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Der Lehrer trat vor unsere Abiturs-Klasse und sagte, statt Deutsch zu pauken müssten wir heute reden. Reden über das, was in der Nacht passiert sei. Es war die Nacht von Mogadischu, die Nacht von Stammheim. Von dieser Deutschstunde, die zur Deutschland-Stunde wurde, ist mir noch ein Satz in Erinnerung geblieben. Der Lehrer, ein Humanist alten Schlages, echauffierte sich über einen TV-Reporter, der gesagt hatte, ein Entführer sei auf der Gangway verendet. „Tiere verenden; die Terroristen haben entsetzliche Verbrechen verübt, aber kein Mensch hat das Recht, einem anderen das Menschsein abzusprechen.”

Nur eine kleine, unbedeutende Episode aus jener bleiernen Zeit. Aber bei jedem, der sie erlebt hat, blieb irgendetwas im Gedächtnis hängen. Die Ereignisse waren so einschneidend wie der Tod Kennedys, die erste Mondlandung oder der 11. September. Nur so lässt sich auch erklären, dass das Thema derzeit so hochkocht, 30 Jahre danach.

Die Hölle von Mogadischu begann auf Mallorca, hier findet auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung statt. Nicht nur weil Mallorquiner unter den Geiseln waren. Mit Wolfgang Salewski lebt ein wichtiger Zeuge jener Ereignisse auf der Insel, und sogar ehemalige Geiseln aus Deutschland wollen zum Jahrestag zurück nach Mallorca.

Rückblick allein ist allerdings zu wenig. Denn die Welt ist nicht sicherer geworden. Im Gegenteil, der Terrorismus hat Ausmaße angenommen, bei denen auch ein Salewski an seine Grenzen stößt. Bei Selbstmord-Attentätern gibt es wenig Verhandlungsspielraum.

Umso wichtiger wäre es, die Konflikte im Vorfeld des Terrors zur „Verhandlungssache” zu machen. Professionelles Krisenmanagement statt dumpfer „Wüstenstürme”. Verhandlungen im Sinne Salewskis statt Säbelrasseln. Eine andere Weltpolitik eben. Ich fürchte, nur ein frommer Wunsch.

Noch ein persönliches Wort: In 15 Jahren Mallorca habe ich viele Interviews und Gespräche geführt. Aber keines von der Intensität des Salewski-Gesprächs. Das lag nicht nur an der Bedeutung seiner Worte. Die Deutschland-Stunde ging weiter.