuten, die 1992 auf der Insel die letzten Aktiven ihrer Zunft waren. Beim Rundgang durch die Fre sie den Vorschlag ablehnten, konnte ihnen Grubenerbe Carles Amengual nicht verdenken. „Wir gestatteten ihnen Einblick in die Bücher, und als sie sahen, dass wir tief in den roten Zahlen steckten, war das Thema schnell vom Tisch.” Die Bergleute hatten geglaubt, das Unternehmen erhalte für jede Tonne Kohle – die Tagesproduktion lag bei durchschnittlich 300.000 Tonnen – von GESA 9000 Pesetas. „Aber es waren nur 3000 Pesetas”, sagt der Urenkel von Rafel Coll Palou.

Damit endete 1987 für Mallorca das Kapitel Untertagebau, obwohl, wie Martín Mir sagt, in den Stollen noch Kohle für mehrere Jahrzehnte lagert. Vier Jahre fehlten dem drahtigen Senior damals zum rettenden 50. Geburtstag, „die Rente fiel deshalb um einiges geringer aus”, ärgert er sich noch heute.

Ein paar Kilometer weiter, in Biniamar, ging die Produktion über Tage noch fünf Jahre weiter. Andres Beltrán Morro, 43, gehörte zu dem knappen Dutzend Bergleuten, die 1992 auf der Insel die letzten Aktiven ihrer Zunft waren. Beim Rundgang durch die Freiluftmine Son Odre wird der Barbesitzer plötzlich ganz still. „Das ist das erste Mal, dass ich seit Stilllegung der Mine hier bin.” Wie seine Kollegen aus dem benachbarten Selva trauert er seiner Kumpelzeit noch heute hinterher.

Energieriese GESA gründete in den siebziger Jahren das Tochterunternehmen Lignitos. S.A. als Antwort auf die damalige Energiekrise. Der Heizwert der über Tage abgebauten Braunkohle in Biniamar lag etwa zehn Prozent unter dem von Alaró oder Selva. Knapp zwanzig Jahre später war nicht nur die Ölkrise Vergangenheit, auch der Berg rückte an Kohle