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Als Jutta vom Hövel-Meier und ihr Mann Ralf Meier vor sechs Jahren nach Mallorca zogen, hatten sie mit dem Thema Tierschutz noch nichts am Hut. Doch seither haben sie das Elend täglich vor Augen, direkt neben der Idylle, die sie sich auf ihrer Finca bei Capdepera geschaffen haben.

„Man muss sich nur umschauen”, meint Ralf Meier. In vielen Gärten und auf vielen Bauernhöfen sah er dasselbe Bild: Hunde an viel zu kurzen Ketten, oft ohne geeigneten Unterschlupf, ungepflegt, verdreckt, von menschlicher Wärme noch nie berührt. Pferde, die jahrelang ohne Licht, Pflege und tierärztliche Versorgung im Stall stehen. Ponys, die den ganzen Tag in der prallen Sonne ausharren müssen. Da konnten die beiden nicht tatenlos bleiben. Heute engagiert sich das Paar im Tierschutzverein Capdepera. Hunderte von Gleichgesinnten kämpfen wie sie täglich einen Kampf gegen Windmühlen: Misstände sind an der Tagesordnung, ein Umdenken der Inselbevölkerung macht sich erst ganz allmählich bemerkbar.

Das ganze Ausmaß des Tierleids auf Mallorca ist schlecht in Zahlen zu fassen. Bestes Indiz sind die vielen Tierschutzvereine: Etwa zehn über die Insel verteilte größere Gruppen bemühen sich, die Not in ihrer Region zu lindern. Dazu kommen Hunderte von Privatleuten, die sich auf eigene Rechnung und nach eigenem Gutdünken für das Wohl der Tiere einsetzen. Seit etwa drei Monaten gibt es außerdem einen Zusammenschluss aus fast allen örtlichen Gruppen: In der Organisation Baldea sollen die Kräfte gebündelt werden, um die Tierschutzarbeit auf praktischer und politischer Ebene wirksamer voranzutreiben.

Weiteres Indiz für das Ausmaß des Elends sind die Statistiken des Städtischen Tierheims von Palma, in dem 2004 etwa 4500 herrenlose Hunde und Katzen aus ganz Mallorca landeten. Nach Schätzung von Juan Gil, Präsident von Baldea, waren das aber nur 30 Prozent aller Haustiere, die auf der Insel ausgesetzt und bei den Tierschützern abgegeben werden. Manche Tierfreunde hüten sich davor, ihre Adressen bekannt werden zu lassen: „Sonst schmeißen die Leute einem die Hunde einfach über den Zaun”, so Jutta vom Hövel-Meier.

Ein Ende der Tierflut ist kaum abzusehen. Die Tierschutzvereine nehmen täglich ein bis zwei Hunde auf, die privaten Tierheime platzen aus allen Nähten. Und auch in Palmas Tierheim Son Reus kommen jedes Jahr mehr Tiere, nicht nur aus Palma, sondern von der ganzen Insel. Etwa 2000 Hunde, die keine Adoptivfamilie fanden, wurden dort 2004 eingeschläfert.

Während die ausgesetzten Tiere in kürzester Zeit gefangen werden und ihr Schicksal dadurch bekannt wird, bleiben Missstände bei der Tierhaltung weitgehend im Verborgenen. Was zu den Tierschutzvereinen durchdringt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wo kein Kläger ist, gibt es auch keine Opfer.

Die Wirklichkeit hinkt den gesetzlichen Bestimmungen, die den deutschen Tierschutzgesetzen ähnlich sind, noch ziemlich weit hinterher. Immerhin, so Juan Gil, wird die Polizei heute aktiv, wenn ihnen eine Tier-Misshandlung oder Vernachlässigung gemeldet wird. „Vor einem Jahr war das oft noch nicht der Fall.” Er betont, dass Privatleute, die Tierquälerei bemerken, sich am besten mit einer der Tierschutzorganisationen vor Ort oder mit Baldea in Verbindung setzen sollten. So vermeidet man Scherereien mit dem Nachbarn und kommt nicht selbst mit dem Gesetz in Konflikt. Denn mitunter üben Tierfreunde, die den Behörden nicht vertrauen, Selbstjustiz, indem sie auf fremde Grundstücke eindringen und Tiere aus ihrer Not „befreien”.

„Zu richtigen Anzeigen kommt es aber selten”, sagt Ralf Meier. Denn die Polizei gehe den Hinweisen zwar nach, versuche die Angelegenheit in der Regel aber gütlich zu regeln. Das heißt, sie sprechen mit den Tierhaltern und versuchen sie dazu zu bewegen, die Bedingungen für die Tiere zu verbessern. Den Tierschützern ist das Vorgehen der Polizei aber zu lasch: „Meistens ändert sich dann etwas. Aber selten wird konsequent vorgegangen.”

Vor allem in den ländlichen Gegenden der Insel – wie auch im restlichen Spanien – ist die Einstellung zum Tier grundlegend anders, als die Deutschen das von ihrem Heimtland gewohnt sind. Auch Hunde werden häufig als reine Arbeits- oder Nutztiere eingesetzt. Viele Bauern widmen sich laut Tierschützern der unkontrollierten Züchtung von Hunden und verscherbeln die Welpen dann auf den Wochenmärkten. Kastrationen und Sterilisationen lehnen viele Tierhalter ab, wodurch das Problem der Überpopulation zusätzlich verschlimmert wird.

Das Tier als Objekt der Belustigung und Sensationslust hat bei den heimischen Fiestas nach wie vor einen festen Platz (siehe folgende Seite). Neben dem Stierkampf wird die harmlosere Variante „Correbou” gepflegt, wie in Alaró am vergangenen Samstag. Etwa 1000 Zuschauer, die den Stierlauf als Traditionspflege betrachten, feierten die Mutprobe für Burschen aus dem Dorf begeistert. Anderswo sind Enten die Leidtragenden, weil das halt schon immer so war. Die hartgesottensten Fans des tierischen Brauchtums lassen sich selbst von Bußgeldern nicht von der durchaus umstrittenen Veranstaltung abbringen.

Wie langsam die Mühlen der Gemeinde- und Stadtverwaltungen mahlen, wenn es um den Tierschutz geht, sieht man auch an den Kutschfahrten durch Palma und entlang der Playa de Palma. Die Stadtverwaltung betrachtet die Touristenattraktion zwar als Auslaufmodell und hat die Absicht bekundet, die Konzessionen von den Kutschern zurückzukaufen, aber bislang hat sich wenig getan. So kommt es, dass auch in dieser Woche wieder eine Pferdekennerin in der MM-Redaktion anrief, um sich über die üblen Bedingungen zu beschweren, unter denen die Pferde an der Playa de Palma schuften müssen.

Immer wieder wird von Tierschützern angeführt, dass Tierquälereien dem Tourismus schaden. Aber, so Juan Gil, in einem Jahr lasse sich nicht beheben, was in den vorangegangenen Jahrzehnten schief gelaufen ist. Immerhin gibt es erste Anzeichen, dass das Thema Tierschutz auf Mallorca heute ernster genommen wird denn je: „Wir haben ein Imageproblem”, sagte Pedro Morell, der Leiter des städtischen Tierheims, vor einigen Monaten gegenüber MM. Inzwischen setzen sich Vertreter der Stadt regelmäßig mit den Tierschützern an einen Tisch, und die Bemühungen, Adoptivfamilien für die Streuner zu finden, sind verstärkt worden. Von Verhältnissen, wie man sie aus Deutschland gewohnt ist, ist man hierzulande aber immer noch meilenweit entfernt.