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Wie deutsch Mallorca ist, hängt ganz allein vom Standpunkt des Betrachters ab. Ein Tourist aus dem Rheinland, der seinen Sommerurlaub am Ballermann verbringt, zwischen Hotel und Strand, in bierseliger Feierlaune, wird sich schwerlich davon überzeugen lassen, dass Mallorca keine deutsche Insel ist. Andererseits bezweifelt kaum ein Mallorquiner aus dem Inselinneren, aus Sant Joan etwa, aus Inca oder Manacor, dass dies hier seine Heimat ist, die mit den Deutschen gerade einmal so viel zu tun hat wie mit jeder anderen reisefreudigen Nation.

„Es gibt zwei Mallorcas”, sagt Josep Moll, Mallorquiner mit ganzer Seele, Publizist und Politiker im Ruhestand, der viele Jahre in Deutschland gelebt hat. „Die Gemeinden an der Küste sind immer weniger mallorquinisch, im Inneren der Insel entwickeln sich dagegen immer stärkere bewahrende Kräfte.”

Vor wenigen Jahrzehnten noch war Mallorcas Küste weitgehend unberührt, was sich erst mit dem Beginn des Massentourismus änderte. „Die Invasion” nennt Moll dieses Phänomen. „Das ist ein bisschen übertrieben, denn gewaltsam war der Prozess ja nicht. Zerstörerisch aber sehr wohl.” Bettenburgen schossen in die Höhe, und mit ihnen wuchs ein lückenloses Konsum-Angebot für die jährlich weit mehr als drei Millionen deutschen Touristen heran, das auch im Urlaub für Heimatgefühle sorgt. Nur Strand, Sonne und Sangría lassen erahnen, dass dies hier nicht die die längste Theke der Welt, sondern tatsächlich die Playa de Palma ist.

Jaume Mateu ist darüber mehr als unglücklich. „Mir tut es weh, dass dort sogar manche Straßennamen auf Deutsch sind – das ist barbarisch”, sagt der Präsident des balearischen Kulturwerks (Obra Cultural Balear), das sich für den Erhalt der mallorquinischen Sprache, Sitten und Gebräuche einsetzt. Mateu findet, dass die Speisekarten in den Restaurants grundsätzlich auch auf Mallorquín sein sollten. „Nur weil Mallorca vom Tourismus lebt, dürfen wir nicht unsere Kultur aufgeben.”

Deutsch ist Mallorca aber längst nicht nur am Ballermann. Seit Jahren steigen die Zahlen der Deutschen, die sich auf der Insel niederlassen. Allein im Jahr 2005 wuchs ihre Zahl um 2376 auf fast 19.000. Noch nie waren so viele Deutsche auf Mallorca berufstätig wie jetzt. In Gemeinden wie Andratx, Calvià und Llucmajor stellen sie längst einen bedeutenden Bevölkerungsanteil – und Wirtschaftsfaktor. Kein Wunder, dass ein dichtes Netz deutschsprachiger Dienstleistungen die Insel überzieht, sodass hier problemlos leben kann, wer nicht ein einziges Wort Spanisch spricht.

„Diese Art der Gettoisierung dürfen wir nicht akzeptieren”, sagt Jaume Mateu vom Kulturwerk. „Wenn Einwanderer und Mallorquiner nicht zu einer gemeinsamen Kultur finden, dann ist alles in Gefahr. Mallorca ist zerbrechlich.” Es dürfe nicht sein, dass Deutsche hier jahrelang leben können, ohne jemals etwas anderes zu sprechen als ihre Muttersprache.

Aber längst nicht alles was deutsch ist, stößt bei den Mallorquinern auf Misstrauen. Die Besucher hinterlassen ihre Spuren auf der Insel, auch dort, wo Mallorca ganz und gar nicht deutsch ist, in den küstenfernen Dörfern, in die sich kaum ein Urlauber verirrt, die kaum ein Deutscher als neue Heimat auserwählt, wo der rasante Wandel der vergangenen Jahrzehnte nicht stattgefunden hat.

„Mit der Wurst fängt es an”, sagt Josep Moll: „Allmählich merken die Mallorquiner, dass die deutsche Küche so schlecht gar nicht ist.” In kaum einem Supermarkt kommt man mehr an dem Regal mit typisch deutschen Produkten vorbei – und es sind längst auch Einheimische, die daran Gefallen finden. „Bis die Mallorquiner einen rheinischen Sauerbraten zu schätzen wissen, muss aber wohl noch etwas Zeit vergehen”, sagt Moll. Dass auch mallorquinische Hausfassaden zur Weihnachtszeit von kletternden Nikoläusen geschmückt sind, sei wohl ebenso deutschen Einflüssen geschuldet, wie die Tatsache, dass sich heutzutage auch einheimische Familien am Heiligen Abend um einen Weihnachtsbaum scharen. Auch wenn der oft nur aus Plastik ist.

Mallorca eine deutsche Insel? Davon will Jaume Mateu trotz allem partout nichts wissen: „Mallorca ist immer noch vor allem mallorquinisch. Es kommt nur darauf an, diese Seite der Insel zu entdecken.”