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S'Estanyol, Freitag, 17. September 2004 – Zusammen sind die beiden Herren 158 Jahre alt. Ein wenig schüchtern, aber doch mit strahlenden Augen gehen sie aufeinander zu, lächeln, reichen sich die Hände und umarmen sich schließlich freundschaftlich. Ein anrührender Moment. Der ehemalige Kampfflieger der Reichsluftwaffe, Horst Hampel (83), und der mallorquinische Fischer Gabriel Panisa Moll (75) haben sich seit 1957 nicht mehr gesehen. Und dennoch können sie sich gut aneinander erinnern. Denn vor noch längerer Zeit hatte sich ein ungewöhnliches Ereignis tief in ihre gemeinsame Erinnerung eingebrannt: Horst Hampel war während des Zweiten Weltkriegs unweit des heute beliebten Badestrandes Es Trenc im Meer abgestürzt. Gabriel Panisas Vater, ebenfalls Fischer, rettete damals den Deutschen und seine Mannschaft aus dem Meer.

S'Estanyol, Samstag, 6. November 1943 – Adolf Hitler und die mit ihm verbündeten Staaten Italien und Japan haben einen regelrechten Weltenbrand entfacht. In nahezu jedem Winkel der Erde tobt Krieg. Nicht so auf Mallorca. Dort herrscht seit dem gewaltsamen Sieg General Francos 1939 im Spanischen Bürgerkrieg diktatorischer Friede. In S'Estanyol, einer winzigen Fischersiedlung von acht Familien und einem Guardia-Civil-Posten, wird die verordnete Ruhe jäh unterbrochen: Motorengeräusch zerreißt die mondhelle Nacht. Die Bewohner treten aus den Häusern und sehen, wie ein Flugzeug im Tiefflug am Dorf vorbei aufs dunkle Meer hinausfliegt. Mit einem Mal bricht das Motorengeräusch ab. Den Fischern ist klar, die Maschine ist irgendwo da draußen aufgeschlagen. Sie rennen zu ihren Booten und fahren hinaus in die Nacht, dorthin, wo sie die Absturzstelle vermuten.

Horst Hampel ist 22 Jahre alt und Pilot eines Kampfflugzeugs vom Typ Junkers 88. Er und seine drei Kameraden sind darauf gedrillt, mit der Maschine bei Angriffen zur See unmittelbar vor dem Ziel Torpedos abzuwerfen. Die Geschosse legen die letze Distanz blitzartig im Wasser zurück, reißen Stahlrümpfe auf und entfachen Tod und Verderben in den getroffenen Frachtern und Kreuzern.

Bei einem solchen Einsatz im Mittelmeer geraten jedoch Hampel und seine Männer selbst unter Feuer. Der alliierte Geleitzug an der nordafrikanischen Küste ist mit Flugabwehrkanonen bestückt und beharkt den Feind aus der Luft mit einer Breitseite in die linke Flanke der Ju 88. Zahlreiche Instrumente fallen aus, heißes Schmieröl spritzt ins Flugzeuginnere. Dennoch laufen die Motoren weiterhin rund, so dass Hampel die Rückkehr zur Basis nach Südfrankreich beschließt. „In der Kabine gab es keine Panik. Die Verständigung war nur durch Schreien möglich. Wegen des andauernden Ölverlustes musste mein Bordmechaniker Reserveöl von Hand umpumpen. Er kniete in der Bodenwanne, hatte seinen Fallschirm abgeschnallt, der ohnehin durch das auslaufende Öl unbrauchbar wurde. Das hatte zur Folge, dass wir mit Fallschirmen nicht mehr abspringen konnten.”

Immerhin schafft die Maschine bei einer Flughöhe von lediglich 50 Metern die Strecke bis Mallorca. Als die Ju 88 die kleine Halbinsel bei S'Estanyol überquert, fängt der linke Motor Feuer. Horst Hampel weiß, dass er nun möglichst rasch notwassern muss. Das fliegerische Kunststück gelingt. „Vor dem Aufsetzen auf dem Wasser musste ich mein Fenster aufschieben, um besser sehen zu können, aber beim Aufprall zersplitterten die aus Holz bestehenden Propeller, und ich bekam Splitter ins Gesicht. Das Wasser schoss durch alle Scheiben wie aus Feuerwehrschläuchen, und dann wurde es ruhig.”

Die Maschine versinkt in eineinhalb Minuten. Zeit genug für die Männer, die Ju 88 über den Dachabwurf zu verlassen. Angetan mit Schwimmwesten treiben sie im Meer. Kurz darauf treffen die Fischer bei den Fliegern ein und ziehen sie in die Boote. Horst Hampel erinnert sich: „Nach kurzer Zeit kamen wir an eine Anlegestelle. Dieser Augenblick ist für mich unvergesslich. Dort standen Dorfbewohner, schweigend, und davor eine junge Frau mit einem kleinen Kind in den Armen.”

Wie kein anderes Ereignis hat diese marienhafte Erscheinung Eindruck in Hampels Gedächtnis hinterlassen. „Ich kam aus einem erbärmlichen Krieg, und da war am Ufer diese kleine Dorfgemeinschaft, dazu die Frau mit dem Kind an der Brust. Es war so ein Bild des Friedens!”

61 Jahre trägt Hampel die Erinnerung mit sich herum. Erst jetzt, mit Hilfe eines Dolmetschers, kann er den Fischersohn nach der jungen Frau befragen. Des Rätsels Lösung: Es war eine frühere Nachbarin, die damals kurz zuvor Mutter geworden war.

Hampel erinnert sich ganz ausgezeichnet daran, wie er und seine Leute von den Fischern trockene Kleidung erhielten. Dann brachte die Guardia Civil die Männer im Hotel Mediterráneo in Palma unter. Dort wurden sie auf das Reichlichste bewirtet. Tags darauf kam ein Angestellter des deutschen Konsulats in Palma, der die vier Flieger neu einkleidete.

„Ich weiß noch, dass uns montags in dem Geschäft El Aguila bei der Plaça Major – es existiert noch – Anzüge angemessen wurden, dienstags war Anprobe, und mittwochs hatten wir unsere Anzüge. Meine Frau behauptet, es sei der schönste Anzug gewesen, den ich je gehabt hätte.”

Nach 14 Tagen Aufenthalt auf Mallorca wurden die vier Soldaten nach Madrid gebracht, von wo aus sie die Heimreise antraten. Dann ging für die Flieger der Krieg weiter. „Man kann es wirklich als Wunder erachten, aber meine Besatzung und ich haben überlebt”, sagt Hampel 60 Jahre später in S'Estanyol. Belastet es ihn, mit seinen Torpedos getötet zu haben? „Ja”, sagt Hampel, aber zu seiner Erleichterung wisse er nicht, wieviele Menschen es waren. „Ich hoffe, es haben möglichst alle überlebt.” Das Hitler-Regime hält er im Nachheinein für „wahnsinnig. Aber da haben wir damals nicht die Einsicht gehabt.”

Wo die Flieger einst an Land gebracht worden waren, befindet sich heute der Yachthafen von S'Estanyol. Zusammen mit Gabriel Panisa geht Horst Hampel ans Meer, ein paar Schritte von der Wohnung des Fischers entfernt. Ein erstes Treffen hatte es bereits 1957 gegeben, als Hampel mit Familie auf Mallorca urlaubte. Aber mangelnde Sprachkenntnis erlaubte damals keine Verständigung.

„Ich habe mich sehr gefreut, ihn wiedergesehen zu haben”, sagt Panisa mit der Einsilbigkeit eines Mannes, der ein Leben lang aufs Meer hinausfuhr. Auch Horst Hampel ist sichtlich bewegt: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich das noch einmal so intensiv nacherleben kann.”